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    In Viaggio
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    In Viaggio

    Auf Tour mit dem Papst

    Von Janick Nolting

    Auch der Heilige Vater wird hin und wieder zum Filmstar. Wim Wenders hat dem amtierenden Papst Franziskus beispielsweise mit „Ein Mann seines Wortes” 2018 einen eigenen Dokumentarfilm gewidmet. Allzu kritisch hatte sich Wenders dem Kirchenvater dabei nicht angenähert. Vor einer filmischen Verklärung war sein Werk ebenso wenig gefeit wie vor Elementen religiösen Kitsches. Die Wirkmacht dieser Persönlichkeit erschien dann doch zu gewaltig.

    Mit Gianfranco Rosi hat sich nun ein weiterer Regisseur dem Papst angenähert. Nicht mit dem Ziel, eine Biographie zu rekonstruieren, sondern vielmehr die Botschaften des Papstes aufzugreifen. Rosi zeigt Franziskus in seinem neuen Film „In Viaggio” auf Reisen. Oder vielmehr: Schlaglichter dieser Reisen, Ausschnitte von Reden und Besuchen bei Bevölkerungsgruppen, Staatsoberhäuptern und religiösen Führern. Über einen Zeitraum von neun Jahren erstrecken sich die Aufnahmen. Herausgekommen ist dabei nicht nur eine Collage von Archivmaterial, sondern auch eine Fortschreibung von Rosis bisherigen filmischen Werken.

    „In Viaggio” ist der Versuch, jemanden kennenzulernen, den man nur in einer bestimmten Rolle kennenlernen kann. Eine auratische Gestalt ist dieser Papst, den Gianfranco Rosi porträtiert. Es handelt sich um eine öffentliche Präsenz, eine kostümierte, inszenierte Verkörperung, die der Dokumentarfilm einfängt. Das bedeutet auch: Rosi zeichnet ein weltliches Bild von Franziskus alias Jorge Mario Bergoglio. Transzendente Bezüge seiner Religion und eine göttliche Ebene treten in den Hintergrund. Er zeigt stattdessen das Erscheinen eines Amtsinhabers an verschiedenen Orten, die er in seine ganz persönliche Bühnen verwandelt.

    Das Publikum fliegt mit dem Pabst von einem Einsatzort zum nächsten - meistens begleitet von mehreren Kampfjets als Bewachung.

    Ganz nah heran will dieser Film. Gesichtsregungen studieren, buchstäblich über die Schulter schauen. Immer wieder zeigt „In Viaggio” Szenen, in denen Franziskus durch Straßen gefahren wird und anonymen Massen zuwinkt. Menschen jubeln euphorisch, strecken die Hände nach dem Heiligen Vater aus. Den Papst sehen wir nur von hinten, seine Gewandung weht in die Kamera und einmal stülpt sie sich sogar über seinen Kopf. Auch der Pontifex ist vor Slapstick-Einlagen nicht gefeit! Seine öffentlichen Auftritte gleichen denen eines gefeierten Weltstars.

    Welche Rolle spielt denn das Kirchenoberhaupt überhaupt noch in einer Welt, deren religiöse Angebote sich deutlich vervielfältigt und verändert haben? Gianfranco Rosis Werk bietet zu dieser Frage keine sonderlich vielschichtige Antwort, aber er zeigt eine gewisse ungebrochene Kraft, die der Papst weiterhin auf Menschen auszuüben scheint. Er beleuchtet ihn als eine Art Gewissen der Menschheit, das pathetische Ratschläge und Deutungen wirkungsvoll aufsagt, um einen Traum von Gewaltfreiheit und friedlicher Koexistenz zu erhalten. Einzelne Gesten der Versöhnung stellt „In Viaggio” als gelebte Utopie heraus.

    Sprachrohr für den Papst

    Im Grunde genommen ist die Erzählstruktur der filmischen Montage dabei geschickt gewählt. Sie verfolgt ein zyklisches, sich ständig wiederholendes Muster. Irgendwo auf der Welt geschieht Übel, Katastrophen flimmern über die Leinwand. Und im nächsten Moment taucht wieder der Papst aus der Unsichtbarkeit an diesem oder jenem Ort auf, um Trost zu spenden, ein paar Binsenweisheiten zu verteilen, auf die sich alle einigen können. Rosi zeigt Franziskus damit auch als politisch agierende Instanz, mitunter als eine Art Pressesprecher.

    Risse in der Fassade werden deutlich, etwa wenn es um Äußerungen zu jüngeren Missbrauchsskandalen innerhalb der Kirche geht. Ehrlicherweise spielt dieser Aspekt in Rosis Film allerdings nur eine sehr kleine Rolle. Sie erscheint wie eine Pflichtübung, um mögliche Kritik abzufedern. Doch im Kern verwandelt sich „In Viaggio” lieber schnell wieder zu einem Sprachrohr des Papstes. Hier schließt sich dann doch erneut der Kreis zu einem etwas naiv staunenden Werk, wie es auch Wim Wenders bereits gedreht hatte.

    Sonderlich differenziert gegenüber seinem Protagonisten präsentiert sich auch dieser Film nicht. Der Papst darf mit seinen Handlungen und Sprechakten die Welt kommentieren. Das ist per se keine uninteressante Idee, aber im weiteren Verlauf wird Rosis Dokumentarfilm dadurch ernüchternd unkonkret. Es ist zuvorderst eine Varianz an Elendsbildern, die der Regisseur zusammenschneidet. Einen prominenten Platz nehmen Aufnahmen des Leides von Geflüchteten auf hoher See ein. Rosi knüpft damit an seine früheren Werke „Notturno” oder den auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären gekrönten „Seefeuer” an. Er führt altes und neues Material zusammen, lässt den Papst auf Katastrophen antworten, die er selbst schon einmal aufbereitet und dokumentiert hat.

    Ein Film voller Weltschmerz

    Auf Dauer gelingt „In Viaggio” dadurch ein einnehmendes Stimmungsbild, aber kaum eine erhellende politische Diskussion mit dem eigenen Material. Es ist vielmehr ein allzu abstrakter Schwall an Weltschmerz, der sich über das Publikum ergießt. Der Menschheit geht es schlecht, die Menschheit handelt böse, im „Geiste Kains“, wie es Franziskus ausdrückt. Na gut, das mag auf viele globale Krisenherde zutreffen. In seiner filmischen Aufbereitung erinnert ein solches Vorgehen aber eher an die letzten Werke von Rithy Panh („Irradiated”), der sich an ähnlich finsteren, aber viel zu vage skizzierten Bestandsaufnahmen des Leids versucht hat.

    Bedeutend mehr als ein paar annehmbare Sentimentalitäten sind bei diesem Dialog zwischen sozialem Unheil und den Vermittlungsversuchen von Papst Franziskus nicht zu bekommen. Die eigentlich interessanten Facetten, das Studieren des öffentlichen Phänomens des Papstes oder auch sein Interagieren mit bestimmten Persönlichkeiten büßen damit fortwährend Substanz ein. Bei aller Nähe und Intimität, die der Film herzustellen versucht: Eine gedankliche Distanz sollte trotzdem beibehalten werden. Sie schwindet jedoch gefühlt mit jeder Minute.

    Der Diskurs innerhalb dieses Werkes gerät zusätzlich ins Stocken, da Gianfranco Rosi abseits der Bezüge zum eigenen Oeuvre kaum mediale Reflexionen über die Aufnahmen anstellt, die er sich hier aneignet. Wer die gezeigten Archivbilder wie, warum und in welchem Kontext produziert hat, das spielt eigentlich keine Rolle. Sie werden alle in ein gleichförmiges Dokument verwandelt. „In Viaggio” erlangt damit eine Geschlossenheit in seiner Ästhetik, die mit der essayistischen, brüchigen Erzählweise nicht so recht zusammenpassen will. Dabei sollte gerade hier ein Misstrauen und Nachdenken angebracht sein: beim Konstruieren und Konsumieren von Bildern, von denen eine Ikone wie Franziskus lebt, um zu den Mechanismen ihres Wirkens durchdringen zu können.

    Fazit: „In Viaggio” birgt spannendes Bildmaterial, wenn der Film die öffentliche Inszenierung von Papst Franziskus einfängt. Anstatt diesen Aspekt zu vertiefen, entscheidet sich Gianfranco Rosi aber leider dafür, den Heiligen Vater zuvorderst als Stimme eines recht oberflächlich gestrickten Klageliedes über all das Leid in der Welt zu benutzen.

    Wir haben „In Viaggio” beim Filmfestival in Venedig gesehen, wo er seine Weltpremiere außer Konkurrenz im offiziellen Programm gefeiert hat.

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