Ein abgründiges Autoren-Duell
Von Thorsten HanischDer in Großbritannien spielende, aber in der Umgebung von Hamburg gedrehte „The Lesson“ von Alice Troughton besticht auf den ersten Blick durch eine recht originelle Grundidee und einen gewissen Mut: Es gibt mit Sicherheit nur wenige Krimis, die so sehr um das Schreiben kreisen und als Protagonisten einen frisch gebackenen Literaturwissenschafter anbieten, der an einen egomanischen Star-Schriftsteller mit düsterem Geheimnis gerät und sich mit ihm eine Art Autoren-Duell liefert. Ein dialoglastiges Quasi-Kammerspiel mit vier Protagonist*innen auf engstem Raum: Für ein Projekt dieser Art braucht es starke Darsteller*innen, eine wohlüberlegte Kameraarbeit und vor allem ein fesselndes Drehbuch. Leider hapert es gerade beim letzten Punkt. Und so ist es nicht ganz unironisch, dass ein Film, der vom Schreiben handelt, ausgerechnet darüber stolpert, dass das Geschriebene nicht so richtig überzeugen mag.
Der Literaturwissenschaften-Topabsolvent Liam (Daryl McCormack) wird vom Starautor J.M. Sinclair (Richard E. Grant) und Kunsthistorikerin-Frau Hélène (Julie Delpy) als Hauslehrer für deren verwöhnten, miesepetrigen Sohn Bertie (Stephen McMillan) angeheuert. Liam soll Bertie für die Aufnahmeprüfung für Oxford vorbereiten – und um zu gewährleisten, dass die Arbeit mit ihm bestmöglich verläuft, zieht der Hauslehrer auf den prunkvollen Landsitz der stinkreichen Familie. Parallel zum Unterricht mit dem nicht unbedingt zugänglichen Sprössling arbeitet Liam an seinem ersten Roman und hofft, den schon lange von ihm verehrten J.M. als Mentor gewinnen zu können Das klappt zunächst auch, ist aber mit abgründigen Folgen verbunden. Allmählich merkt Liam nämlich, dass die Familie ein ziemlich dunkles Geheimnis hat…
Liam (Daryl McCormack) merkt schnell, dass hinter dem Jobangebot als Hauslehrer mehr steckt, als es zunächst scheint…
Bereits in den ersten Minuten verkündet Sinclair eine seiner Weisheiten über die Kunst des Schreibens: „Sagen wir es so: Durchnittsautoren versuchen originell zu sein. Aber damit scheitern sie. Alle. Gute Autoren hingegen haben den Mut, bei ihren Vorbildern abzukupfern. Und die großen, die ganz großen, stehlen.“ Leider wünscht man sich mit zunehmender Laufzeit, auch Autor Alex MacKeith hätte mehr abgekupfert oder vielleicht sogar bei den großen, ganz großen geklaut. Denn aus der Grundidee seines Debüt-Drehbuchs wird nicht allzu viel gemacht, dafür neigt „The Lesson“ zu einer gewissen Wichtigtuerei.
Die geradlinige Handlung wird überflüssigerweise in Kapitel unterteilt, es wird über klassische Literatur und mehrfach über das Schreiben gesprochen, trotzdem wirkt das Geschehen zusehends plumper. Sinclairs „Die Großen stehlen“- Paradigma, das ein weiteres Mal zur Sprache kommt, steht zu sehr im Fokus, womit einem regelrecht ins Gesicht gedrückt wird, dass die eigene Arbeit des großen, so wahnsinnig von sich eingenommenen Schriftstellers wohl nicht so ganz auf Eigenleistung basiert. Wenn dann noch ein verstorbener, ebenso schreibender Sohn und ein verschlossenes Zimmer ins Spiel kommen, wird schnell klar, worauf das Ganze in etwa hinausläuft und so mündet das Ganze in die eher banal anmutende Tragödie eines totalen Egomanen.
Der für „Can You Ever Forgive Me?“ oscarnominierte Richard E. Grant dreht als Autoren-Egomane voll auf – und trägt so am meisten zum Unterhaltungswert von „The Lesson“ bei.
Besonders raffiniert ist das nicht. Das Spielfilm-Regiedebüt von Alice Troughton (zuvor vor allem Regisseurin diverser Episoden aus dem „Dr. Who“-Universum) will aber trotzdem besonders schlau wirken und packt noch einen wenig überraschenden und nicht unbedingt plausiblen Twist drauf, der aus dem Ganzen rückwirkend einen Krimi machen soll. Man sieht das jedenfalls alles irgendwie kommen, was auch an der Porträtierung der Familie Sinclair liegt, denn die rast nur haarscharf an der Parodie vorbei. Das läuft einerseits dem ernsthaften Grundton zuwider, macht anderseits aber durchaus Spaß. Besonders Richard E. Grant lässt mit Genuss das Ekelpaket raushängen – und lacht bereits nach kurzer Zeit dermaßen verschlagen-psychotisch in die Kamera, dass man ihm in der Folge absolut alles zutraut.
Ein Mann, mit dem man unmöglich glücklich verheiratet sein kann. Dementsprechend gibt July Delpy mit Wonne die Tschaikowsky-klimpernde, undurchsichtig-kühle femme- fatale-Ehefrau, der man vom ersten Augenblick anmerkt, dass sie die Ehe beenden möchte, aber nicht gerade unbedingt auf die konventionelle Art und Weise. Es ist bei solchen Eltern nur konsequent, dass Bertie die meiste Zeit wirkt, als stehe er kurz vor dem Griff zum Strick. Daryl McCormack setzt als Liam wiederum mit einer ruhigen, geerdeten Darstellung einen Kontrapunkt zu diesem Trio und täuscht mit seinem Charisma erfolgreich über den bestenfalls mittelmäßigen Plot hinweg – wo übrigens auch die starke Kameraarbeit beiträgt, die immer wieder mit interessante Bildkompositionen erfreut, in denen gerade Spiegelungen immer wieder eine zentrale Rolle spielen.
Fazit: Der Psychothriller handelt zwar vom Schreiben, krankt selbst aber ausgerechnet an einem unausgereiften Skript. „The Lesson“ wirkt mit zunehmender Laufzeit plump, woran auch ein nicht allzu cleverer Schlusstwist nichts mehr ändert. Die engagierten Darsteller*innen sowie eine einfallsreiche Kameraarbeit tragen das Ganze trotzdem über die Ziellinie.