Auf den Spuren von "Heat"
Von Björn BecherDer in den 1970er-Jahren erstmals publizierte Roman „Die Turner-Tagebücher“ gilt für viele Nazis und Antisemiten als Blaupause für eine Revolution der weißen Rasse. Der Oklahoma-Bomber Timothy McVeigh, der norwegische Massenmörder Anders Breivik und auch die über Jahre unerkannt in Deutschland für Terror und Morde verantwortlichen Mitglieder des NSU wurden von dem Werk beeinflusst. Noch vor ihnen gilt Bob Mathews als der erste, der den literarischen Aufruf zu einem Krieg gegen alle Nicht-Weißen in die Tat umsetzen wollte. Seine Organisation nannte er „The Order“, wie eine entsprechende Gruppierung auch im Buch heißt – und sein Plan war es, genau den sechs Kapiteln des Buches – von Kapitalbeschaffung über Mitglieder-Rekrutierung bis hin zu Exekutionen und schließlich dem Systemumsturz – zu folgen.
Zu den Taten der Terroristen gehört unter anderem die Ermordung des Radio-Journalisten Alan Berg, die im Jahr 1988 unabhängig voneinander sowohl Constantin Costa-Gavras als auch Oliver Stone mit ihren Filmen „Verraten“ und „Talk Radio“ aufarbeiteten. Auch Justin Kurzel („Macbeth“) nutzt den bei ihm von Entertainer Marc Maron verkörperten Berg, um seinen Film „The Order“ zu eröffnen, wählt aber sonst einen weitestgehend anderen Blickwinkel. Mit Jude Law als fiktivem FBI-Ermittler und Nicholas Hoult als Nazi-Menschenfänger Bob Mathews verzichtet er darauf, die heute mehr denn je relevanten Geschehnisse zu einem moralischen Lehrstück zu machen. Stattdessen liefert er einen nicht nur in der Dualität seiner Erzählung deutlich an Michael Manns Meisterwerk „Heat“ angelehnten, ungemein fesselnden Thriller.
Nach langen Jahren im Kampf gegen das organisierte Verbrechen bezieht der ausgebrannte FBI-Agent Terry Husk (Jude Law) eine neue Stelle in einem Ein-Mann-Büro in einer auf den ersten Blick verschlafenen Kleinstadt in Idaho. In der Nähe hat die rechtsradikale Aryan Nations von Hassprediger Richard Butler (Victor Slezak) ihren Hauptsitz. Bei den lokalen Behörden verschließt man vor dem Problem aber die Augen. Nur der junge Deputy Jamie Bowen (Tye Sheridan) fängt an, Husk bei seinen Ermittlungen zu unterstützen. Haben die Nazis womöglich etwas mit den Bombenanschlägen auf Pornokinos und einem jüngst erfolgten Banküberfall in der Region zu tun? Obwohl solche Taten ja gar nicht zum bisherigen Vorgehen der Rassisten passten?
Was die Ermittler zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnen: Der charismatische Bob Mathews (Nicholas Hoult) hat genug von Butlers bloßem Gerede über eine rein-weiße Gesellschaft. Er will endlich Taten folgen lassen. Mit einigen Getreuen hat er sich abgespalten und eine neue Organisation gegründet. Aktuell geht es noch darum, die Kriegskasse zu füllen und neue Anhänger*innen zu rekrutieren. Doch schon bald soll der politische Umsturz mit einer Serie von Morden und Terroranschlägen beginnen...
Ein Meister der Subtilität wird Justin Kurzel nicht mehr. Wenn Husk das Anwesen von Nazi-Pastor Butler besucht, fängt die Kamera einen Jungen auf dem Klettergerüst ein, den unerwünschten Ankömmling sofort mit Hitlergruß willkommen heißt. Ähnliches gilt für die einführende Szene von „The Order“-Neumitglied Tony Torres (Matias Lucas). Da muss man weder die wahre Geschichte noch den aus der Perspektive der realen Vorlage für die Figur erzählten TV-Film „The Order – Kameradschaft des Terrors“ kennen, um seine Rolle im Finale direkt vorherahnen zu können. Am deutlichsten aber ist dies, wenn Kimmy Bowen (Morgan Holmstrom) wenig freundliche Worte für den neuen Kollegen ihres Mannes übrig hat.
Als „das Böse“ bezeichnet sie den doch eigentlich für das Gute kämpfenden Husk. Sie erkennt den zerstörerischen Pfad, auf dem sich der abgewrackte Agent bewegt. Aber gerade das macht ihn zu einer solch faszinierenden Hauptfigur – grandios verkörpert von Jude Law. Immer wieder zeigt uns Kurzel diesen einsamen Wolf in der Einsamkeit der Natur, wo er wenigstens für einen kurzen Moment seinen Frieden zu finden scheint. Sonst ist er ein vom Job aufgefressener Mann – was nicht nur die große OP-Narbe auf seiner Brust, sondern auch sein ständiges Nasenbluten verdeutlicht.
Dieser Mann hat alles Persönliche um sich zerstört, um stattdessen Verbrecher zu jagen. Dass seine Frau und seine kleinen Töchter bald nachkommen, ist ein Märchen, das er sich selbst erzählt – das wird spätestens klar, als seine vielen Anrufe nicht mehr nur unbeantwortet bleiben, sondern irgendwann sogar die Nummer abgestellt ist. Seine ihn bald bei den Ermittlungen unterstützende Kollegin Joanne Carney (Jurnee Smollett) scheint die einzige Person, die ihn zumindest ein wenig versteht – weil sie zwar ähnliches durchlebt, aber sich noch zumindest ein kleines bisschen an das echte Leben außerhalb des Jobs zu klammern vermag.
Diesem besessenen Husk stellt Kurzel den Fanatiker Mathews gegenüber. In einigen besonders starken Momenten arbeitet er auch die Gemeinsamkeiten zwischen diesen auf den ersten Blick so gegensätzlichen Figuren – dem ausgebrannten, alles von sich weg stoßenden Guten, und dem vor Kraft strotzenden, menschenfangenden Bösen – heraus. Dieses Parallelität erinnert an das legendäre Duell zwischen Al Pacino und Robert De Niro in „Heat“, welches Kurzel offensichtlich als Vorbild diente – bis hin zur persönlichen Konfrontation von Jäger und Gejagten. Die findet hier nicht in einem Lokal, sondern in der Natur statt – und zwar tatsächlich, Kurzel mag es wie gesagt wenig subtil, bei der Hirschjagd.
Seine Schauplätze ermöglichen es Kurzel und seinem Chef-Kameramann Adam Arkapaw („True Detective: Staffel 1“), ungemein viel nur über ihre starken Bilder zu erzählen: Immer wieder bildet die unberührte Natur einen Kontrast zur grausamen Ideologie der Nazis. Gleichzeitig geht Kurzel so auch ein Wagnis ein: Bei den gemeinsamen Grillfesten wirken die Rassisten wirklich wie die Familie, als die sie sich selbst sehen – zumindest bis Mathews seinem kleinen Adoptivsohn mit einer Schnellfeuerwaffe das Schießen beibringt. Doch diese scheinbar heilen Familienbilder sind wichtig, weil sie gemeinsam mit dem überzeugenden Spiel von „X-Men“-Star Hoult illustrieren, warum so viele bereit sind, seinem mörderischen Pfad zu folgen.
Ein weiteres Prunkstück von „The Order“ ist die Inszenierung der Actionszenen. Natürlich drängen sich auch bei den Überfällen auf Banken und Geldtransporter die Michael-Mann-Vergleiche auf. Aber das ist eben auch alles andere als ein schlechtes Vorbild. Schließlich ist gerade „Heat“ in Sachen Dynamik, Wucht und Intensität noch immer unerreicht. Kurzel tut alles, um da heranzureichen – und das dient hier auch der Erzählung: Je mehr Überfälle wir von Mathews und seiner Crew sehen, desto bedrohlicher wirken sie. Das sind hier nicht die lächerlichen Hinterwäldler-Stümper wie der Möchtegern-KKK in „Django Unchained“ oder einige der Rassisten in „BlacKkKlansman“. Hier sind fest entschlossene Killer am Werk, bei denen es kaum möglich scheint, sie ohne Blutvergießen zu stoppen.
Los geht „The Order“ mit der Exekution eines etwas zu redefreudigen Mitglieds der eigenen Gruppe. So lässt Kurzel die Spannungskurve direkt steil ansteigen und bis zum Ende des Films nie abflauen. Das macht „The Order“ zu einem gnadenlos-intensiven Genre-Thriller, bei dem man zwischenzeitlich sogar vergisst, dass das alles auf wahren Begebenheiten beruht. Doch keine Sorge: Das ruft uns „The Order“ spätestens mit dem Abspann noch einmal in Erinnerung!
Fazit: Inszeniert als Katz-und-Maus-Spiel auf den Spuren von Michael Manns „Heat“, macht Justin Kurzel aus der wahren Geschichte der Jagd auf eine Nazi-Terrorgruppe einen fesselnden Action-Thriller.
Wir haben „The Order“ auf dem Filmfest Venedig 2024 gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb seine Weltpremiere gefeiert hat.