Die Crux mit der "Wunderpille"
Von Markus TschiedertEhepaare, die schon ewig zusammen sind, gemeinsam alt werden und sich auf den letzten Lebensabschnitt vorbereiten, bevor der Tod an der Tür klopft, finden auch im Kino in letzter Zeit immer mehr Anklang. Das mag zum Teil daran liegen, dass das Arthaus-Publikum inzwischen selbst älter geworden ist. Hat bestimmt aber auch damit zu tun, dass solche Geschichten nun mal sehr berühren können und mit existentiellen Fragen zwischen Einsamkeit und Endlichkeit konfrontieren wollen. Bei vielen dieser Filme verlautet schon der Titel, wohin die Reise geht. Im letzten Jahr gab Rolf Lasgård „Ein großes Versprechen“ an Dagmar Manzel; davor hieß es „Wir beide“ für Barbara Sukowa und Martine Chevallier als lesbisches Liebespaar; und Helen Mirren und Donald Sutherland traten in „Das Leuchten der Erinnerung“ eine letzte Reise an.
Mit „Weißt du noch“ reiht sich Regisseur Rainer Kaufmann („Und wer nimmt den Hund?“) reibungslos in die Riege solcher Senior*innen-Filme ein. Einmal mehr geht es um ein altes Ehepaar, gespielt von Senta Berger („Oskars Kleid“) und Günther Maria Halmer („Enkel für Fortgeschrittene“), das gegen den geistigen und körperlichen Verfall ankämpft. Ein Zwei-Personen-Stück, das vor allem von seinen mal komischen, mal tragischen, aber fast immer klugen Dialoge lebt.
Marianne (Senta Berger) und Günter (Günther Maria Halmer) wollen sich ständig beweisen, wer noch mehr draufhat!
Seit mehr als 50 Jahren halten es Marianne (Senta Berger) und Günter (Günther Maria Halmer) nun schon miteinander aus. Anders kann man es nicht sagen, denn die beiden gehen nicht immer nett miteinander um, seit die Kinder aus dem Haus sind. Als Günter beim Einkauf im Supermarkt den bezahlten Käse versehentlich liegenlässt, zieht ihn Marianne damit auf, dass er immer vergesslicher wird. Er kontert natürlich und führt Beispiele auf, die das Erinnerungsvermögen seiner Frau in Frage stellen könnten. Die beide schaukeln sich hoch, bis sie ihre Gedächtniskraft schließlich mit einem Demenz-Test im Internet messen.
So richtig will punktet damit aber keiner. Schließlich rückt Marianne endlich damit raus, was ihr wirklich stinkt: Günter hat ihren heutigen Hochzeitstag vergessen. Aber sie irrt. Er zückt zwei Tabletten hervor, die sein Freund Heinz (Konstantin Wecker) extra für ihn besorgt hat. Denn diese „Wunderpille“ soll gegen Gedächtnisverlust helfen und verlorene Erinnerungen zurückbringen. Nach einem ersten Zögern schlucken die beiden das Präparat – und tatsächlich führen sich die beiden schon nach kurzer Zeit wieder wie ein junges Liebespaar auf…
„Weißt du noch“ ist ein sehr intimer Film. Denn bis auf die Anfangsszene, in der Günter einkaufen geht und seinen Kumpel auf der Straße trifft, spielt sich die restliche Handlung fast ausschließlich im Haus der Eheleute ab. Dramaturgisch ist das gut gelöst. Genauso wie die beiden Alten in ihrer selbstauferlegten Zweisamkeit quasi gefangen sind, müssen auch wir Zuschauenden diese Situation 90 Minuten aushalten. Womöglich klingt das jetzt schlimmer als es ist. Nein, man ist natürlich neugierig, wie sich alles entwickelt, allerdings lässt einen diese räumliche Eingrenzung auch spüren, wie es sein muss, wenn es kaum oder gar keine Alternativen mehr gibt, weil die Lebenszeit schon so weit vorangeschritten ist.
Vielleicht hätten sich Marianne und Günter schon vor Jahren, gar vor Jahrzehnten trennen sollen. Gewiss sind sie durch etliche Hochs und Tiefs gegangen, kennen den jeweils anderen wie das eigene Ich. Nicht endlose Liebe, sondern Gewohnheit hat sie offenbar zusammenwachsen lassen. Sie können nicht mehr mit, aber schon gar nicht ohneeinander. All das vermittelt sich schon in den ersten Minuten, wenn sich diese beiden intellektuellen Menschen mit verbalen Spitzfindigkeiten bewerfen, aber auch wie die Rohrspatzen schimpfen können. Mit besseren Argumenten will man den jeweils anderen ausstechen, eine Art Sport ist das geworden und wahrscheinlich gehen sie seit geraumer Zeit tagtäglich in den Wettkampf, wer von beiden gerade körperlich und geistig überlegen ist.
Günter hat zum Hochzeitstag eine ganz spezielle „Wunderpille“ für sich und seine Frau besorgt…
Wenn sie ihn mit Fitnessübungen quält und er auf den Demenztest im Internet besteht, bringt das auch komische Momente hervor. Man schmunzelt und denkt: „Was sich neckt, das liebt sich.“ „Weißt du noch“ will ja eben auch kein schweres Beziehungsdrama sein, sondern lieber leichte Tragikomödie. Dass es auch schönere Tage gab, davon zeugen zwischendurch eingeblendete Erinnerungsfetzen in Form grobkörniger und ausgeblichener Super8-Filmaufnahmen. Die beiden noch jung und attraktiv, mit Kindern, im Urlaub, zu Weihnachten – alles scheint so perfekt und weckt eine gewisse Wehmut.
Der Wendepunkt tritt schließlich ein, als die „Wunderpille“ auf den Tisch kommt. Halmer und Berger zeigen hier ihre Wandelbarkeit, sind plötzlich wie ausgewechselt, turteln, träumen und tanzen miteinander. Augenblicke des Wohlfühlens, die zwar etwas unreal, übertrieben und aufgesetzt wirken, aber doch kinogerecht sind. Romantic-Comedy-Feeling, das Hoffnung schürt. Eventuell würde man mit dieser Zuversicht sogar gern den Kinosaal verlassen. So billig lässt uns Rainer Kaufmann dann aber doch nicht entkommen.
Fazit: Ein Kammerspiel, das uns zwar mit der schmerzhaften Tatsache des Alterns konfrontiert, Angst vor Demenz und körperlichem Verfall thematisiert, das aber mit genügend Esprit und Leichtigkeit tut, dass es nicht zu sehr wehtut. Das starke Zusammenspiel von Berger und Halmer entzückt zudem und entzündet Gedanken über das Leben und seine Vergänglichkeit.