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    The Survival Of Kindness - Das Überleben der Freundlichkeit
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    The Survival Of Kindness - Das Überleben der Freundlichkeit

    "The Last Of Us" trifft "Fallout" – aber als abstraktes Konzeptkino

    Von Christoph Petersen

    Die erste Einstellung des Berlinale-Wettbewerbsbeitrags „The Survival Of Kindness – Das Überleben der Freundlichkeit“ zeigt ein Modellbau-Dorf, dessen Detailreichtum man sicherlich als „liebevoll“ umschreiben würde, wenn nur das dargestellte Szenario nicht so grausam wäre: An den Ecken stehen Männer mit Gasmasken und Gewehren, während die Wege gesäumt sind mit den Leichen nicht-weißer Menschen, viele von ihnen nackt und gefesselt.

    Offensichtlich hat hier gerade ein Massaker stattgefunden – und dennoch wurde das Modell nicht etwa als Mahnmal für die Ausstellung in einem Museum, sondern als eine Art Partygag angefertigt: Plötzlich kommt ein überdimensioniertes Messer ins Bild und das modellierte Schreckensszenario entpuppt sich als Tortengarnitur. Die Kamera zoomt zurück – und wir sehen die Schlächter nun auch in echt, wie sie freudig unter ihren Gasmasken grunzen.

    BlackWoman (Mwajemi Hussein) wird bei dieser Begegnung zwar nicht ihr Leben, aber dafür ihre gerade in der Wüste so wichtigen Schuhe verlieren...

    Schon hier, nach nur wenigen Sekunden, fragt man sich das erste Mal, ob der Titel des Films womöglich nur ironisch gemeint ist. In der von einer ansteckenden Seuche heimgesuchten postapokalyptischen Welt des australischen Regisseurs Rolf De Heer („Charlie’s Country“) ist schließlich nicht nur die Menschlichkeit, sondern auch die verbale Kommunikation weitgehend zum Erliegen gekommen: Die Jagd auf alle Nicht-Weißen machenden Gasmaskenträger stoßen nur noch schweineartige Geräusche aus, was schon etwas Verstörend-Komisches an sich hat.

    Der Rest kommuniziert mit Satzfetzen in einem babylonischen Sprachen-Wirrwarr, das auch fürs Publikum nicht etwa in Form von Untertiteln aufgelöst wird. Vor dem Haus mit der Tortenparty wird eine Schwarze Frau, im Abspann als BlackWoman (Mwajemi Hussein) aufgeführt, in einen käfigartigen Anhänger verfrachtet, der später mitten in der Wüste zurückgelassen wird. Hier soll sie also sterben, von oben die knallige Sonne und von unten die Ameisen, die in Supernahaufnahme aus den Narben des getrockneten Bodens hervorkrabbeln…

    Zu viel postapokalyptisches Allerlei

    Schließlich die Flucht: BlackWoman gelingt es mit einer mühsam angespitzten Eisenstange doch noch zu entkommen – angefeuert von einem Sinne-sprengenden Sound-Design, das jede noch so kleine Bewegung der sich nur widerwillig lösenden Schraube überhöht. So weit, so vielversprechend – zumal die ursprünglich aus dem Kongo stammende Schauspieldebütantin Mwajemi Hussein eine beeindruckende Präsenz aufweist. Aber dann verliert sich „The Survival Of Kindness“ für einen Großteil der Laufzeit erst einmal in den üblichen Stationen des postapokalyptischen Kinos:

    BlackWoman wandert umher. In Ruinen trifft sie einen Gasmaskenmann, der sie zwar nicht erschießt, aber ihr die Schuhe klaut; wenig später kommt sie an ein Haus, vor dem ein Mann um seine tote Frau trauert und von dem sie neue Schuhe im Tausch für einen Becher Wasser bekommt. Es sind die typischen Roadmovie-Miniaturen, die man aus dem Genre nur allzu gut kennt – und denen auch Rolf de Heer trotz seines abstrakt-allegorischen Ansatzes kaum noch etwas Neues abzuringen vermag.

    In der postapokalyptischen Welt von "The Survival Of Kindness" grassiert nicht nur der Rassismus, sondern auch eine tödliche Seuche.

    Etwas mehr Zug kommt erst in den Film, wenn BlackWoman schließlich eine Stadt erreicht. Ein Flüchtender hat ihr ein Behältnis mit weißer Farbe zugeworfen, mit der sie sich nun die Partie um die Augen geschminkt hat – so kann sie unbemerkt unter den Weißen wandeln, jedenfalls solange sie selbst auch eine Gasmaske trägt. Aber da man nie erfährt, was BlackWoman eigentlich vorhat (für ihr geplantes Eindringen in ein Industriewerk gibt es zumindest keine offensichtliche Motivation), verharrt „The Survival Of Kindness“ weiter in einer betont abstrakten Form (so sind auch die Gräueltaten in der Stadt, etwa die Steinigung eines eingesperrten Mannes, nicht ausgestellt brutal, sondern eher bühnenhaft-angedeutet inszeniert).

    Für das Vorhaben des Films ergibt diese Ziellosigkeit auch durchaus Sinn. Wir werden hier natürlich das Ende nicht spoilern, aber Rolf de Heer strebt keine klassische Klimax an, sondern eher eine Kreisbewegung, die einen endgültig am „Versprechen“ des Titels zweifeln lässt. Der Regisseur hat den ganzen Film aus einem einzelnen Bild in seinem Kopf entwickelt – nämlich das eines schwarzen Mannes in einem Käfig mitten in der Wüste (damals sah er noch seinen indigenen Stammschauspieler Peter Djigirr in der Hauptrolle). Aber vielleicht wäre die Umsetzung kraftvoller gewesen, wenn die Einbettung dieses starken Bildes in einen ganzen Film nicht ganz so verkopft vonstattengegangen wäre.

    Fazit: Gerade am Anfang und gen Ende findet Rolf de Heer einige wirklich intensiv-verstörende Bilder für seine Rassismus-Allegorie, aber der lange Wandern-durch-die-Postapokalypse-Teil in der Mitte hat vergleichbaren Genreproduktionen von „The Road“ bis „The Last Of Us“ kaum etwas Neues hinzuzufügen. Die bewusst abstrakt gehaltene Welt macht aus „The Survival Of Kindness“ ein streng-konzeptionelles Experiment, das auf einer rein intellektuellen Ebene durchaus reizvoll ist, aber dabei längst nicht so an die Nieren geht, wie es das angesichts der omnipräsenten Grausamkeiten womöglich sollte.

    Wir haben „The Survival Of Kindness“ im Rahmen der Berlinale 2023 gesehen, wo der Film in den offiziellen Wettbewerb eingeladen wurde.

     

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