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    The Rocky Horror Picture Show
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    The Rocky Horror Picture Show
    Von Jens Hamp

    Laut Brockhaus bedeutet Kult „die übertriebene Verehrung einer Person oder Sache“. Anstelle dieser trockenen Definition hätten die Verfasser der Enzyklopädie aber auch einfach ein Bild einer Aufführung der „Rocky Horror Picture Show“ verwenden können. Selbst ein filmunkundiger Lexikon-Nutzer würde so einen stimmigen Eindruck davon bekommen, was das neblige Wort „Kult“ nun eigentlich genau umschreibt: Männer mit Strapsen oder/und schrillen Kostümen, die sowohl auf der Leinwand als auch im Publikum wild tanzen. Dabei zappelt das Publikum nicht nur herum, sondern ist dazu auch noch bis unter die Zähne bewaffnet: mit Reis, Wasserpistolen, Tageszeitungen, Partyhüten, Klopapierrollen, Toastbrotscheiben und Gummihandschuhen. Denn die immer wiederkehrenden Fans verehren ihr Musical und spielen die wichtigsten Szenen mit. Sie tanzen durch die Gängen, singen die Songs lautstark mit und sorgen mit dieser treuen Gefolgschaft dafür, dass die „Rocky Horror Picture Show“ in diversen Lichtspielhäusern bereits seit seiner Uraufführung ununterbrochen gezeigt wird – und diese liegt immerhin schon mehr als 30 Jahre zurück.

    Der Weg zur dieser kultischen Ausnahmestellung war allerdings ein steiniger. Ausgangspunkt ist der 19. Juni 1973: Das von Richard O‘Brien geschriebene Musical „Rocky Horror Picture Show“ feiert auf einer kleinen Bühne in London Premiere und wird von Kritikern, dem Publikum und prominenten Fürsprechern wie Mick Jagger begeistert aufgenommen. Umzüge in immer größere Theater folgen, bis schließlich auch der Weg auf amerikanische Bühnen geebnet ist. Da das Musical sich bereits eine beachtliche Zuschauergemeinde erarbeitet hat, erhofft sich 20th Century Fox auch von der Kinoversion einen großen Erfolg. Doch die Zuschauermassen bleiben zunächst aus, erst als die „Rocky Horror Picture Show“ in die Mitternachtsvorstellungen verbannt wird, kristallisiert sich eine Anhängerschaft heraus, die den Film immer und immer wieder besucht und schließlich sogar beginnt, die Leinwandhandlung in das Geschehen im Zuschauersaal zu „integrieren“. Ein Kult war geboren!

    Zwischen den das Musical prägenden Rocksongs wird die Geschichte von Brad (Barry Bostwick) und Janet (Susan Sarandon, Thelma And Louise, Speed Racer) erzählt: Das frisch verlobte Paar fährt nach einer Hochzeitsfeier durch das verregnete Hinterland und erleidet mitten im Nirgendwo eine Autopanne. In einem einsamen Schloss erhoffen die beiden, Hilfe zu finden. Als ihnen der bucklige Butler Riff Raff (Richard O’Brien, Dark City, Flash Gordon) die Tür öffnet, finden sich die beiden jedoch plötzlich inmitten einer skurrilen Festgesellschaft wieder. Diese wartet sehnsüchtig darauf, dass der Strapsen tragende Schlossherr Frank N. Furter (Tim Curry, Scary Movie 2, Congo) sein muskulöses Adonisgeschöpf Rocky Horror (Peter Hinwood) endlich zum Leben erweckt…

    Der australische Regisseur Jim Sharman arbeitete bereits im Rahmen der Musical-Aufführungen mit O’Brien zusammen und trug der gewollt zweitklassigen Inszenierung auch bei der filmischen Umsetzung bewusst Rechnung. Die Kulissen sind billig, die Kostüme ausgeflippt und die Effekte auf einem extrem veralteten Stand. Die Darsteller wurden direkt angewiesen, so überspitzt wie möglich zu agieren. Besonders gut funktioniert dies bei den Hauptdarstellern. Oscar-Preisträgerin Susan Sarandon (für Dead Man Walking) ist mit „schwacher“ Singstimme und verschüchtertem Auftreten eine wunderbare Heldin, die herrlich von ihrem spießigen und stocksteif agierenden Verlobten Barry Bostwick (der New Yorker Bürgermeister aus der Sitcom „Chaos City“) ergänzt wird. Überschattet wird das restliche Ensemble allerdings von Tim Curry, der auch nach 30 Jahren seine überzogen-trashige Vorstellung noch nicht überwunden hat und stets an diesem einen grandiosen Auftritt gemessen wird. Und nicht nur mimisch ist Curry eine Wucht – auch stimmlich haut er den Zuhörer mit seinem kraftvollen Organ aus den Socken.

    Dieser gewaltigen Vorstellung kann eigentlich nur der geheime Star des Films das Wasser reichen: Der einstige Bond-Bösewicht Charles Gray (Ernest Stavro Blodfeld in „Diamantenfieber“) spielt einen Kriminologen, der in wenigen Szenen als Erzähler abseits der eigentlichen Handlung auftaucht. Stocksteif und bist obenhin zugeknöpft berichtet er von den Ereignissen – zumindest bis der „Time Warp“ einsetzt: Während Gray in kurzen Zwischenschnitten die Tanzschritte erklärt, tanzt er später im Rahmen der eigentlichen Handlung ausgelassen auf seinem Schreibtisch mit. Dieser Auftritt ist noch komischer, wenn man Grays im Nachhinein getätigten Aussagen trauen mag: Dieser behauptete nämlich Zeit seines Lebens, dass er den fertigen Film nie gesehen habe und daher auch nicht wisse, für was seine Szenen eigentlich verwendet wurden.

    Obgleich mit Gray ziemlich früh ein Krimi-Element eingeführt wird, ist das von O’Brien ersponnene Szenario eigentlich eine ziemlich offensichtliche Hommage an das Science-Fiction- und Horror-Genre. Bereits das während der Eröffnungsszene von roten Lippen vor schwarzem Hintergrund gesungene „Science Fiction/Double Feature“ gibt einen Vorgeschmack auf die folgenden Ereignisse und verbeugt sich textlich vor klassischen Genrewerken und klischeebehafteten B-Movie-Perlen. Die Referenzen werden schließlich von der alles überschattenden Allegorie auf das Schaffen „Frankensteins“ zusammengehalten.

    Dr. Frank N. Furter beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Vorführung seines gottgleichen Könnens im Spiel mit Leben und Tod, sondern modelliert sich zugleich auch den perfekten Mann: als Sexspielzeug. Dieser freizügige Umgang mit Sexualität ist prägend für den Film und zudem ein aussagekräftiges Zeitzeugnis. Als O’Brien das Musical schrieb, dauerte die sexuelle Revolution noch immer an. Folge hiervon ist, dass im Film – abseits der Kamera – ein frivoles Treiben herrscht: Jeder macht‘s mit jedem! Dabei versinnbildlichen Brad und Janet offenkundig die noch unaufgeklärten, puritanischen Bürger. Die experimentierfreudige Festgemeinde führt das zunächst verklemmte Pärchen erst in die unbegrenzten Möglichkeiten der sexuellen Spielweisen ein und ändert/verbessert so deren Einstellung zum (Sexual-)Leben.

    Kernstück eines Musicals sind natürlich die Songs und ihre Darbietung. Da so etwas wie Choreographie nur in wenigen Szenen zum Tragen kommt, sind vor allem die famosen Stücke für den Erfolg der „Rocky Horror Picture Show“ ausschlaggebend. Der „Time Warp“ wurde zu einem legendären Partyhit, „Hot Patootie (Bless My Soul)“ ist eine von Meat Loaf großartig intonierte Erinnerung an den Rock ’n’ Roll der Fünfziger, „Touch-a, Touch-a, Touch Me“ verbildlicht die aufkeimenden Sehnsüchte der sexuellen Revolution und „Don’t Dream it“ schließlich ist ein wunderbar melancholischer Aufruf zu mehr Toleranz.

    Mittlerweile haben vernarrte Wiederholungstäter dafür gesorgt, dass die „Rocky Horror Picture Show“ alleine in den USA weit mehr als das 100-fache ihres Budgets einspielen konnte. Wahrscheinlich werden sich einige fragen, wieso gerade dieser sinnlose und penetrant schräge Film ein derartiger Kulterfolg geworden ist. Eine befriedigende Antwort findet man vermutlich nur, wenn man einmal eine durchdrehende Fanmeute bei einer Rocky-Horror-Vorstellung miterlebt hat. Denn das rockige Musical ist vor allem dann ein grandioses Ereignis, wenn das Publikum mitmacht. Aber auch stilistisch ist diese Hommage an das Science-Fiction-Kino absolut treffsicher und die Songs sind unzweifelhaft ein Schmaus für die Ohren.

    Dass Kulterfolge nicht einfach wiederholbar sind, mussten die Produzenten übrigens feststellen, als die als Medien-Satire konzipierte Fortsetzung „Shock Treatment“ nur sehr mäßig aufgenommen wurde. Diese Konsequenz war letztlich nur logisch. Es gibt kein patentiertes Kochrezept für Kult, dieser muss sich aus sich selbst entwickeln. Und in dieser Hinsicht kann auch nach über 30 Jahren niemand der „Rocky Horror Picture Show“ etwas vormachen.

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