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    Murder in the First
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Murder in the First
    Von Lars-Christian Daniels

    Das Hochsicherheitsgefängnis Alcatraz in der Bucht von San Francisco beherbergte von 1934 bis 1963 eine ganze Reihe namhafter krimineller Schwergewichte. Ganoven wie Al Capone oder Alvin Karpis bewohnten einst die kargen Zellen der heutigen Touristenattraktion. Offiziell gelang keinem Insassen jemals die Flucht, wenngleich Hollywood mit Filmen wie Don Siegels Flucht von Alcatraz oder dem Actionblockbuster The Rock gerne immer wieder Zweifel an diesem Mythos schürt. Marc D. Roccos Justiz-Drama „Murder In The First“ beleuchtet das Schicksal eines weniger prominenten Häftlings: Henri Young, der wegen einer Lappalie in Alcatraz einsitzt, muss nach einem gescheiterten Fluchtversuch drei Jahre unmenschliche Isolationshaft durchleben und wird dadurch zum Mörder. Ein überragender Kevin Bacon in der Rolle des psychisch schwer gestörten Opfers ist die größte Stärke des spannenden und erschütternden Dramas, dessen Geschichte jedoch spätestens auf der Zielgeraden eine Spur zu pathetisch erzählt wird und dessen Drehbuch zu selten die ausgetretenen Pfade des Genres verlässt.

    San Francisco, 1941: Henri Young (Kevin Bacon, Footloose, The Woodsman) ist einer von vier Ausbrechern, die bei ihrer Flucht von Alcatraz geschnappt werden. Da zwei seiner Begleiter sterben und der dritte ihn bei der Gefängnisleitung anschwärzt, steckt der sadistische stellvertretende Direktor Milton Glenn (Gary Oldman, Air Force One, The Dark Knight) ihn allein und nackt ins sogenannte „Loch“ – eine kleine, nasse Steinzelle in fast vollkommener Dunkelheit. Als Henri nach drei Jahren psychischer und physischer Folter wieder in den regulären Haftbetrieb überführt wird, ersticht er vor zweihundert Zeugen jenen Mitgefangenen, der ihn einst denunzierte. Er wird des Mordes angeklagt und bekommt den jungen Pflichtverteidiger James Stamphill (Christian Slater, Der Name der Rose, True Romance) zur Seite gestellt, der die Zustände in Alcatraz ohne Rücksicht auf seine eigene Karriere aufdecken will. Vor Gericht trifft Stamphill auf den Staatsanwalt William McNeil (William H. Macy, Magnolia, Born To Be Wild), dessen Leute mit aller Macht verhindern wollen, dass die Haftbedingungen an die Öffentlichkeit geraten…

    Drehbuchautor Dan Gordon präsentiert mit dem Waisenkind Henri Young eine Hauptfigur, die wegen des Diebstahls von fünf Dollar (!) nach Alcatraz verschifft wird. „This film is inspired by a true story“, heißt es zu Beginn, bevor skizziert wird, wie er und die anderen Ausbrecher geschnappt und dafür missbraucht werden, in der Presse den Mythos der ausbruchssicheren Festung zu befeuern. Der reale Henri Young wurde allerdings keineswegs wegen eines Kavaliersdelikts eingebuchtet. Er war ein gefährlicher Bankräuber, Entführer und Mörder, der im Gefängnis zudem weitaus weniger Qualen erleiden musste. Gordon passt sein Drehbuch den Hollywoodkonventionen an und verstärkt durch die kindliche Unschuld des Protagonisten gezielt das Verständnis des Zuschauers für dessen Bluttat. Wer sich auf diese Prämisse einlässt, wird zwei Stunden lang mit einer fantastischen Performance von Kevin Bacon belohnt, die selbst die Leistungen des engagierten Christian Slater und des gewohnt starken Gary Oldman in den Schatten stellt.

    Bacon erhält ausgiebig Gelegenheit, seinen enormen Facettenreichtum unter Beweis zu stellen. Das erste Filmviertel dokumentiert in verstörenden Bildern die Isolationshaft im „Loch“, dessen Grausamkeit selbst die Einzelzelle in Frank Davenports Stephen-King-Verfilmung The Green Mile oder die Foltermethoden in Oliver Hirschbiegels Das Experiment übertrumpft. Der dahinvegetierende Henri versucht, mit Rechenspielchen und gedanklicher Rekonstruktion von Baseballspielen dem Wahnsinn zu entfliehen, ähnlich dem Helden aus Stefan Zweigs „Schachnovelle“, der aus Verzweiflung berühmte Schachpartien nachspielt. Als Henri drei Jahre später wieder Tageslicht zu Gesicht bekommt, stellt er ein Bild des Grauens dar. Bleich, fast so ausgemergelt wie Christian Bale in Der Maschinist, zerzaust und vollkommen labil erinnert er an die Kreatur Gollum aus Herr der Ringe, die wie Henri allein in einer nassen Steinhöhle haust. Auch in den späteren Sequenzen, in der er seinem Anwalt ängstlich Rede und Antwort steht, ist Henri häufig mehr Tier als Mensch: Er kriecht gebückt umher, wälzt sich auf dem Boden und streift wie ein Raubtier im Zoo an den Gitterstäben seines Käfigs entlang. Nicht nur hier verleiht Kevin Bacon seiner Figur eine unheimliche Intensität, die durch die kindischen Grimassenspiele mit einem Kind im Gerichtssaal und seine pubertäre Gier nach weiblichem Besuch perfekt abgerundet wird.

    Christian Slater hat im Vergleich zu dieser Glanzleistung einen schweren Stand, weiß in der Rolle des frischgebackenen Harvard-Absolventen und Jungjuristen James Stamphill aber ebenso zu überzeugen. Seine Figur ist jedoch weitaus eindimensionaler angelegt, sie ähnelt Anwalt Jake Tyler Brigance (Matthew McConaughey) aus der Grisham-Verfilmung „Die Jury“. Der junge Stamphill ist ebenso gutaussehend wie naiv und begeht vor Gericht Fehler, gleicht seine mangelnde Erfahrung aber durch einen unbekümmerten Ehrgeiz wieder aus. Unterstützung erhält er dabei von seiner Freundin und Kollegin Mary McCasslin (Embeth Davidtz, Junebug), der aber ebenso wie Staatsanwalt McNeil nur wenig Entfaltungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Weitaus nachhaltiger bleibt Gary Oldman als eiskalter, brutaler Direktor Milton Glenn in Erinnerung.

    „Wenn man diese Tiere in dem Glauben lässt, dass eine Flucht möglich ist – dann kann man ebenso gut gleich eine Drehtür einbauen.“

    So stark die Besetzung, so überschaubar der Einfallsreichtum des Drehbuchs. Das Geschehen im Gerichtssaal bietet wenig Innovatives, das über das klassische „Einspruch! Abgelehnt.“-Muster hinausgeht. Fast wünscht man sich, „Murder In The First“ würde noch stärker die unmenschlichen Foltermethoden auf Alcatraz beleuchten, statt ausgiebig die Bedeutung des brisanten Falls für die kurz vor dem Kriegseintritt stehenden Vereinigten Staaten auszuloten. Die Stars and Stripes, die kurz vor Ende des Films plakativ durch das Bild flattern, sind ebenso pathetisch wie unnötig und rauben dem Drama einen Teil seiner beklemmenden Wirkung. Nichtsdestotrotz bleibt „Murder In The First“ ein sehenswerter Geheimtipp, der mit erschütternden Bildern an die Nieren geht und seine Drehbuchschwächen mit einem brillant aufspielenden Kevin Bacon kompensiert.

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