Die blutrünstige FSK-18-Seite des allseits beliebten Bären
Von Christoph PetersenDas kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen: Ein ultra-gewalttätiger Slasher mit den Disney-Lieblingen Pu der Bär und Ferkel als sadistische Psychokiller? Das muss doch eine illegale Untergrund-Produktion sein, die dann – wie zuletzt die Trans-Parodie „The People‘s Joker“ – sofort wieder wegen Copyright-Verletzungen aus der Welt geklagt wird. Regulär ins Kino kommt ein solcher Film sowieso nicht, wie sollte er auch? Aber Pustekuchen! „Winnie The Pooh: Blood And Honey“ startet nicht nur – völlig legal (!) – in den deutschen Kinos, er hat sich im Rest der Welt auch schon zum veritablen Indie-Hit gemausert: Dem Mini-Budget von nur 100.000 Dollar stehen längst Einnahmen von etwa fünf Millionen Dollar gegenüber – das ist mal eben das 50-Fache des eingesetzten Kapitals!
Das Zauberwort lautet Public Domain. In den vergangenen Jahren ist nämlich das Copyright des ersten Winnie-The-Pooh-Buchs von A.A. Milne abgelaufen – und so dürfen nun alle ihre eigenen Geschichten mit der Figur erzählen, und seien sie auch noch so blutrünstig. Man muss dabei allerdings beachten, dass dies ausschließlich für jene Elemente gilt, die auch schon in den ersten Storys vorkamen – so ist der erst später hinzugestoßene Tiger bislang ebenso wenig Public Domain wie das ikonische rote T-Shirt von Pu, wie wir es speziell aus den Disney-Zeichentrickfilmen kennen. Ein ziemlich genialer Marketing-Clou von Autor und Regisseur Rhys Frake-Waterfield also – selbst wenn das Ergebnis dann vor allem schrottig geraten ist.
Irgendwie hatten wir Winnie The Pooh ganz anders – und vor allem sehr viel weniger blutrünstig – in Erinnerung…
Nachdem Christopher Robin einst in Richtung College aufgebrochen ist, hat sich der zuvor ach so idyllische Hundert-Morgen-Wald in einen wahrhaften Albtraumort verwandelt: Ohne das von ihrem menschlichen Freund bereitgestellte Futter brach dort nämlich bereits im nächsten Winter eine verheerende Hungersnot aus, die Pu und Ferkel sogar dazu zwang, ihren besten Freund, den Esel I-Aah, zu verspeisen. Seitdem hat das traumatisierte Duo kein Wort mehr gesprochen – und ihr Fressen suchen sie sich inzwischen auch selbst, indem sie einfach arglose Tourist*innen in ihrem Redneck-Schnuppen zerlegen.
Als Christopher Robin (Nikolai Leon) nach fünfjähriger Abwesenheit zurückkehrt, um mal nachzuschauen, wie es den Tieren des Hundert-Morgen-Walds inzwischen geht, machen Pu (Craig David Dowsett) und Ferkel (Chris Cordell) nicht nur mit seiner frischangetrauten Ehefrau Mary (Paula Coiz) kurzen Prozess, sie legen ihren einst besten Freund auch an die Kette, um ihn erst mal ordentlich zu foltern, bevor er dann später auch verspeist werden soll. Unterdessen erreichen fünf Studentinnen ein am Waldrand gelegenes Haus, das sie gemietet haben, um einer von ihnen, Maria (Maria Taylor), über eine traumatische Stalker-Erfahrung hinwegzuhelfen…
Die von Christopher Robin vernachlässigten Tiere des Hundert-Morgen-Waldes haben sich in den letzten Jahren zu waschechten Redneck-Serienkillern entwickelt…
„Winnie The Pooh: Blood And Honey“ geht relativ vielversprechend los: Ja, auch wenn wir zu Beginn erfahren, wie sich die heile Pu-Welt quasi über Nacht in einen darwinistischen Albtraum verwandelt hat, sind die Kulissen billig und die Schauspieler*innen schlecht (wie es sich für einen Low-Budget-Torture-Porn irgendwie auch gehört). Aber zumindest gibt es hier noch einen Bezug zu den bekannten Geschichten, die zwar nicht unbedingt besonders clever, aber dafür immerhin schön fies und zynisch durch den Fleischwolf gedreht werden. Aber damit ist es enttäuschend schnell auch schon wieder vorbei. Stattdessen haben die Verantwortlichen die Figur Pu eben mit Ausnahme der Auftaktminuten wirklich nur als Marketing-Push für ihren ebenso brutalen wie billigen 08/15-Redneck-Horror verwendet.
Im weiteren Verlauf des auch einfach ziemlich hässlich aussehenden Gemetzels könnte das stumme Killer-Duo nämlich genauso gut auch beliebige andere Masken tragen. Der Eindruck, dass es sich bei ihnen nicht um mordlüsterne Hinterwäldler, sondern tatsächlich um mutierte Tiere handelt, entsteht aufgrund des schlanken Budgets ohnehin nie; und auch die Bezüge zur Vorlage spielen bald kaum noch eine Rolle. Im Finale wird es dann noch mal richtig heftig – die FSK 18 hat sich der Film jedenfalls voll verdient. Aber die Gewaltszenen liefern keinen Slasher-Spaß, sondern perfiden Folter-Gore – und das dürfte eher nicht das sein, was sich die meisten Zuschauer*innen erhoffen, die einfach nur neugierig geworden sind, weil einer der knuddeligsten Helden ihrer Kindheit plötzlich als Killer in einem Horrorfilm auftaucht….
Fazit: „Winnie The Pooh: Blood And Honey“ wird seinem Titel nur in den ersten paar Minuten gerecht, bevor er sich dann doch recht schnell als austauschbarer Redneck-Slasher aus der VoD-Konserve entpuppt. 95 Prozent Sadismus, 5 Prozent Spaß – ein genialer Marketing-Kniff macht eben noch lange keinen empfehlenswerten Film.