Eine starke Prämisse versandet in einem öden Film
Von Björn BecherDas titelgebende „andere Ende“ verspricht eine neue Technologie den trauernden Hinterbliebenen in Piero Messinas Sci-Fi-Drama „Another End“. Inzwischen können plötzlich aus dem Leben gerissene Menschen nämlich noch einmal für kurze Zeit zurückkehren – wenn auch nur ihre Erinnerungen in einem anderen Körper. Das gibt Gelegenheit, Abschied von den Verstorbenen zu nehmen, und ist in einem Kinofilm natürlich eine tolle Prämisse für tiefergehende Fragen und potenziell spannende Konflikte. Doch so gelungen Messina sein Setting zu Beginn auch etabliert, mit der Zeit entgleitet ihm sein Konzept.
Wenn „Another End“ immer mehr zerfasert und in einer recht tristen Langeweile versinkt, können auch selbst die hochkarätigen Stars in den beiden Hauptrollen irgendwann nicht mehr viel ausrichten. Und wenn uns Messina mit einem früh vorhersehbaren Twist noch einmal wachrütteln will, ist es ohnehin zu spät – zumal selbst die finale Wendung und die angehängte Mid-Credit-Szene nichts wirklich Interessantes mehr zu sagen haben...
In der nahen Zukunft werden nicht nur Videos vor dem inneren Auge geschaut, es ist auch möglich, Tote für eine gewisse Zeit zurückzuholen. Dafür werden ihre Erinnerungen in sich dafür freiwillig zur Verfügung stellende Hosts gepflanzt. Weil ihr Bruder Sal (Gael García Bernal) seit dem Unfalltod seiner großen Liebe Zoe nicht mehr mit dem Leben klar kommt, ist seiner Schwester Ebe (Bérénice Bejo) sehr daran gelegen, dass ihre Schwägerin auf diese Weise zurückgebracht wird.
In einem Gastkörper (Renate Reinsve) steht Zoe also nun vor Sal, was für den erst einmal befremdlich anmutet – und das nicht nur, weil sie plötzlich eine ganze Ecke größer ist. Trotzdem stellt sich nach überraschend kurzer Zeit die alte Vertrautheit wieder ein. Doch es ist von Anfang an klar, dass der Prozess zeitlich limitiert ist. Sal wird also Abschied nehmen müssen – doch er scheint nicht bereit, Zoe noch einmal aufs Neue zu verlieren...
Piero Messina („The Wait“) führt uns durchaus gelungen in seine der aktuellen Gegenwart nicht unähnliche Welt ein. Es sind nur kleine Änderungen, die den Unterschied ausmachen: So ist es für Sal und Zoe ein echtes Ereignis, einen Film gemeinsam auf einer Leinwand zu schauen und nicht jeder für sich vor dem eigenen inneren Auge. Auch die in wenigen Szenen angedeutete Architektur dieser Zukunft mit ihren riesigen, grauen und vor allem ungemeine Traurigkeit ausstrahlenden Bauten entwickeln direkt einen Reiz.
Und dann ist da eben noch die Technologie im Zentrum der Geschichte. Wie weit diese verbreitet ist, wird schon zu Beginn deutlich. Da bringen aus allen Ecken der Stadt Krankenwagen die Hosts in eine riesige Lagerhalle zurück, wo sie nach ihrem „Einsatz“ wieder als sie selbst aufwachen. Wenn ihr jetzt nach der kurzen Inhaltsangabe noch nicht vollständig verstanden habt, wie das alles funktioniert, keine Sorge: Das wird im Film alles gleich mehrfach ausführlich erklärt.
Aus den daraus erwachsenden moralischen Fragen, aus der Unsicherheit sich in einer Welt zu bewegen, bei der viele Bewohner*innen gar nicht „echt“ sind, könnte man viel machen. Doch das alles interessiert Messina erst beim finalen Twist noch mal kurz. Stattdessen schiebt er nach Etablierung des Szenarios all das an die Seite – und konzentriert sich stattdessen ganz auf Sal und die neue Zoe, die eigentlich Ava heißt.
Mit dem herausragenden Schauspielduo im Mittelpunkt wäre auch hier viel zu erzählen gewesen. Schließlich ist im Blick von Gael García Bernal („Old“) so unglaublich viel dunkle Trauer zu lesen, während Renate Reinsve („Der schlimmste Mensch der Welt“) eine Szene mit nur einem Lächeln erleuchten kann. Doch Messina fällt dazu schnell nicht mehr ein, die Erzählung der eigentlich riesigen Konflikte in den Figuren plätschert bald nur noch vor sich hin. Und ihre große Romanze bleibt ohnehin reine Behauptung.
Irgendwann wird es unglaublich ermüdend, zum x-ten Mal Bernals traurigem Blick in Richtung Zoe/Ava zu folgen. Denn Messina und seine drei Co-Autor*innen fügen dem wenig zu – im Gegenteil. Sie reduzieren das Geschehen immer weiter auf die zwei Hauptfiguren. Spielen zu Beginn Zoes Eltern noch eine wichtige Rolle, verschwinden diese nach und nach aus dem Film. Der den Prozess überwachende Arzt (Pal Aron) erkennt derweil, dass alles aus dem Ruder läuft (was bei dem Szenario, wo man einen geliebten Menschen planmäßig noch ein zweites Mal verliert, ohnehin dauernd vorkommen sollte). Aber so richtig was tut er auch nicht dagegen.
Der finale Twist ist dann auch alles andere als ein Paukenschlag – und das nicht nur, weil ihn aufgrund reichlich gestreuter Andeutungen ohnehin fast jeder wird kommen sehen. Ihm fehlt gar nicht so sehr ein Überraschungseffekt, er ist stattdessen vor allem überflüssig, weil er nichts zu einer möglichen Diskussion über den Umgang mit Verlust und Trauer beizufügen weiß (abgesehen mal von den Logiklöchern, die er nachträglich in die Handlung reißt). Und das ist vielleicht die größte Schwäche von „Another End“. Am Ende ist viel gefällig, das meiste aber überflüssig. Und trotz des so komplex anmutenden Szenarios ist da nur ganz wenig, was tatsächlich zu einer tieferen Auseinandersetzung einlädt.
Fazit: So neugierig „Another End“ mit seiner interessanten Prämisse und gelungenen Eröffnung macht, so gleichgültig und beliebig wird irgendwann das Geschehen. Da können auch Gael García Bernal und Renate Reinsve wenig ausrichten.
Wir haben „Another End“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.