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    War Sailor
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    War Sailor

    Die norwegische Antwort auf Christopher Nolans "Dunkirk"

    Von Janick Nolting

    Gunnar Vikene („Kill Billy“) hat einen außergewöhnlichen Kriegsfilm gedreht. „War Sailor“ umkreist den Krieg nicht etwa als große Materialschlacht oder Ansammlung expliziter Gewaltakte, sondern in erster Linie als biographische Zäsur. Als klaffende Lebenslücke, die eine Familie zerreißt. Vikene gedenkt dabei all jenen Menschen, die unfreiwillig in den Zweiten Weltkrieg verwickelt wurden. Die erzählerischen Perspektiven seines Films sind in alle Himmelsrichtungen zu Wasser und zu Land verstreut, kämpfen sich von einem tödlichen Szenario zum nächsten – um sich irgendwann in einem Aha-Erlebnis wieder zu kreuzen.

    Mit dem Einmarsch der Deutschen in Norwegen 1940 zerfällt das Leben, das die Familie Garnes einmal geführt hat. Vater Alfred (Kristoffer Joner), ein Matrose, befindet sich gerade auf hoher See, als das Handelsschiff, auf dem er und sein bester Freund Sigbjørn (Pål Sverre Hagen) angeheuert haben, für den Krieg instrumentalisiert wird. Fortan finden sich beide in einem permanenten Überlebenskampf wieder, während zu Hause Alfreds Frau Cecilia (Ine Marie Wilmann) und ihre Kinder ebenfalls versuchen müssen, die Kriegswirren zu überstehen. Eine Wiedervereinigung der Familie rückt in immer weitere Ferne…

    Alfred (Kristoffer Joner) muss hilflos mitansehen, wie seine Kameraden vom Meer verschlungen werden.

    Es ist ein Explodieren von Zeitlichkeit, das „War Sailor“ demonstriert. Aus Tagen werden Wochen, Monate, Jahre, Jahrzehnte. Gunnar Vikenes Film beginnt Ende der 1930er-Jahre, umspannt mehrere Dekaden und verfolgt die Auswirkungen des Weltkrieges bis in die 1970er-Jahre hinein. Zeit und Raum sind in diesem Drama zersplittert. Seine Schauplätze springen auf der Landkarte hin und her. Auch der Fixpunkt, die Heimat, wird sich irgendwann verflüchtigen. Eingeblendete Jahreszahlen schaffen permanent Zäsuren. Die Struktur von „War Sailor“ folgt damit der einer Entwurzelung. Gunnar Vikene lässt weder seine Figuren noch sein Publikum sonderlich lange an einzelnen Stationen heimisch werden.

    So konsequent sich der Film dieser Erzählweise bedient, so schwer gestaltet sich allerdings auch das Unterfangen, eine Beziehung zu Vikenes Charakteren und seiner Welt aufzubauen. Schließlich steht der Regisseur irgendwann vor der drängenden Frage, was er im Genre des Kriegsfilms überhaupt anstellen will. Will er eine historische Chronik anfertigen? In die Psychologie der Charaktere eintauchen? Will er ein Mittendrin-Gefühl in den Gefahren des Krieges kreieren? Ungefähr die ersten zwei Drittel dieses etwas zu lang geratenen Films versuchen alles davon, aber präsentieren letztlich nur kleine Häppchen. Puzzleteile, die sich so anfühlen, als hätte man sie schon dutzendfach in der Hand gehalten, doch plötzlich wollen sie nicht mehr recht zusammenpassen.

    Der bislang teuerste norwegische Film

    Dabei kann man zumindest nicht behaupten, dass man für Vikenes Drama Kosten oder Mühen gescheut hätte. „War Sailor“ soll die bislang teuerste norwegische Spielfilmproduktion überhaupt sein. Ihren Sets und Kulissen ist der Aufwand, der in Ausstattung und Logistik gesteckt wurde, durchaus anzumerken. Der Film durchstreift heruntergekommene, rustikale und dadurch umso lebensechter erscheinende Räume. Was hier den Menschen im Krieg zustößt, birgt nichts Spielerisches oder Anmutiges mehr. Es ist ein reines Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber bedrohlichen Stahlmonstren und unerbittlichen Elementen.

    „War Sailor“ erinnert dabei in seinem rauen Naturalismus und der Haptik der Bilder deutlich an Christopher Nolans „Dunkirk“. Ihm liegt viel an einer intensiven Sinnlichkeit. Egal, ob es um das Darstellen der Naturgewalten, das Bezeugen einer blutigen Beinverletzung, eines Gnadenmordes auf dem Meer oder beschwerliche Arbeitsabläufe geht. Wenn hier Männer unter Deck Kohlen schaufeln und die wackelige Kamera in dichten Staubwolken verharrt, möchte man am liebsten die Luft anhalten – so unmittelbar erscheinen die Bilder, die Gunnar Vikene und Kameramann Sturla Brandth Grøvlen kreieren.

    In „War Sailor“ meint man den Kohlestaub schon fast auf der eigenen Zunge zu schmecken.

    Und doch gibt es gerade im Vergleich mit „Dunkirk“ einen eklatanten Unterschied. Wo der Kriegsfilm von Christopher Nolan in den Bedrohungsszenarien der Gefechte, Manöver und Bombardierungen aufgeht, interessiert sich „War Sailor“ eher für deren Auswirkungen. Erstaunlich wenige Actionszenen gibt es hier zu erleben. Gunnar Vikene entscheidet sich dagegen, den Krieg in ein Leinwandspektakel zu verwandeln. Er zeigt stattdessen Trümmer, Zerstörung, eben die Folgen der Gewalt. Gekenterte Männer, die die Kriegsschauplätze plötzlich ausspucken und sich nun verzweifelt an Netze klammern, um von den Fluten nicht davongerissen zu werden. Oder ein panisches und danach radikal abgeschnittenes Fliehen, wenn der nächste Angriff droht.

    Das ist in Ansätzen ambitioniert, wohlüberlegt. Trotzdem benötigt „War Sailor“ einen erheblichen Teil seiner Laufzeit, um vollends zu sich zu finden. Und vor allem ein Gleichgewicht zwischen all den Schlaglichtern herzustellen, die sowohl den Kampf der Seemänner als auch den harten Alltag der zurückgebliebenen Familie in der Heimat beleuchten wollen. Doch irgendwann entlohnt Vikene für die Geduld, die er seinem Publikum in 150 Minuten abverlangt. Plötzlich eröffnet sich die Vision, die in „War Sailor“ schlummert und ihn von vielen anderen (Anti-)Kriegsfilmen abhebt.

    Ein Krieg, der nicht enden kann

    Der spannendste Teil von „War Sailor“ ist nämlich sein letzter Akt, der die Nachwirkungen des Krieges beleuchtet. Was bis dahin so bruchstückhaft abgegrast wurde, entpuppt sich nun als nötiger Unterbau für das eigentliche Drama der Unendlichkeit, das Gunnar Vikene vor allem in frostigen Winterbildern entfaltet. Denn er kann für diese Figuren ja gar nicht aufhören, der Krieg. Er geht immer weiter, auch nach den Gefechten. Dann, wenn eigentlich Ruhe einkehren soll. „War Sailor“ erzählt in diesem letzten Drittel auf eindringliche Weise von der Unmöglichkeit einer Familie, nach diesem jahrelangen Schrecken je wieder zusammenfinden zu können.

    Figuren nehmen die Plätze anderer ein. Berichte und Falschmeldungen treten zwischen die einzelnen Parteien, die immer noch räumlich voneinander getrennt existieren. Kommunikation ist plötzlich fremdbestimmt. Schicksale liegen in den Händen überbrachter und nicht überbrachter Nachrichten. Und wenn sich dann doch einmal welche gefunden haben, erkennt man sich kaum wieder. Sie alle haben sich verwandelt. Wie die Darstellerinnen und Darsteller diese Entfremdung und das Ringen um Haltung spielen, wie Gunnar Vikene seine Figuren altern lässt, ohne ihnen Frieden schenken zu können – das ist schauriger und mahnender als es irgendwelche nachgespielten Schlachten auf der Leinwand je sein könnten.

    Fazit: „War Sailor“ ringt spürbar mit der eigenen Sprunghaftigkeit, die dem Genre des Kriegsfilms trotz eindrucksvoller Bilder lange Zeit wenig hinzuzufügen weiß. Dafür verdichtet sich das Drama in der zweiten Hälfte zu einer packend inszenierten und erschütternden Erzählung über die Schwierigkeiten des Weiterlebens.

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