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    Blues Brothers
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Blues Brothers
    Von Martin Soyka

    Lang zieht sich die Eröffnungseinstellung dahin. Die Kamera fliegt über ein Industriegebiet im Morgengrauen dahin. Hochöfen schmauchen, Dämpfe steigen auf. Hier gibt es nichts Grünes oder Schönes. Die Schattenseiten einer Metropole, von Chicago. Schon jetzt wird klar: Wir werden uns die nächsten zweieinhalb Stunden nicht auf der Sonnenseite des Lebens bewegen. Fast wie eine Insel der Ruhe erscheint das ins Bild kommende Gefängnis. Anders als bei dem Chaos dort draußen herrscht hier Ordnung, sogar Rasen ist zu sehen. Ein noch anonymer Gefangener (John Belushi) wird von zwei Wärtern vorbei am Gejohle der Mithäftlinge zum Entlassungsschalter geführt. Gedrungen wirkt er, unangepasst. Dann werden ihm von einem herablassenden Justizmitarbeiter (Frank Oz) seine Habseligkeiten ausgehändigt. Schwarze Hose, schwarze Jacke, ein Hut - schwarz. Ein unbenutztes Präservativ und - ein benutztes. Eine zerbrochene Timex-Digitaluhr und eine Sonnenbrille. Dazu Kleingeld. Es wird klar: Hier wird mehr als nur eine Rest-Existenz ausgehändigt, hier bekommt ein Mann seine Identität zurück. Der Noch-Gefangene, der auf den Rückseiten seiner Finger tätowiert ist - wir lesen J - A - K - E - unterzeichnet. Mit X, denn Schreiben hat er nie gelernt. Draußen ist derweil ein wrackiges Polizeiauto vorgefahren. Der Insasse (Dan Aykroyd) - lang und schlacksig - ist ebenfalls auf den Fingern tätowiert (E - L - W - O - O - D). Der Look ist der gleiche. Quälend langsam öffnen sich die überdimensionalen Gefängnistore. Die Silhouette des Knastbruders erscheint im Gegenlicht. Wäre es kein Gefängnis, könnte man auf die Idee kommen, der Wiedergeburt eines Superhelden beizuwohnen (denn genauso ist es). Leise hört man eine erstes Gitarrenriff. Die Männer treten sich entgegen. Jetzt sehen wir zum ersten Mal ihre Gesichter. Ihre Augen sehen wir wegen der Sonnenbrillen natürlich nicht. Sie umarmen sich. Der Song im Hintergrund nimmt Fahrt auf, der Wagen ebenso. Die „Blues Brothers“ sind wieder vereint. Einer der größten Kultfilme aller Zeiten hat begonnen.

    Die Geschichte, die erzählt wird, ist der Rede nicht wirklich wert. Jake und Elwood haben nur einen persönlichen Bezugspunkt: das Waisenhaus, in dem sie aufgewachsen sind und in denen ihr Quasi-Vater Curtis (Cab Calloway - ebenfalls im schwarzen Sonnenbrillen-Outfit) und die strenge „Pinguintante“, eine schlagkräftige Nonne mit einem ebenso goldenen wie schwer erkennbaren Herzen, leben. Das Haus soll wegen Steuerschulden geschlossen werden. Fünf große Lappen fehlen. Und die müssen unsere Antihelden beschaffen. Einziges Problem: mit legalen Mitteln (sonst wäre der Film schon nach zehn Minuten zu Ende, kein Zweifel). Zu einer regelrechten Mission wird die Aufgabe während eines Besuchs einer Gospel-Kirche. Jake und Elwood werden göttlich erleuchtet. Sie haben jetzt einen Auftrag von höchster Stelle. Und der Plan steht fest: „Wir bringen die Band wieder zusammen.“ Doch ganz so einfach wie der euphorisierte Jake sich das vorstellt, ist es nun auch wieder nicht. Denn die Band ist in alle Winde zerstreut, alle haben „korrekte Jobs“, oder was Elwood dafür halten mag.

    Von jetzt an hakt der Film eigentlich nur noch Stationen ab: die Suche nach den Band-Kollegen, zwei Gigs und das Verbringen der Einnahmen zur Steuerstelle des Countys. Würze erhält die Geschichte durch die hübschen Nebenkriegsschauplätze, denn Jake und Elwood haben eigentlich nur zwei echte Talente: Musik und sich Feinde machen. So kommt es, dass die Band bald von allen möglichen Widersachern verfolgt werden: von der Polizei (Elwoods rabiater Fahrweise wegen), einer rivalisierenden Country-Band (weil sie ihnen mit Nigger-Musik einen Gig weggeschnappt haben) und Neo-Nazis (weil die wegen den beiden ein unfreiwilliges Bad in einem Fluss nehmen mussten). Außerdem macht eine namenlose, aber martialisch hochgerüstete Frau Jagd auf die beiden, und das nur, weil Jake sie am Altar hat stehen lassen - wie kleinlich. Bei den Autoverfolgungsjagden, die übrigens sonntags an Originalschauplätzen gedreht wurden, gehen unzählige Autos zu Bruch, sogar eine ganze Shopping-Mall (ebenfalls keine Kulisse, sondern echt, aber unbenutzt) werden fahrerisch in Kleinholz verwandelt. Mit Bazookas wird auf unsere Helden geschossen und die Bleibe von Elwood mittels einer Funkbombe buchstäblich in Schutt und Asche verwandelt. Jeder andere Mensch hätte längst schreiend das Weite gesucht, nicht jedoch die beiden Brüder. All das nehmen sie hin, ohne eine Miene zu verziehen. Gegen alle massiven Widerstände erreichen sie ihr Ziel: den einen Gig, der alles zum Guten wenden soll...

    Doch der Film ist mehr als eine Destruction-And-Car-Chase-Comedy. Dies erreicht er durch inflationäre Gastauftritte namhafter Stars aus Musik und Film. Die Palette reicht von Soul-Legenden wie James Brown, Cab Calloway, Aretha Franklin und Ray Charles - um einige zu nennen - bis hin zu Frank Oz (Regisseur und Puppenspieler von Kermit und Yoda) und Steven Spielberg (ganz recht: als Steuerfachangestellter!). Und die Musiker lassen es sich nicht nehmen, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Es wird performed, bis sich die Balken biegen. Disco? Vergiss es. Wir geben dir mehr: Soul, Rhythm and Blues und Blues. Wir zeigen dir die Wurzeln. Hier wirst du geerdet. Die Songs werden entweder auf einer Bühne dargebracht („Gimme some lovin´“, „Everybody needs somebody to love“, „Sweet Home Chicago“), laufen im Hintergrund des Soundtracks („Peter Gunn Theme“, „She caught the Caty“) oder tragen sogar die Handlung („Think“, „Shake your talifeather“). Und damit geschieht etwas eigenartiges: Auf einmal wird aus dem Film ein Musical. So war es auch von Regisseur John Landis beabsichtigt, einem totgesagten Genre neue Impulse zu verleihen. Das ist ihm rückblickend zwar nicht wirklich gelungen, aber der Versuch verdient Respekt.

    Ende der 70er Jahre dominierten in der Popkultur schrille Farben und Disco-Musik. Die jungen Menschen nahmen das Leben so locker wie nie zuvor in der Geschichte. Die Revolution der Jugend hatte gesiegt, sie waren als zahlkräftige Zielgruppe entdeckt und damit gesellschaftlich anerkannt. In dieser Zeit mussten die beiden Ikonen, denen wir hier begegnen, so fremdartig gewirkt haben wie Aliens. Sie tragen Schwarz. Punkt. Die Sonnenbrillen und Hüte werden nicht einmal zum Schlafen abgenommen. Sie definieren das Wort „cool“ neu. Sie müssen nicht cool sein, denn andere Gemütszustände kennen die beiden gar nicht. Ihre Verantwortlichkeiten innerhalb des Teams sind klar aufgeteilt: Elwood fährt und bläst die Blues-Harp, Jake singt und führt die Band an, nicht immer zum Wohlgefallen seiner Mitstreiter. Und das Beste ist: Der Film funktioniert wunderbar, und zwar in jeder Hinsicht. Als Comedy ebenso wie als Car-Chase-Movie oder als Musikfilm. Dass die Handlung nachher buchstäblich abhebt, etwa wenn das Bluesmobil sogar das Fliegen lernt (und dabei selbst bei wohlwollendster Betrachtung Manöver vollführt, die schlicht nicht möglich sind, selbst mit göttlicher Hilfe) - egal.

    Die Figuren Jake und Elwood treten keineswegs in diesem Film zum ersten Mal auf. Vielmehr stammten sie ursprünglich aus dem Rahmenprogramm der Kult-TV-Show „Saturday Night Live“. Dort war und ist es Usus, musikalische Gäste auftreten zu lassen, die an meist zwei Stellen der Show ihre Kunst darboten. Und so kam es, dass John Belushi und Dan Aykroyd dort unter Pseudonym sangen und mit der Band, die im Film zu sehen ist, diverse Male auftraten. Dort formte sich das Outfit (der erste Auftritt wurde in einem Bienenkostüm absolviert!), der Habitus und sogar fiktive Lebensläufe wurden erarbeitet. Aus diesem Grund tragen die Band-Kollegen im Film auch ihre wahren Namen. Die Band wurde immer populärer und begann, eigene Konzerte zu geben. Sie wurden als Vorprogramm für Steve Martin für eine Open-Air-Veranstaltung in Hollywood gebucht - und stahlen ihm die Show. Dann veröffentlichten sie noch vor dem Film ihr erstes Album, ein Mitschnitt genau dieses Auftritts, das als „Briefcase full of Blues“ zur bis heute meistverkauften R’n’B-Scheibe wurde. Der Film war nur eine Frage der Zeit. Aykroyd setzte sich irgendwann hin und begann ein Drehbuch zu schreiben. Dabei hatte er so viele Ideen, dass eine Verfilmung dieses Drafts acht Stunden lang gewesen wäre.

    Ihm schwebte vor, jedes Bandmitglied einzeln zur Rückkehr in die Band zu überzeugen. Dieser Teil wurde von Regisseur Landis bei der Überarbeitung gestrafft, sodass es bei nur drei Überredungsaktionen verblieb. Trotzdem geriet ein erster Schnitt des Films immer noch viel zu lang, über drei Stunden. Schweren Herzens trennte sich Landis von vielen lieb gewonnenen Szenen. Nachdem es in den vergangenen Jahren in Mode gekommen ist, von erfolgreichen Stoffen verlängerte Versionen auf DVD zu veröffentlichen, machte sich auch Landis an dieses Unterfangen. Dabei musste er zu seinem Entsetzen feststellen, dass nur noch Fragmente der weggefallenen Szenen aufgehoben worden waren. Der Rest war vom Studio vernichtet worden. Trotzdem sind in der DVD Szenen zu finden, welche die Herzen jedes Bluesianers höher schlagen lassen: verlängerte Musikszenen oder Eindrücke von Elwoods Arbeitsplatz (den er kündigt, um Priester zu werden!). In der deutschen Version sind diese Szenen nicht synchronisiert worden, ein guter Grund, den Film im Original anzuschauen, denn auch wenn die Synchro akzeptabel ist, ist der Witz des Originals in Deutsch nicht reproduzierbar. Beispiel: Jake und Elwood setzen sich in ein piekfeines Restaurant, um den Chef, ihren ehemaligen Trompeter Mr. Fabulous, zum Mitmachen zu bewegen. Planmäßig benehmen sie sich total daneben. Nach dem obligatorischen Pfiff nach dem Kellner dreht sich Jake zu einer Familie, die hinter ihm sitzt, um und fragt nach dem Preis für die Frauen. Im Original spricht Belushi mit einem nicht übersetzbaren griechisch anmutenden Akzent: „How much forrr the gall? Sell me yourrr womenn.“

    Die Filmmusik darf heute auf keiner Party fehlen. Weitere Longplayer folgten (z. B. „Made in America“). Zu dem von Anfang an geplanten Sequel kam es aber lange nicht. John Belushi starb wenige Jahre nach der Uraufführung an den Folgen seiner Drogenabhängigkeit. Erst Ende der 90er Jahre konnten Landis und Aykroyd das Studio zu einer Fortsetzung bewegen, allerdings mit sichtlich niedrigem Budget. Wieder ist die Musik ein Knaller, die Originalität des ersten Teils war allerdings dahin. Der Look des Films entsprach nicht dem ersten Teil und die Figur des Elwood taugt als Anführer der Band nicht. Auch der anarchische Witz von damals funktionierte nicht wieder. Selbst der geplante Auftritt von Belushis jüngerem Bruder James konnte nicht verwirklicht werden. Doch die Blues Brothers leben. Auf DVD, auf CD und mittlerweile sogar als Musical. Da heißt es Daumen drücken: Vielleicht finden die beiden doch noch zu einer Mission den Weg auf die Leinwand zurück. Es gibt noch viele göttliche Missionen zu erfüllen.

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