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    Abendland
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Abendland

    Zwei Angela Merkels treffen sich im Wald

    Von Jochen Werner

    Was wir vom Abendland wissen, ist eigentlich zuallererst, dass es immer schon vom Untergang bedroht war. Nicht nur das berühmte Buch des konservativen deutschen Philosophen Oswald Spengler beschwor diesen bereits in den 1920er-Jahren herauf, auch heute fühlen eigentlich alle, an den verschiedensten Enden des politischen Spektrums, das Ende von etwas nahen – eine ganze Gesellschaft scheint im Begriff, apokalyptisch wegzurutschen, befördert und beschleunigt von Diesem und Jenem. Von den Grünen oder der AfD, vom Klimawandel oder der Letzten Generation, vom Coronavirus oder den Maßnahmen dagegen. Demonstrationen hier und da, mal gegen die Staatsmacht und mal im Schulterschluss mit ihr, hin und wieder auch mal verboten oder niedergeknüppelt.

    Mit einer solchen Demonstration beginnt auch der zweite Kinofilm des Videokünstlers Omer Fast. Mit einer Angela-Merkel-Maske getarnt, gerät die Protagonistin von „Abendland“ in eine Protestaktion im Wald – man denkt unwillkürlich an den Hambacher oder den Dannenröder Forst, an die langwierigen Besetzungen der zur Rodung freigegebenen Waldgebiete und die teils gewaltsame Räumung der Aktivistenlager. Auch hier fällt irgendwann die Polizei in das Grüppchen der Aktivist*innen ein – und Angela (Stephanie Amarell) mit ihrer Angela-Merkel-Maskierung kann zwar flüchten, findet sich aber schließlich verletzt und orientierungslos tief im Wald wieder.

    Angela (Stephanie Amarell) flüchtet vor den Cops immer tiefer hinein in den Wald. Piffl Medien
    Angela (Stephanie Amarell) flüchtet vor den Cops immer tiefer hinein in den Wald.

    Dort trifft sie zunächst auf einen stummen Jungen mit einer Disney-Aladdin-Maske, und schließlich auf eine Exklave von gleichfalls bunt und popkulturell maskierten Aktivist*innen – oder vielmehr Aussteiger*innen, der Unterschied wird später noch wichtig und diskutiert werden. Die Lagerbewohner*innen retten die junge Frau zwar, nehmen sie zunächst einmal aber auch gefangen. Unter ihnen findet sich zufällig auch noch eine zweite Merkel-Doppelgängerin, Angie, die dafür plädiert, die Verletzte erst einmal in einer Hütte weit über dem Waldboden abzulegen – zur Quarantäne, denn sie könnte ja ansteckend sein. Mit dem Wortlaut der echten Merkel-Rede zum Coronavirus hatte „Abendland“ bereits begonnen und sich somit vielleicht auch zeitlich im ersten Lockdown verortet – oder auch nicht, ziehen sich doch somnambul heruntergeleierte Merkel-Zitate im Off-Kommentar durch den gesamten Film. So einfach macht es Omer Fast uns nicht, den Film irgendwo zeitlich, räumlich oder auch politisch festzumachen.

    Dabei bietet er uns allerlei Material an. Neoliberale Talking Points – ohne Wachstum keine Hilfe für die Schwachen – stehen unterschiedslos neben dem Jargon der Coronajahre, und die verbale Folklore der diversen Aktivismen durchtränkt eh alles. Das Camp aus Baumhäusern und Zelten, in dem Angela und der Film für den Löwenanteil der knapp zweistündigen Laufzeit stranden, könnte auch im Hambacher Forst aufgeschlagen sein, Aktionen irgendwelcher Art scheinen dort jedoch nicht geplant zu werden. Eher tut sich dort ein Spiegelkabinett der Identitäten auf, wie es typisch für die filmischen Arbeiten von Omer Fast sind – Filme, die nicht wirklich im Kino zu Hause sind, die jedoch mit ihrer grundlegend narrativen Konstruktion auch den Rahmen der Ausstellungskontexte, in denen sie meist zu sehen sind, mindestens herausfordern.

    Ein komplexes Spiel mit Identitäten

    Denn Fasts kurze und halblange Filme haben wenig mit den installativen Arbeiten zu tun, für die das zum Flanieren einladende Format der Kunstausstellung eher geschaffen ist. Sie haben einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, die man tunlichst auch in dieser Reihenfolge ansehen sollte, und entfalten dazwischen komplexe Vexierspiele um Fakt und Fiktion, Identität und Schein. Ins Format des klassischen Kinospielfilms versuchte Fast das bisher lediglich einmal zu übertragen, mit gemischtem Erfolg. Sein Kinodebüt „Remainder“ adaptierte einen Roman des britischen Schriftstellers Tom McCarthy als düster verschachteltes Mindgame-Movie und geriet dabei ein wenig zu sehr auf Pfade, die das Science-Fiction-Kino der Nullerjahre bereits ausgiebig ausgetreten hatte.

    „Abendland“ schlägt nun in seiner Erzählweise und Inszenierung bereits auf den ersten Blick eine völlig andere Tonlage an, was sicher nicht nur daran liegt, dass Fasts zweiter Film in deutscher Produktion und mit deutlich geringerem Budget entstanden ist. Von den ersten Bildern und Dialogen an spürt man, dass „Abendland“ eher den Ästhetiken von Videokunst und Experimentalfilm verpflichtet ist als dem – wie „Remainder“ – zumindest am Mainstream kratzenden Kinospiel- und Spektakelfilm. Wie Bild und Ton hier zusammenfinden oder auch nicht, wie eine abstrahierende Setzung wie das konsequente Verstecken der Gesichter aller Schauspieler*innen hinter Latexmasken einfach durchgehalten wird, oder wie der Dialog immer wieder mit Versatzstücken aus vertrauten oder doch zumindest vertraut erscheinenden (Politik-)Texten durchsetzt wird, das strebt von vornherein nicht danach, mit populärem Erzählkino verwechselt zu werden. Eher entsteht etwas ganz Eigenes, schwer Greifbares daraus.

    Wenn man die Gesichter der Schauspieler*innen überhaupt mal zu sehen bekommt, dann nur für wenige Sekunden. Piffl Medien
    Wenn man die Gesichter der Schauspieler*innen überhaupt mal zu sehen bekommt, dann nur für wenige Sekunden.

    Dass dieses Eigene dann auch überzeugt, ist leider nicht automatisch der Fall. Denn was genau Omer Fast eigentlich mit all diesen Kontexten will, die er in nicht kurzen zwei Kinostunden so herbeizitiert, wird nie recht klar. Will „Abendland“ ein Film über die Absurditäten der Coronazeit sein, über Merkel'sche Alternativlosigkeit und Nichtpolitik, über die Widersprüche kontemporärer Protestformen oder über sich aktivistisch gerierende Weltflucht? Man wüsste das gerne, aber irgendeine Form der Positionierung, und sei es eine unklare, ambivalente oder gebrochene zu irgendeinem dieser Themenkomplexe, ist ihm nahezu nirgends zu entlocken.

    Stattdessen läuft alles auf ein merkwürdiges Identitätstauschritual hinaus, bei dem die Campbewohner*innen bei einem Ritual nicht nur Masken und Kleidung, sondern auch gleich noch ihre gesamten Persönlichkeiten tauschen. Das schlägt zwar eine inhaltliche Brücke zu früheren, kraftvolleren Arbeiten von Omer Fast, bleibt aber auch merkwürdig oberflächlich, ja, behauptet. Es bleibt ein bisschen eine leere Scharade, die man da spielt, irgendwo im deutschen Wald, und das man am Ende nicht so recht weiß, was man daraus mitnehmen soll, müsste für sich genommen noch kein Problem sein. Dass man aber auch wenig Lust hat, im Anschluss noch groß weiter darüber nachzudenken, ist dann doch ernüchternd.

    Fazit: Der in deutscher Produktion entstandene zweite Kinofilm des Videokünstlers Omer Fast scheitert auf völlig andere Weise als sein britisches Debüt „Remainder“. Wo der sich zu nah an ausgetretenen Pfaden des internationalen Genrekinos bewegte, bedient sich „Abendland“ eher im audiovisuellen Repertoire von Experimentalfilm und Videokunst, gerät aber letztlich zum unausgegorenen Vexierspiel irgendwo zwischen Identitätskonstruktion und Aktivismuskritik.

    Wir haben „Abendland“ im Rahmen der Woche der Kritik 2024 gesehen.

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