Almodóvars verspäteter Schwule-Cowboys-Film
Von Christoph PetersenPedro Almodóvar, der in seiner spanischen Heimat seit 40 Jahren beständig Kultfilme („Fessle mich!“) und Meisterwerke („Alles über meine Mutter“) abliefert, stand 1992 kurz davor, den Gospel-Komödien-Megahit „Sister Act“ mit Whoopi Goldberg zu inszenieren. Am Ende fühlte sich der für das Drehbuch zu „Sprich mit ihr“ mit einem Oscar ausgezeichnete Autor und Regisseur in der englischen Sprache aber einfach noch nicht sicher genug, um einen solch frühen Sprung nach Hollywood zu wagen. Und an diesem Unwohlsein hatte sich auch 13 Jahre später noch nichts geändert, als ihm 2005 die Regie von „Brokeback Mountain“ angeboten wurde. Wobei Almodóvar später verriet, dass er auch die Version von „Tiger & Dragon“-Regisseur Ang Lee lieben würde, nur hätte er persönlich die Geschichte von den schwulen Cowboys mit „mehr Sex“ inszeniert.
So langsam tastet sich der Filmemacher aber immer weiter an sein abendfüllendes englischsprachiges Spielfilmdebüt heran: Nach der noch sehr reduzierten Theater-Adaption „The Human Voice“, in der Tilda Swinton 30 Minuten lang im selben Raum vergeblich auf die Ankunft ihres Ex-Liebhabers wartet, folgt nun ein weiterer 30-Minüter, diesmal aber mit mehr Schauspieler*innen und mehr Sets, den Almodóvar nach eigener Aussage zudem als direkte Reaktion auf seine verpasste „Brokeback Mountain“-Chance angelegt hat: In dem Kurzfilm-Western „Strange Way Of Life“ spielen diesmal nicht Jake Gyllenhaal und Heath Ledger, sondern Ethan Hawke und Pedro Pascal schwule Cowboys, die sich 25 Jahre nach zwei leidenschaftlichen gemeinsamen Mexiko-Monaten erstmals wiedersehen.
Zumindest Pedro Pascals grüne Lederjacke wird sicherlich in die Cowboyfilm-Geschichte eingehen.
Allerdings stehen sie inzwischen auf verschiedenen Seiten des Gesetzes (selbst wenn sie dabei gleichermaßen fantastisch angezogen sind): Sheriff Jake (Ethan Hawke) ist einem Mörder auf der Spur, der mit dem linken Bein hinkt, als plötzlich sein auf der anderen Seite der Wüste lebender Ex-Lover Silva (Pedro Pascal) hereinschneit. Die beiden haben sich nicht mehr gesehen, seit sie vor einem Vierteljahrhundert bei einer weinreichen Party in Mexiko plötzlich übereinander, statt über die ebenfalls anwesenden und definitiv nicht abgeneigten Señoritas hergefallen sind. Nach einer gemeinsamen Nacht stellt sich am nächsten Morgen allerdings heraus, warum Silva wirklich zu Jake zurückgekehrt ist…
Entgegen seiner früheren „Brokeback Mountain“-Bemerkungen gibt es auch in „Strange Way Of Life“ nicht „mehr Sex“ – selbst wenn der nach „The Mandalorian“ und „The Last Of Us“ zum ungekrönten König des Internets aufgestiegene, vom Glamour's Magazine bereits zwei Mal in Folge zum „Sexiest Man Alive“ erklärte Pedro Pascal am Morgen danach sagt, dass er nach Sperma stinke. Nichtsdestotrotz stimmt zwischen den Stars die Chemie – und bei den sanft-sentimentalen Augen von Pascal dürfte ohnehin jeder im Publikum, ganz egal welcher sexuellen Orientierung, sofort dahinschmelzen.
Wer kann diesen sanft-sentimentalen Augen schon widerstehen? Ethan Hawke jedenfalls nicht!
Und dann noch diese Kostüme: Das Geld für „Strange Way Of Life“ stammt zum größten Teil vom Luxusmode-Label Saint Laurent, das regelmäßig Filmproduktionen sponsert. In diesem speziellen Fall hat auch noch Saint-Laurent-Kreativdirektor Anthony Vaccarello höchstpersönlich die Designs beigesteuert. Man lehnt sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man behauptet, dass noch nie ein Cowboy auf einer Kinoleiwand so gut angezogen war wie nun Pedro Pascal in seiner grünen Lederjacke. Allerdings bedeutet das leider auch, dass „Strange Way Of Life“ einen gewissen Werbefilm-Vibe nicht abzuschütteln vermag.
Gerade die Rückblenden, in denen die als Schauspieler nun wirklich nicht überzeugenden Models Jason Fernández und José Condessa in einem buchstäblich weingetränkten leidenschaftlichen Moment die jüngeren Versionen der beiden Hollywoodstars verkörpern, wirken wie Hinter-den-Kulissen-Szenen eines hochglänzenden Katalog-Shootings. Auch kann das kaum aufzulösende Dilemma, das sich zwischen den früheren Lovern entspinnt, schon allein angesichts der knappen Laufzeit kaum etwas von seinem eigentlich reichlich vorhandenen melodramatischen Potenzial entfalten.
Gerade weil der profund-berührende letzte Satz des Films so schön ist, wünscht man sich nach den 30 Minuten durchaus, dass „Strange Way Of Life“ noch eine Stunde weitergehen würde – und tatsächlich hätte Almodóvar den Stoff wohl besser zu einem abendfüllenden Spielfilm weiterentwickelt, denn in seiner jetzigen Form ist er dann eben doch nicht viel mehr als ein hochglänzender, verdammt gut gekleideter Appetithappen…
Fazit: Ein flüchtiger Einblick, wie „Brokeback Mountain“ damals vielleicht auch hätte aussehen können, der dann abhängig davon, wie sehr man auf die Kostüme und/oder Pedro Pascal abfährt, im Zweifel auch schnell wieder vergessen ist.
Wir haben „Strange Way Of Life“ beim Cannes Filmfestival 2023 gesehen.