Eben gerade nicht "Das Leben des Brian"!
Von Jochen Werner„Er ist der Messias“, schreit die Menschenmenge, während der mutmaßliche Erlöser dies vehement verneint, aber aus der Nummer irgendwie nicht mehr herauskommt, ganz egal, was auch immer er zugibt oder abstreitet. Das ist eine Szene, die uns allen natürlich bekannt vorkommt, aber diesmal heißt der Christuskandidat nicht Brian, sondern Clarence (Lakeith Stanfield) – und mit „Das Leben des Brian“ hat Jeymes Samuels moderner Bibelfilm „The Book Of Clarence“, von dieser einen vertraut anmutenden Szene einmal abgesehen, auch gar nicht mal so viel gemeinsam.
Dabei verfolgen beide Filme eigentlich ein ganz ähnliches Konzept. Ein falscher Messias, zufällig zur selben Zeit wie ein gewisser Jesus von Nazareth (Nicholas Pinnock) geboren, gerät in die Wirren der Weltgeschichte. Am Ende landet er am Kreuz (hier bereits anfangs vorweggenommenen) und erzählt wird das alles in einem komödiantischen Gestus unter freizügiger Verwendung von allerlei Anachronismen. Trotzdem könnte der Tonfall kaum verschiedener sein, denn wo die Monty Pythons ein grelles Feuerwerk voller brillant-absurder, längst ins kulturelle Allgemeinwissen übernommener Wortspiele abgebrannt haben, da funktioniert der Humor in „The Book Of Clarence“ über weite Strecken deutlich leiser – und auch ein bisschen trauriger.
Die knalligeren Pointen setzt Regisseur Jaymes Samuel, der unter dem Pseudonym The Bullitts bisher vor allem als Musiker bekannt war und für seinen Film auch selbst einen extrem eingängigen Soul-Soundtrack komponiert und eingesungen hat, betont sparsam ein. Umso stärker kommt dann auch der Bruch zur Geltung, wenn die trippenden Protagonisten in einer Art Opiumhöhle plötzlich ganz buchstäblich zu schweben beginnen, oder wenn als Comic-artiger Marker eines Geistesblitzes eine Glühbirne über Clarences Kopf aufleuchtet. Kurz springt in diesen Momenten die Erzählweise ins Absurde, während die größte Stärke des Films hingegen eigentlich immer bleibt, dass er seine Figuren so ernst nimmt.
Im Grunde ist „The Book Of Clarence“ nämlich die melancholische Komödie eines kleinen Gauners, der sich durchs Jerusalem des Jahres 33 nach Christus hochstapelt, während sich die Weltgeschichte eher um ihn herum ereignet – solange jedenfalls, bis er die Zeichen der Zeit erkennt und beschließt, seinen eigenen Nutzen daraus zu ziehen. Von der männerbündischen und ziemlich arroganten Clique der Apostel Jesu um seinen Zwillingsbruder Thomas (ebenfalls Lakeith Stanfield in einer Doppelrolle) abgewiesen, beginnt Clarence, als falscher Messias mit seinem Freund Elijah (RJ Cyler), dem befreiten Sklaven Barabbas (Omar Sy) und einem Repertoire billiger Zaubertricks durch das Heilige Land zu ziehen.
Dabei hat das Trio großen Erfolg, aber anstatt wie geplant mit den erschwindelten Reichtümern die Schulden beim Jerusalemer Gangsterboss Jedediah dem Schrecklichen (Eric Kofi Abrefa) zu begleichen, entdeckt Clarence nun tatsächlich ein soziales Gewissen – und vielleicht gar den Messias in sich selbst? Und auch das nimmt der Film dann wiederum sehr ernst, was er besonders nachdrücklich im ziemlich unerwarteten Fortgang der eingangs geschilderten Sequenz vor den Augen des römischen Statthalters Pontius Pilatus (James McAvoy) demonstriert …
Im letzten Drittel des in drei Kapitel unterteilten Films schlägt „The Book Of Clarence“ dann nämlich tatsächlich noch einmal einen Haken, lässt den komödiantischen Gestus weitgehend fallen und wird zum ganz ernsthaft empfundenen Bibelfilm. Die Wahl von Clarence als Protagonist scheint dann plötzlich gar nicht mehr parodistisch, vielmehr erzählt Jeymes Samuel hier eine ganz klassische biblische Erweckungsgeschichte – vom Saulus zum Paulus, vom kleinen Straßengangster, dem neben dem eigenen Vorteil eigentlich nur die unerwiderte Liebe zur schönen Varinia (Anna Diop) wichtig ist, zum Wohl- und vielleicht gar Wundertäter.
Vielleicht war ja mit einem Comeback des großen Hollywood-Bibelfilms ohnehin schon länger zu rechnen. Spätestens seit der ersten (und möglicherweise nicht letzten) Trump-Präsidentschaft ist so manch ein Blütentraum von der unaufhaltsamen Liberalisierung der Vereinigten Staaten von Amerika endgültig ausgeträumt, und religiöse bis ultrakonservative Kräfte, die nie weg waren, sondern sich vielleicht jahrzehntelang einfach mit der kulturell wenig beachteten Nische des Faith-Based Cinema zufriedengaben, nehmen längst wieder unübersehbar Raum in den politischen und kulturellen Debatten ein.
Dass die Filmindustrie dieses immer präsentere konservativ-religiöse Publikum als Zielgruppe (wieder-)entdeckt, war wohl nur eine Frage der Zeit, und im Gegensatz zu manch einem jüngeren Versuch, einen Neo-Bibelfilm zu entwerfen – man denke nur an Darren Aronofskys tiefenseltsamen Alttestaments-Blockbuster „Noah“ – gelingt es „The Book Of Clarence“, einen von Grund auf modernen Erzählstil mit einer relativ ungebrochenen religiösen Grundfärbung zu kombinieren. Das macht Jeymes Samuels Film zu einer auf eine eigenwillige Weise persönlichen, gleichermaßen klassischen wie kontemporären Arbeit, die vielleicht sogar ein Fenster in eine denkbare Zukunft des Hollywood-Monumentalfilms öffnet.
Fazit: Sieht so die Zukunft des Hollywood-Bibelfilms aus? „The Book Of Clarence“ beginnt als anachronistische Komödie um einen Hochstapler auf den Spuren von Jesus von Nazareth, und endet als überraschend ernsthafte, melancholische und spürbar tief empfundene religiöse Erweckungsgeschichte. Unterlegt mit einem großartigen Soul-Soundtrack!