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    Farang - Schatten der Unterwelt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Farang - Schatten der Unterwelt

    Ein gnadenloser Volltreffer!

    Von Christoph Petersen

    Beim Publikumsgespräch nach dem Berliner Fantasy-Filmfest-Screening von „Farang - Schatten der Unterwelt“ nannte der anwesende Regisseur Xavier Gens („Frontier(s)“) zwei Vorbilder für seinen ultraharten Action-Kracher – und startete dabei direkt mit einer Überraschung: Zu Beginn fiel nämlich erst einmal der Name von Roberto Rossellini, der nicht nur dank „Stromboli“ und „Rom, offene Stadt“ zu den Großmeistern des italienischen Neo-Realismus zählt. Aber was zum Teufel hat ein in Thailand angesiedelter Martial-Arts-Knüppel voller durchschnittener Kehlen und weggeschossener Köpfe mit dem auf authentische Alltäglichkeit abzielenden Kino Rossellinis zu tun?

    Die Antwort: Erstaunlich viel! Die meisten kleineren Rollen in „Farang“ sind – wie bei Rossellini – mit Laiendarsteller*innen besetzt, die sich mehr oder weniger selbst verkörpern. So wird der Häftling mit der Rattengeschichte zu Beginn von einem Mann verkörpert, der tatsächlich schon seit 27 Jahren hinter Gittern sitzt – und auch die thailändischen Muay-Thai-Kämpfer sind ebenso echt wie die Turnier-Fights, die sie sich mit dem ebenfalls kampfsporterprobten Hauptdarsteller Nassim Lyes („Kandisha – Der Fluch“) liefern. Also „Bloodsport“ trifft Neorealismus? Das klingt erst mal nach prätentiösem Bullshit – erweist sich in „Farang“ aber als zielsicherer Hieb in die Magengrube! Zumal es da ja auch noch das zweite zentrale Vorbild gibt…

    Man fragt sich schon, wie man einen solchen Impact erzeugen kann, ohne tatsächlich zuzuschlagen?

    Obwohl Sam (Nassim Lyes) gerade erst frisch auf Bewährung aus dem Knast entlassen wurde, bestehen seine alten Auftraggeber darauf, dass er direkt wieder für sie Drogen vertickt. Als Sam sich weigert, kommt es auf einer leeren Baustelle zur Katastrophe – und zur Flucht aus Frankreich. Fünf Jahre später hat sich der unfreiwillige Auswanderer eine neue Existenz aufgebaut: Im Osten Thailands kutschiert er für ein Hotel Gepäck und Tourist*innen herum, während er mit Absicht Muay-Thai-Kämpfe verliert, um sich mit den entsprechenden Wetten zusätzlich seine Kasse aufzubessern. So spart er gemeinsam mit seiner schwangeren Freundin Mia (Loryn Nounay) und ihrer kleinen Tochter Dara (Chananticha Tang-Kwa) auf ein Stück Land am Strand, um dort eine Bar zu eröffnen.

    Doch in letzter Sekunde legt der lokale Gangsterpapst Narong (Olivier Gourmet) ein besseres Angebot für das Grundstück vor. Der Traum droht zu zerplatzen – es sei denn, Sam lässt sich noch ein letztes Mal auf einen Job als Drogenchauffeur ein. Aber natürlich läuft das schief – und Narong lässt seine Schergen ein blutiges Exempel statuierten. Fortan kennt Sam nur noch zwei Ziele: Er will Dara aus den Fängen der Gangster (und womöglich sogar aus einem Kinderbordell) befreien – und grausame Rache für alles, was ihm und seiner Familie angetan wurde…

    Erst reinziehen, dann ausknocken

    Die Story von „Farang“ ist so gradlinig, wie man sie sich nur vorstellen kann – und gerade deshalb erweisen sich die auf maximale Authentizität abzielenden Szenen mit den Laiendarsteller*innen als besonders effektiv: Trotz des altbekannten Plots wird man gerade durch diese Momente in den Film hineingesogen – nur um dann den Boden unter den Füßen weggezogen zu bekommen! „Farang“ legt erst einmal ein starkes emotionales Fundament, man geht bei dem Rachefeldzug voll mit – und erst dann kommen wir beim zweiten Vorbild an: Xavier Gens hat zuletzt nämlich drei Folgen der Action-Serie „Gangs Of London“ inszeniert – und einen Teil des Teams im Anschluss auch für „Farang“ angeheuert.

    Der Serien-Schöpfer von „Gangs Of London“ ist nun niemand Geringeres als Gareth Evans, der das Brachial-Action-Genre mit „The Raid“ und noch mehr „The Raid 2“ in den vergangenen 15 Jahren regelrecht revolutioniert hat. Wobei das eben auch nur ging, weil er beim Dreh in Indonesien seine Stuntleute bei besonders halsbrecherischen Aktionen oder wahnsinnigen Massenschlägereien ein Stück weit „verheizt“ hat. Xavier Gens hat sich diese sicherlich fragwürdige, aber fraglos effektive Kompromisslosigkeit zum Vorbild genommen – und seinen Hauptdarsteller nicht nur für nicht simulierte Muay-Thai-Kämpfe in den Ring geschickt, sondern ihn auch durch mit Giftschlangen und Fäkalien verseuchte Sümpfe gehetzt, ohne ihn vorab unbedingt allumfänglich über die Umstände aufzuklären.

    Bei seinem Rachefeldzug gerät Sam (Nassim Lyes) in einen regelrechten Rausch!

    Ironischerweise hat sich Nassim Lyes aber erst beim abschließenden Dreh in Frankreich seinen Fuß gebrochen. Dabei entwickeln gerade die Kampfszenen in Thailand einen Impact, bei dem man sich schon fragt, wie so etwas überhaupt möglich ist, ohne dass sich die Darsteller*innen tatsächlich gegenseitig die Schädel einschlagen? Eine Szene mit Sam und einem Dutzend Widersachern in einem schmalen Flur weckt natürlich sofort Erinnerungen an die Hammer-Sequenz aus „Oldboy“ – und das klaustrophobische Fahrstuhl-Gemetzel ist sowas wie die superblutige FSK-18-Variante der Aufzug-Sequenz aus „Captain America 2: The Return Of The First Avenger“.

    Aber wenn Sam dann einen offenen Armbruch zu seinem Vorteil nutzt, indem er die herausragende Elle (oder Speiche, da will ich mich nicht festlegen) als Stichwaffe in Halsschlagadern rammt, ist endgültig ein WTF-Grad erreicht, bei dem man als Genre-Fan endgültig applaudieren möchte…

    Fazit: „Farang“ landet eine unschlagbare Zweierkombination – erst zieht er einen emotional voll rein, um einem dann mit absolut gnadenloser (und gnadenlos gut choreographierter) Action den finalen Knockout zu verpassen!

    Wir haben „Farang – Schatten der Unterwelt“ beim Fantasy Filmfest gesehen.

     

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