Eine Leiche zum Kuscheln
Von Sidney ScheringDie Drehbuchautorin Diablo Cody gewann zwar direkt mit ihrem Hit-Debüt „Juno“ einen Oscar, doch auch der erste Rückschlag ließ nicht lange auf sich warten: Ihr Nachfolgeprojekt „Jennifer's Body“ floppte und wurde von der Filmpresse fast einhellig verrissen. Von uns allerdings nicht – und tatsächlich entwickelte sich die Horrorkomödie mit Megan Fox und Amanda Seyfried nach und nach zu einer Art modernem Kultklassiker. 15 Jahre später führt es Cody nun in dieses Genre zurück.
Erneut geht es um Pubertät, Außenseitertum und Mord – und trotzdem ist „Lisa Frankenstein“ ein anderes Biest: Die von „Carrie“ und „The Lost Boys“ inspirierte „Jennifer's Body“-Mischung aus Horror-Härte und bitterböser Satire ist fort. Stattdessen weckt Regie-Novizin Zelda Williams Erinnerungen an die Kauzigkeit eines Tim Burton – und den Witz der Teenie-Komödien-Legende John Hughes („Breakfast Club“). Das Ergebnis ist eine zwar etwas lasche, aber liebenswerte und überraschend kuschelige Gruselkomödie.
1989: Außenseiterin Lisa Swallows (Kathryn Newton) ist ein Mauerblümchen mit Gruftie-Tendenzen. Nur ihre quirlige, populäre Stiefschwester Taffy (Liza Soberano) stärkt ihr den Rücken – jedoch kriegt auch sie den Mund nicht auf, wenn Lisa von ihrer Stiefmutter Janet (Carla Gugino) gedemütigt wird. Als Lisa versehentlich eine viktorianische Leiche (Cole Sprouse) zum Leben erweckt, ändern sich die Dinge allerdings. Im Gegensatz zu ihrem lethargischen Vater (Joe Chrest) steht sie fortan für sich ein – mit untoter Hilfe und mörderischen Folgen...
„Lisa Frankenstein“ beginnt mit einem animierten Schwarz-Weiß-Vorspann, der sich an den Scherenschnitt-Filmen der Trickfilmpionierin Lotte Reiniger sowie an den Designvorlieben Tim Burtons orientiert. An das Frühwerk des „Edward mit den Scherenhänden“-Masterminds erinnert zudem, wie Williams die Vorstadt schildert: In Knatschpink, Babyblau, gleißendem Weiß und Signal-Rot – sowie mit Mini-Vorgartenzäunen und akkurat geschnittenem Rasen. Übernommen wurde auch die Verlogenheit der sich selbst als ganz besonders normal erachtenden Leute: Janet etwa fordert Lisa auf, mehr Klasse zu zeigen, und verlangt Respekt für ihre Tätigkeit in einer Nervenheilanstalt. Dabei trinkt sie beim Aerobic Martini und spricht verächtlich über „Irre“, die in die „Klapse“ gehören.
Lisa hat zwar skurrile Interessen, wie sie auch bei Burton vorkommen könnten, steht aber mit mindestens einem Bein auch in der Realität solcher Teenie-Komödien wie John Hughes „Das darf man nur als Erwachsener“: Sie hängt auf einem überwucherten Friedhof ab, macht kritzelige Skizzen, die sich an ikonische Stummfilme und Monsterfilme der 1930er bis 1950er anlehnen, und sie versteckt sich in dunkel-unauffälliger Kleidung. Dennoch hebt sie sich, im Gegensatz zu vielen vergleichbaren Filmfiguren, nicht bewusst-verächtlich von ihrer Umwelt ab: Sie ist Außenseiterin aus Ermangelung eines Soziallebens, nicht aus Überzeugung. Daher findet sie nicht mal zu ihren Goth-Mitschüler*innen Zugang, die exzentrisch geschminkt sowie provokant gekleidet sind – und es auf Partys krachen lassen, wohingegen Lisa sich auf ihnen deplatziert fühlt.
Sie ist die lebende Schnittmenge aus den „Jennifer's Body“-Hauptfiguren: Seyfrieds stillem Nerd und der sich fürs Finstere begeisternden Fox. Dass Lisa sich erst nach einem fiesen Vorfall inklusive übernatürlichem Ereignis ändert, ist ein weiteres verbindendes Element zwischen den Filmen. Allerdings verläuft Lisas Veränderung schleichender als die in „Jennifer's Body“ geschilderte Rachefantasie. Auch die Gewaltspitzen sind von anderer Natur: Statt auf Schock und Ekel setzt Williams auf kauzigen Monster-Slapstick sowie eine unbeirrbare Flauschigkeit, die sich zumeist durch Lisas Interaktion mit ihrem modrigen Bekannten zieht. Selbst dann, wenn es blutig oder doppeldeutig wird – als wären das Skript und die Storyboards zu „Lisa Frankenstein“ mit einem dieser überdimensionalen Pullis aus der „Perwoll“-Retro-Werbung gewaschen worden: „Lisa Frankenstein“ setzt Außenseiter*innen ein nur leicht ironisches, aber ungemein liebevolles Plüsch-Denkmal.
Kathryn Newton ist dabei das schlagende Herz des Films: Der „Freaky“-Star spielt den amüsant-karikierten Wandel von nachdenklich-scheu zur Goth-Diva gleichermaßen charismatisch wie augenzwinkernd-übertrieben. Während sie ihrem untoten Wegbegleiter mittels Elektroschocks und brutal ergatterten Körperteilen ein neues Äußeres schenkt, baut sie sich auch selbst eine neue Identität zusammen – ihr Persönlichkeit wird also quasi ebenso zu einem Frankenstein-Monster. Neben Newton überzeugt auch Liza Soberano als Taffy – eine Cheerleaderin mit treudoofen Augen und dem Dauergrinsen eines Honigkuchenpferds. „Riverdale“-Star Cole Sprouse bekommt nach und nach immer mehr Raum für Nuancen: Anfangs grobschlächtig, wird seine stumme Leiche allmählich galanter und feinmotorischer.
Außerdem verschwindet die zornig wirkende Verwirrung des Monstrums, und macht Raum für Enttäuschung und Frustration ob der seine Wünsche ignorierenden Lisa. Leider erhält Sprouse nur wenig Gelegenheit, um diesen Kummer nicht bloß zu zeigen, sondern auch wirklich spürbar zu machen. Dass Lisa letztlich dieselben Fehler begeht, über die sie sich beschwert, schmerzt daher zu wenig, als dass sich der stimmig strukturierte Schlussakt auch wirklich konsequent anfühlen würde. Trotzdem ergibt „Lisa Frankenstein“ eine kauzig-überzeichnete Vision der 1980er mit augenzwinkernd-maßlosen Nostalgie-Referenzen und verspielten Tricksequenzen im Vintage-Look. Wie hoch das Kultpotential dieser Gruftie-RomCom ist, wird sich allerdings noch zeigen müssen.
Fazit: „Lisa Frankenstein“ ist eine Gruselkomödie mit beachtlichem Kuschelfaktor – vor allem dank einer toll aufspielenden Hauptdarstellerin und verspielten inszenatorischen Ideen.