Drama, Liebe und ganz viel Champagner
Von Gaby SikorskiSchaumwein gibt es zwar seit mehr als 300 Jahren, aber Champagner ist ein Produkt aus der Zeit der Frühindustrialisierung. Denn erst ab ca. 1.800 konnte der edelperlende Wein dank technischer Fortschritte etwa in der Glasverarbeitung auch in größeren Mengen wirtschaftlich hergestellt werden. Einen wesentlichen Anteil daran hatte eine Frau, die deshalb auch „Grande Dame De Champagne“ getauft wurde: Barbe Nicole Clicquot Ponsardin, genannt „Veuve Clicquot“, bis heute einer der bekanntesten Namen in der Welt des prickelnden Luxusgetränks, über das Coco Chanel einst sagte: „Ich trinke Champagner nur bei zwei Gelegenheiten: wenn ich verliebt bin und wenn ich nicht verliebt bin.“ In „Die Witwe Clicquot“ von Thomas Napper geht es ebenfalls um die Liebe und ein wenig auch um Romantik. Aber er bietet deutlich mehr, nicht nur wunderschöne Bilder aus der Champagne und beiläufig untergebrachte interessante Informationen über den Weinanbau rund um Reims.
Nein, dieser Film wirkt vor allem durch seine Atmosphäre, die gleichzeitig beengend und beflügelnd ist, was zur damaligen Zeit, der Ära Napoleons I., gut passt und in seiner zeitgemäß strengen, manchmal pastoralen Würde an britische Kostümdramen à la „The Favourite“ erinnert. Die Handlung hat hingegen kaum einmal etwas Beschwingtes, nur zu Beginn gibt es ein wenig Unbeschwertheit, danach wird es schnell dramatisch. Die Liebe zueinander und zum Champagner, die Barbe Nicole Clicquot Ponsardin (Haley Bennett) und ihr Mann François (Tom Sturridge) teilen, bildet den emotionalen Rahmen für eine Erzählung, die nur selten französischen Charme und prickelnde Leichtigkeit verströmt, sondern mit ihrer ernsthaften, gelegentlich düsteren Atmosphäre viel Aufmerksamkeit erfordert.
Im Kern erzählt der Film nach der erfolgreichen Biografie von Tilar J. Mazzeo, einer Kunsthistorikerin, wie sich die junge Barbe Nicole innerhalb weniger Jahre von der glücklichen Braut zur knallharten Geschäftsfrau entwickelt. Dabei ist die Form relativ ungewöhnlich, denn hier werden zwei Geschichten parallel erzählt: die der Witwe chronologisch vom Tod ihres Mannes bis zu ihren ersten wirtschaftlichen Erfolgen sowie die Chronik der vorangegangenen Ehe, die im Jubel einer jungen Liebe beginnt, anschließend aber eine unerwartete Richtung einschlägt und mit François‘ tragischem Tod endet. Diese Erzählung auf zwei Ebenen macht den Film durch die Rückblenden gleichzeitig interessanter und komplizierter.
Letztlich handelt es sich um einen geschickten dramaturgischen Trick, denn in den blitzlichtartigen Szenen einer Ehe bietet sich die Möglichkeit, die Persönlichkeit der Witwe Clicquot und die ihres Mannes noch genauer darzustellen. Wenn François stirbt, dann geschieht das in einer Rückblende, man weiß von Anfang an, dass es passieren wird. Aber auch Barbe Nicole scheint zu ahnen, dass ihr hypersensibler, depressiver Mann, den sie einst so liebte, sie auf die eine oder andere Weise verlassen wird. Sie ist kein Dummerchen, das sich nach einem Schicksalsschlag irgendwie berappeln muss. Diese Frau hat schon einiges durchgemacht, und sie ist bereit, für den Erfolg noch mehr auf sich zu nehmen. Dazu gehört auch das Opfer, dass sie sich nicht persönlich um ihre Tochter kümmern kann (was allerdings in großbürgerlichen Familien im 19. Jahrhundert eh nicht allzu ungewöhnlich war).
Haley Bennett („Swallow“) und Tom Sturridge („The Sandman“) sind als Barbe Nicole und François ein wunderschönes Paar – sie mit ihrem blassen, ruhigen Renaissancegesicht, aus dem leicht mandelförmige Augen leuchten, und er mit blitzenden Blicken und einem wilden, leidenschaftlichen Temperament. Wenn sie glücklich sind, dann überträgt sich das ebenso wie ihr Unglück. Haley Bennett hat den größeren Anteil am Geschehen, sie ist eine würdevolle Witwe mit geradem Rücken und erhobenem Kopf, so wie sie vorher die verliebte junge Frau spielt, die bald immer öfter mit dem Ernst des Lebens konfrontiert wird. Das macht Haley Bennett ganz ausgezeichnet. Dazu passt auch die kleine, steile Falte auf ihrer Stirn, die sich später zeigt, wenn sie nachdenkt oder etwas Neues austüftelt, um die Qualität ihres Champagners zu verbessern.
Selten wird sie von Leidenschaft erfasst und dann eher unauffällig, während Tom Sturridge in seinem sich steigernden selbstzerstörerischen Zorn dominanter wirkt, aber eigentlich unbedeutender als sie ist. Die beiden verkörpern in ihren glücklichsten Zeiten gemeinsam den Geist der Aufklärung, der in die Französische Revolution geführt hatte: Die Freiheit des Denkens gehört dazu, der Glaube an den Fortschritt und an die persönliche Entwicklung. François scheitert an sich selbst, nicht an seinen Idealen, und Barbe führt die gemeinsame Arbeit weiter, auch aus Trotz, weil sie ihm posthum und sich selbst beweisen will, dass es richtig war, das Champagnerhaus zu übernehmen und auszubauen.
Im Zentrum des Films steht daher ihr Kampf um die Macht. Die Witwe Clicquot hat ihn aus freien Stücken aufgenommen: Der Tod ihres Mannes erfüllt sie mit großer Entschlossenheit, mit der sie deutlich sichtbar ihre Trauer bekämpft. 200 Jahre später sagt es sich leicht, dass hier eine mutige Frau der Männerwelt mal so richtig zeigt, wo’s langgeht. Aber der Film spielt zu einer Zeit, als Frauen noch nicht einmal ein eigenes Bankkonto haben durften und weder von Gleichberechtigung noch überhaupt von Frauenrechten die Rede war. Die Witwe Clicquot muss sich nicht nur emotional gegen Männer behaupten, die sie für schwach und unfähig halten und ihr den Erfolg neiden, stattdessen geht es geht um handfeste wirtschaftliche Interessen.
Da wird mit harten Bandagen gekämpft, und Barbe Nicole hält dagegen. Es geht um den Erhalt ihrer Weinberge, um ihre Rebstöcke und ihre unerschöpflichen kreativen Ideen, mit denen sie die Qualität der Weine und des Champagners stetig zu verbessern und neue Absatzmärkte aufzutun versucht. Dafür holt sie sich Unterstützung: Sam Riley („Cranko“) spielt im Film den leicht verlotterten Weinhändler Louis Bohne, der ihr hilft, die napoleonischen Exportverbote zu umgehen. Denn Frankreich ist im Krieg, und die kluge Witwe plant schon für die Zeit danach. Sie behauptet sich gegen alle Widerstände. Doch je erfolgreicher sie wird, desto mehr Gegenwind schlägt ihr entgegen.
Fazit: „Die Witwe Clicquot“ ist ein vorfeministisches Historiendrama mit einer starken Frauenpersönlichkeit, sensibel gespielt von der sehr guten Haley Bennett als Heldin einer bittersüßen Liebesgeschichte, aus der sich eine brachiale Erfolgsstory entwickelt. Eher getragen als prickelnd, aber atmosphärisch stark durch zwei Erzählebenen, auf denen sich Glück und Unglück immer wieder begegnen. Dabei ist der Film durchaus auch informativ, was die Geschichte des Champagners und seine Herstellung betrifft, macht also Lust nicht nur auf einen Besuch der Weinberge rund um Reims, sondern auch auf eine Kostprobe des Luxusgetränks, über das Winston Churchill einst sagte: „Champagner sollte kühl, trocken und kostenlos sein.“ In diesem Sinne: Santé!