Ein Vierbeiner vor Gericht!
Von Jochen WernerDie Anwältin Avril (Laetitia Dosch) ist selbsternannte „Spezialistin für aussichtslose Fälle“. Die Überzeugung, dass auch die offenkundig Schuldigen in hoffnungslosen Prozessen immer Gründe und Hintergründe ihrer glasklar erwiesenen Taten haben, scheint das Fundament ihrer Arbeit zu bilden. Dummerweise gewinnt sie folglich aber eigentlich nie einen Fall, und das geht ihrem Chef Jérôme (Pierre Deladonchamps) dann irgendwann doch gegen den Strich – womit er herausrückt, nachdem er Avril erst einmal ausführlich aus seinem Sexleben berichtet hat. Avril braucht also dringend einen Prozess, den sie sicher gewinnen kann. Und deshalb lehnt sie den Fall des sehbehinderten Dariuch Michowski (François Damiens) und seines Hundes Cosmos auch erstmal entschieden ab. Nur um dann, als sich die entzückende Promenadenmischung auf ihrem Schreibtisch breit macht, doch nicht Nein sagen zu können.
Cosmos ist zur Einschläferung verurteilt, nachdem er der portugiesischen Haushälterin Lorene (Anabela Moreira) ins Gesicht gebissen hat – die Gesetzeslage ist hierbei völlig klar, ohne Raum für Zweifel oder mildernde Umstände. Ein weiterer jener aussichtslosen Fälle, die Avril so gern vertritt. Ein juristischer Kniff fällt ihr aber dann doch ein, und indem sie einen frustrierten Richter bei seiner Berufsehre (oder doch eher: Eitelkeit) packen kann, kommt sie dann sogar damit durch: In einem seit dem Mittelalter präzedenzlosen Prozess verteidigt sie den Hund Cosmos nicht, wie ansonsten juristisch vorgesehen, als Sache im Eigentum des Halters, sondern als Individuum. Wie einen Menschen eben…
Der Plot beruht tatsächlich vage auf einem authentischen Fall aus den früher Zehnerjahren. Da wurde im Schweizer Kanton Waadt durch mehrere Instanzen um das Schicksal des bissigen Hovawart-Hundes Chalom prozessiert. Vor dessen Einschläferung im Jahr 2016 erwog dessen Besitzer sogar, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu bringen. Ein schöner Ausgangspunkt für die juristische Was-Wäre-Wenn-Fantasie, die die als Schauspielerin unter anderem aus Filmen von Justine Triet oder Catherine Corsini bekannte Laetitia Dosch in ihrem Regiedebüt durchspielt. Ein Stoff, der allerlei hergibt und den man ebenso gut als warmherzige Komödie wie als grelle Satire oder auch als moralphilosophischen Gerichtsfilm inszenieren könnte. Dosch entscheidet sich allerdings dafür, all diese Ansätze in die gerade mal 80 Minuten von „Hundschuldig“ zu stopfen, und das macht ihren Film jedenfalls einigermaßen atemlos.
In halsbrecherischem Tempo wechselt der Film also von Anfang an die Tonlagen, stürzt sich hier in schrillen Klamauk und reißt dort urplötzlich und kurz einen schwarzhumorigen Abgrund auf, bevor es dann wieder weiter im juristischen Geschehen geht. Auch für einen Nebenplot um die nicht immer ganz altersgerechte Freundschaft Avrils zum elfjährigen, zu Hause vermutlich misshandelten Nachbarjungen Joachim (Tom Fiszelson) ist noch Platz. Und als der Tiertrainer Marc (Jean-Pascal Zadi) herausfindet, dass der angeklagte Hund vermutlich ein Sexist ist, beginnt das Schlagwortbingo erst so richtig.
Man muss „Hundschuldig“ unbedingt zugutehalten, dass der Stoff sowie die Weise, in der er erzählt ist, durch und durch originell sind – man kann sich nicht erinnern, einen vergleichbaren Film schon einmal gesehen zu haben. Das heißt allerdings nicht unbedingt automatisch, dass auch alles daran funktionieren würde. Na klar, das Disparate gehört hier zum Konzept, und dass die verschiedenen Stimmungslagen nicht ineinander aufgehen, sondern auch mal zerschossen und wie aus verschiedenen Filmen stammend aufeinanderprallen, ist absolut erwünscht. Und doch mag man „Hundschuldig“ nicht so ganz vorbehaltlos gelungen finden, denn selbst die erfreulich verknappte Laufzeit von 80 Minuten zieht sich in der zweiten Filmhälfte dann doch ein wenig. Zumindest bis einen der ziemlich kaltschnäuzig hingeknallte Schlusstwist – oder ist es überhaupt wirklich einer? – dann doch versöhnt aus dem Kino entlässt.
Und auch der idiosynkratische Humor, der all die Stimmungs- und Tempowechsel mehr oder weniger zu einem strukturierten Ganzen zusammenbindet, erschließt sich nicht immer – manches in „Hundschuldig“ wirkt einfach wie ein Privatwitz, der nicht unbedingt auf Außenstehende überzuspringen vermag. Aber das sind alles zwar valide, aber im Großen und Ganzen auch vernachlässigbare Kritikpunkte, die den Umstand nicht verdecken sollen, dass „Hundschuldig“ ein ziemlich einzigartiger Film geworden ist. Ein originelles, persönliches und (mitunter vielleicht sogar etwas über-)ambitioniertes Regiedebüt einer Filmemacherin, deren nächste Arbeiten man unbedingt mit Spannung erwarten darf.
Fazit: Nicht alles funktioniert im Regiedebüt der Schauspielerin Laetitia Dosch, und manche der rasanten Wechsel in Tempo und Stimmungslage wirken wie aus unterschiedlichen Filmen zusammengeworfen. Aber dieses Zerschossene gehört letztlich zum ästhetischen Konzept von „Hundschuldig“, einer ziemlich einmaligen Melange aus ethischem Gerichtsfilm und greller Satire. Der sehr spezifische Humor des Sujets und der Inszenierung wird sich sicher nicht jedem erschließen, aber eine Chance geben sollte man diesem charmanten und originellen Film unbedingt.
Wir haben „Hundschuldig“ im Rahmen des 19. Around the World in 14 Films Festival gesehen.