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    How To Have Sex
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    How To Have Sex

    Zu Recht einer der Festival-Hype-Filme des Jahres!

    Von Sidney Schering

    Während Drinks mit ordentlich Umdrehungen „Sex On The Beach“ oder „Orgasmus“ heißen, werden alkoholfreie Cocktailvarianten als „Virgin“ bezeichnet: Ja, Alkohol und Sex sind kulturell eng miteinander verwoben. Auch im Kino spielt die Liaison aus Promille und Beischlaf oft eine Rolle, zeigen doch unzählige Filme Teenies, die sich zunächst „Mut antrinken“, wann immer sie planen, das erste Mal Sex zu haben – von „Eis am Stiel“ über „Superbad“ bis „Booksmart“. Auch Regisseurin und Autorin Molly Manning Walker erzählt von der Paarung aus Sex und Alkohol – und nimmt deren Status als Initiationsritus in ihrem Langfilmdebüt „How To Have Sex“ ebenso kritisch wie empathisch unter die Lupe.

    Die Schülerinnen Tara (Mia McKenna-Bruce), Skye (Lara Peake) und Em (Enva Lewis) tun es in den Sommerferien Aberhunderten britischen Jugendlichen gleich: Sie fliegen nach Kreta, um die Partymeilen von Malia unsicher zu machen. Doch dieser Urlaub ist für die Freundinnen ganz besonders – und das nicht bloß, weil sie auf ihre schulischen Testergebnisse warten, die darüber entscheiden, ob sich ihre Wege bald trennen. Vor allem sieht das Trio den Trip als Gelegenheit, um Tara zu ihrem ersten Mal zu verhelfen. Zwischen Alkohol, Karaoke, Pool-Party und berauschender Elektromusik türmt sich die Erwartungshaltung an Tara immer weiter auf. Wie praktisch, dass sich im benachbarten Hotelzimmer die gut gebauten, unverblümten Jungs Badger (Shaun Thomas) und Paddy (Samuel Bottomley) eingenistet haben. Beide Gruppen feiern fortan gemeinsam, bis ihnen schwindelig wird. Doch ist solch eine desorientierende Euphorie wirklich ideal, um sich fallen zu lassen?

    Hauptdarstellerin Mia McKenna-Bruce ist als Tara eine absolute Offenbarung!

    „How To Have Sex“ beginnt als sommerliche Freundschaftsgeschichte: Unter lila-pinkfarbenem Himmel tollen Tara, Skye und Em lachend am leergefegten Strand. Hier dominiert noch jenes Urlaubsgefühl, das sich Tara wohl heimlich ausgemalt hat. In raren Momenten der Abgeschiedenheit macht sie sich Sorgen, dass sie in den Klausuren zu schlecht abgeschnitten hat, um mit Skye und Em mitzuhalten – da ist ein unbeschwerter Trip willkommener Seelenbalsam. Doch kaum betreten die Freundinnen die Partyviertel Malias, verflüchtigt sich die Harmonie.

    Tara beäugt den Partyrummel teils bewundernd, teils eingeschüchtert. Am meisten blüht sie noch auf, wenn sie kindische Witze reißen kann. Und während die queere Em auf der Suche nach Urlaubs-Erlebnissen schnell auf Kuschelkurs geht, nutzt Skye jede Gelegenheit, um laut zu betonen, wie sehr sie sich nach räudiger Action sehnt. Und da die sich partout nicht einstellt, findet sie Ersatzfreude daran, Seitenhiebe gegen die jungfräuliche Tara auszuteilen.

    Kein reiner Anti-Party-Film

    Molly Manning Walker nutzt die „Stresssituation“ eines Saufurlaubs mit all seiner Reizüberflutung sowie hochgesteckten Erwartungen, um Freundschaftsdynamiken mit Schieflage vorzuführen. Den derben Trubel auf Kreta (der genauso gut auf Ibiza, Mallorca oder während des Oktoberfests in München spielen könnte) fängt sie zwiespältig mit einer ernüchternden, aber wohlwollenden Tendenz ein: Zwischen Fremdscham über Kotzattacken und Zorn über Animateur*innen ohne Social Skills findet sich Mitleid, wenn Nachmittage katergeplagt-träge ausfallen. Sowie Sympathie für Augenblicke entfesselter Freude, etwa über warmherzige Zufallsbekanntschaften und geradezu goldig-unschuldige Blicke inmitten peinlicher Saufspiele. Dieses Auf und Ab der Gefühle intensiviert sich, je mehr Badger und Paddy in die Urlaubstruppe integriert werden.

    Wie beim pubertären Kampfsaufen gilt für die Freundinnen auch bei den Jungs die besorgniserregende Devise: Wenn es dich umhaut, dann war es nicht zu viel – du warst einfach nur zu schwach! Walker unterstreicht diesen fatalen Strudel aus sozialer Erwartung, Gruppendruck und Selbstbetrug, indem sie in unberechenbarem Rhythmus mal näher an das Geschehen rückt und mal auf Distanz geht. Somit destilliert sie zugleich das schlauchende, durch das gemeinsame Durchstehen von Tiefs aber auch kurzzeitig euphorisierende Gefühl durchzechter Tage.

    Badger (Shaun Thomas) scheint es gut mit den Mädchen zu meinen – aber dem Mix aus Alkohol und Gruppendruck ist auch er nicht immer gewachsen.

    Der begnadeten McKenna-Bruce gelingt es dabei, durch winzige Änderungen ihres Gestus und der Kraft ihrer Stimme, gigantische Gemütswechsel auszudrücken. Ob Alkoholexzess, scherzhafte Doppeldeutigkeiten oder ernster Sex-Talk: Das Dauerfeuer kann Tara in der einen Sekunde noch anspornen und zum Strahlen bringen. In der nächsten Sekunde leert sich Taras Blick, die Mundwinkel quälen sich nach oben und die Schultern fallen in sich zusammen – aus dem ermutigenden Urlaubsspaß wird für Tara schlagartig lärmender Gruppendruck. In Kombination mit lähmendem Alkohol in der Gesellschaft aufgepeitschter Männer werden so aus dubiosen Momenten erschütternde Szenarien.

    Walker greift das Thema der Einvernehmlichkeit bei sexuellen Handlungen auf und legt einen schweren Schatten über das vorherige Geschehen. Das nutzt sie auch, um aus neuer Perspektive zurück zum Thema der Freundschaftsdynamik zu kehren. Ging es zunächst um das gegenseitige Anpeitschen, geht es fortan um erdrückende Stille: Taras schmerzliches Schweigen, weil sie sich unverschuldet schämt, über das zu sprechen, was ihr widerfahren ist. Und die ohrenbetäubende Stille ihrer Freundinnen, die Warnsignale nicht sehen (oder nicht sehen wollen, weil das der Partystimmung einen Dämpfer verpassen würde).

    Ihre Freundinnen sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu merken, dass mit Tara etwas nicht stimmt.

    Der Schlussakt von „How To Have Sex“ ist zwar eine kleine Spur zu hektisch. Doch er wird zugleich durch eine konsequente, potentiell kontroverse Entscheidung gestärkt: Die Langfilmdebütantin weigert sich, angesichts der Schwere des Gezeigten jegliche Freude aus ihrem Film zu tilgen und Tara bloß noch als desolates Opfer zu skizzieren. Stattdessen legt sie nahe, dass Tara weiterhin Momente der Unbeschwertheit erleben kann, selbst wenn sie nie mehr dieselbe wie früher sein wird.

    Vorstellbar, dass manche es böswillig so missverstehen, als wolle Walker Taras Erlebnisse verharmlosen. Stattdessen durchbricht Walker aber den Kreislauf einer Einschüchterungsdidaktik und macht „How To Have Sex“ trotz zutiefst bitterer Noten zu einem Trost spendenden Film: Es gibt Auswege aus dem zerstörerischen Gruppendruck und es ist möglich, es besser zu machen als die Figuren dieses Films. Denn entgegen dem dämlichen Ratschlag, der vielen in der Pubertät gegeben wird, muss man eben nicht einmal gewaltig danebengegriffen haben, um zu wissen, welche Grenzen man hat – weder beim Alkohol noch beim Sex.

    Fazit: Party-Euphorie, Alkoholexzess-Fremdscham und ein Cocktail aus so zärtlichen wie erschütternden Beobachtungen rund um sexuellen Erkundungsdrang: „How To Have Sex“ ist ein stark gespielter, sogartiger Film über Initiation, Freundschaft und die Grenzen, die man erst selbst noch für sich erkennen lernen muss.

     

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