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    Milchzähne
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Milchzähne

    Die Kinoverfilmung des Bestsellers von Helene Bukowski

    Von Patrick Fey

    Es ist zumindest ein bisschen stiller geworden um das dystopische Kino. Was aktuell die viel beschworene „Superhelden-Müdigkeit“ ist, war vor nicht allzu vielen Jahren ein Überfluss an Endzeitfantasien auf der Leinwand: Im Fahrtwasser der „Panem“-Filme schwappten plötzlich haufenweise dystopische Young-Adult-Stoffe in die Kinos – darunter etwa „Hüter der Erinnerung — The Giver“ oder auch die unrühmlich nach dreieinhalb (von vier) verfilmten Romanen zu Ende gegangene „Divergent“-Reihe. Allerdings hat sich das Genre inzwischen weiterentwickelt – und so stehen statt totalitärer Systeme immer häufiger die Auswirkungen des Klimawandels im Zentrum der gruseligen Zukunftsvisionen. Mit „Climate-Fiction“ hat sich sogar schon ein eigener Genrebegriff dafür etabliert.

    Und damit sind wir auch schon bei „Milchzähne“ der schweizerisch-schwedisch-deutschen Regisseurin Sophia Bösch, die in ihrem Spielfilmdebüt des gleichnamigen Romans der jungen Autorin Helene Bukowski annimmt. 2019 erschienen, fand Bukowskis Vision einer Welt nach dem klimabedingten Zusammenbruch unserer Zivilisation schnell eine breite und – durch Übersetzungen ins Englische und Französische – mittlerweile gar internationale Leser*innenschaft. Erzählt wird die Geschichte einer sich zurückgezogenen Gemeinschaft, an deren Rand die Protagonistin Skalde mit ihrer geistig instabilen Mutter lebt. Als eines Tages ein kleines Mädchen im Kreis der Gemeinde erscheint, der es auf wundersame Weise gelungen ist, den Gefahren jenseits der Reservatsgrenzen zu trotzen, setzt dies eine Verkettung unerklärlichen Unheils in Gang.

    Skalde (Mathilde Bundschuh) muss sich entscheiden, ob sie das kleine Mädchen gegen den Willen ihrer Dorfgemeinschaft retten will. farbfilm verleih
    Skalde (Mathilde Bundschuh) muss sich entscheiden, ob sie das kleine Mädchen gegen den Willen ihrer Dorfgemeinschaft retten will.

    Diese Ausgangssituation bleibt in Böschs Interpretation weitgehend bestehen. Gleich in der Eingangsszene wird zwischen jenen drei weiblichen Figuren hin und her geschnitten: Hier Skalde (Mathilde Bundschuh), das Jagdgewehr über der Schulter hängend, dort das weißgraue Haar einer Frau, die uns wenig später als Mutter Edith (Susanne Wolff) vorgestellt wird – und schließlich ein extra naher Close-Up auf das Fell, das die Mantelkapuze eines jungen Mädchen umkränzt.

    Das Mädchen ist Meisis (Viola Hinz), und so nah, wie die Kamera dem Mädchen in diesen ersten Einstellungen kommt, will sich Skalde ihm zunächst nicht nähern. Stattdessen jagt sie es schnurstracks zurück in die Weiten des Waldes, denen es entsprungen war. Nach einem weiteren Aufeinandertreffen der beiden bringt es Skalde allerdings nicht mehr fertig, sie erneut zu verstoßen – und nimmt die Siebenjährige entgegen den Regeln ihrer Gemeinschaft bei sich auf.

    Wer dazugehört – und wer nicht

    Was folgt ist eine mythologisch untermalte Parabel über die Dynamiken von In- und Exklusion einer Gemeinschaft im Ausnahmezustand, die uns aufzeigt, wie fließend die Übergänge von Aberglauben zu Glauben zu Überzeugung zu Faktum sind. Parallel zum Auftauchen Meisis‘ findet Skalde zu Beginn des Filmes den toten Widder eines Gemeindemitglieds, der nicht einfach gerissen, sondern zudem auch noch enthauptet wurde. Der gehörnte Kopf des Schafbocks, den Skalde aus dem Wasser fischt, ist ähnlich ominös wie die Anspielungen an die Legende der Wolfskinder, die Meisis selbst nährt. Nicht nur durch unseren ersten Blick auf sie, der von ihrem Mantelfell dominiert wird, sondern auch wortwörtlich, als sie Edith sagt, sie sei kein Mädchen, sondern ein Wolf.

    Das Publikum wird so im Unklaren gelassen, ob die Gemeinde in ihrer Ablehnung des Mädchens nicht doch einer richtigen Intuition traut—insbesondere dann, als ein Unglück auf das nächste über die Gemeinschaft herzufallen beginnt. Dabei verschont uns „Milchzähne“ dankbarerweise mit Dialogen, die nur dazu da sind, um UNS die Lage der filmischen Welt erklären (sowas klingt eben auch immer irgendwie hingebogen, egal wie kunstvoll es geschrieben ist). Stattdessen belässt es Bösch bei Andeutungen und verlangt vom Publikum, dass es sich die Welt und ihre Regeln selbst erschließt. Allerdings bedarf es einer gewissen Willensstärke, das dafür notwendige Interesse aufrechtzuerhalten, denn dafür mangelt es im Debüt (noch) an einer eigenen Handschrift.

    Das kann er wie kaum ein anderer: Als Dorfvorsteher entwickelt Ulrich Matthes – mal wieder – eine wahrhaft diabolische Aura! farbfilm verleih
    Das kann er wie kaum ein anderer: Als Dorfvorsteher entwickelt Ulrich Matthes – mal wieder – eine wahrhaft diabolische Aura!

    Die Ursprünge dieses Projektes dürften allem voran im Erfolg der Romanvorlage liegen, und es lässt sich schwerlich des Eindrucks erwehren, dass die hier verfolgte Vision eine im Konsens getroffene ist. Die subjektiv-naturalistische Kamera scheint intuitiv das „richtige“ Format für diese Geschichte zu sein, die Dialoge klingen so steif und auf korrekte Verständlichkeit bedacht, wie solche Filme aus Deutschland eben oft klingen, und das Mienenspiel kommt, durch die Bank weg, in monotoner Mürrischkeit daher — ganz, als habe man sich auf einen Richtwert geeinigt. Hinzu kommt, dass der hier eingeschlagene Weg der Abstraktion dem ernsten Anliegen von Climate-Fiction sogar im Wege steht.

    Dies erscheint insbesondere im Hinblick auf die entschieden junge Zielgruppe seltsam, verliert das allenfalls angedeutete World Building so doch einen großen Teil seiner allegorischen Dringlichkeit. Von der unseren Welt wird in „Milchzähne“ auf solche Weise abstrahiert, dass, je nach Lesart, alles und nichts verhandelt werden mag. Und so läuft die Handlung eben weiter, irritations- und reibungslos, auf jene Schlussszene zu, die sich von Beginn an auf die eine oder andere Weise ankündigt — unabhängig davon, ob man mit der Romanvorlage vertraut ist oder nicht. Dass solch eine Vorhersehbarkeit in der Narration kein Problem sein muss, beweist uns das Kino in bestechender Regelmäßigkeit. Problematisch wird dies allerdings, wenn auch die Inszenierung keine Persönlichkeit entwickelt. Und eben jene ist es, die in „Milchzähne“ über weite Strecken unauffällig bleibt.

    Fazit: Sophia Bösch tut gut daran, ihre dystopische Welt nicht zu Tode zu erklären. Zugleich verläuft das alles trotz atmosphärischer Spitzen aber inszenatorisch und erzählerisch in so gewohnten Bahnen, dass es „Milchzähne“ zu selten gelingt, sich aus der Masse dystopischer Young-Adult-Filme abzuheben.

    Wir haben „Milchzähne“ beim International Film Festival Rotterdam gesehen.

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