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    Konklave
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Konklave

    Die Schützengräben des Vatikans

    Von Patrick Fey

    Das Kino des Edward Berger kommt neuerdings auch musikalisch mit einem „Bang!“. Zuletzt war das so in seinem Weltkriegsdrama „Im Westen nichts Neues“, das der gebürtige Wolfsburger entlang eines dreitönigen Motivs seines Komponisten Volker Bertelmann entwickelte. Aufgenommen auf einem Harmonium und verzerrt durch einen Gitarrenverstärker kreierte Bertelmanns minimalistischer Akkord eine bedrohliche Atmosphäre, deren Dröhnen die Schrecken des Ersten Weltkrieges früh ankündigt. Diese künstlerische Zusammenarbeit zahlte sich aus – und wie: Sowohl Bertelmann mit seinem Score als auch Berger in der Kategorie „Bester internationaler Film“ haben einen Oscar gewonnen.

    Wer sich fragte, welches Themas sich Edward Berger nun, da ihm schier alle Türen Hollywoods offenstehen, annehmen würde, mag auf den ersten Blick verwundert darüber gewesen sein, dass es ihn mit dem Vatikan-Thriller „Konklave“ nun in eine diffuse Gegenwart zieht. Allerdings gilt das nur solange, bis man sich ein wenig näher mit dem Stoff seines neuen Filmes beschäftigt. Denn nach den Schützengräben des Ersten Weltkrieges begibt sich Berger nun auf ein Terrain, das in einer ganz ähnlichen Dimension über die Geschicke der Welt entscheidet: den Vatikan, das Herz der Katholischen Kirche.

    LEONINE
    Kardinal Lawrence (Ralph Fiennes) ahnt schon, dass sein Job alles andere als einfach werden wird.

    Der Papst ist tot, und in seinem letzten Willen hat dieser den von Ralph Fiennes („Schindlers Liste“) gespielten Kardinal Lawrence damit beauftragt, als Dekan das anstehende Konklave zu leiten, das über die Wahl des neuen Pontifex zu bestimmen hat. Damit es dazu kommen kann, braucht es eine Zweidrittelmehrheit der stimmberechtigten Kardinäle, die aus aller Welt in den Stadtstaat im Herzen Roms anreisen.

    Dass es sich bei der Wahl aber keineswegs um eine reine Gewissensentscheidung handelt, sondern sich im Hintergrund bereits Fraktionen bilden, die die verschiedenen politischen Strömungen innerhalb der katholischen Kirche repräsentieren, weiß natürlich auch Lawrence...

    Weniger Oscars, größeres Vergnügen

    Wo sich Berger in seiner Adaption des Remarque-Klassikers „Im Westen nichts Neues“ wie so viele Filmemacher*innen vor und nach ihm mit der Frage auseinandersetzen musste, ob es so etwas wie Anti-Kriegsfilme überhaupt gibt, stellt sich die Situation in „Konklave“ nun gänzlich anders dar. Denn für die gleichnamige Romanvorlage aus der Feder von „Vaterland“-Autor Robert Harris gibt es nur bedingt ein reales Vorbild. Was zur Folge hat, dass Berger sich freier — fast möchte man sagen: ungehemmt — in der von ihm kreierten Welt bewegen kann. Losgelöst von den ethischen Leitfragen, die Berger bei einem Film über einen realen Krieg geleitet haben mögen, darf in „Konklave“ all das an die Oberfläche quellen, was in „Im Westen nichts Neues“ noch sorgsam zurückgehalten wurde: das Überhöhte, der Kitsch, und ja: gerade auch der Pulp!

    Und seien wir ehrlich: Gibt es einen besseren Schauplatz als den Vatikan, um sich dem ungezügelten Pathos hinzugeben? Ein Ort, dessen Geheimnisse noch besser geschützt werden als die Goldreserven von Fort Knox. Das öffentliche Interesse an den Verschwörungsromanen Dan Browns und den zugehörigen Verfilmungen mit Tom Hanks, angefangen mit dem Superhit „The Da Vinci Code – Sakrileg“, sprechen dahingehend eine klare Sprache. Oder denken wir an Fernando Meirelles‘ „Die zwei Päpste“, der 2019 die zwei entscheidenden Konklaven nachzeichnete, die den Anfang und das Ende der Amtszeit des deutschen Papstes Benedikt XVI markierten.

    LEONINE
    Die Kardinäle schauen zwar staatstragend drei, aber in den Pausen verhalten sie sich dennoch wie Teenager auf dem Schulhof.

    Was in „Die zwei Päpste“ noch ein historischer Stoff war, entpuppt sich hier als ein Gedankenexperiment, das – ohne explizit reales Vorbild – zur Allegorie wird. Denn, wie es an einer Stelle heißt: einmal zum Pontifex gewählt, wird einer der Kardinäle innerhalb kürzester Zeit zum berühmtesten Mann der Welt. Und damit, ungleich wichtiger: zu einem der mächtigsten und einflussreichsten Polit-Lenker der Welt. Damit dies geschehen kann, werden nun die letzten Vorbereitungen getroffen, die Berger mit präziser Beobachtung für die kleinen Prozesse und Handbewegungen einfängt. Die Ernsthaftigkeit, mit der die Papstwahl abgehalten wird, ist dabei von Beginn an spürbar, untermalt vom abermals dröhnenden Score von Volker Bertelmann. Keineswegs originell, aber nichtsdestoweniger effektiv, etabliert Berger seinen Protagonisten Lawrence dabei als Projektionsfigur, die, von Rechtschaffenheit und Verantwortungsbewusstsein beseelt und von Selbstzweifeln geplagt, alles daran setzt, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen.

    Gleichzeitig untergräbt der deutsche Filmemacher von Beginn alle Erwartungen daran, die – gerade nach den neun Oscar-Nominierungen für „Im Westen nichts Neues“ möglicherweise an den Film selbst herangetragen werden: Immer wieder wird das Sakrale und Profane — das Heilige und das Alltägliche — in derselben Einstellung nebeneinandergestellt. So sehen wir etwa die nach und nach eintretenden Kardinäle wie Jugendliche in Grüppchen zusammenstehen, eine Zigarette nach der anderen rauchend, sodass sich die Stummel bald schon in den Ecken des steinernen Hofes anhäufen. Manch anderer Kardinal starrt auf sein Smartphone, nicht anders, als wir es tagtäglich auch unter uns Normalsterblichen beobachten können. Auch sind die Kardinäle nicht vor den Sicherheitskontrollen gefeit, die vor Eintritt in die heiligen Hallen erforderlich sind.

    Kirchliche Kaffeemaschinen

    Ganz wie die elektrischen Jalousien in den kirchlichen Räumen, die später automatisch nach unten fahren, wirken all diese kleinen Einblicke beinah wie Anachronismen und setzen auf diese Weise früh den Ton, der die restliche Laufzeit des Filmes bestimmt. Und während der Score durchgehend Thriller-Ambitionen behauptet, unterläuft Berger auch diese Erwartungen immer wieder mit bissigem Humor. So zum Beispiel, als Lawrence einen der Kardinäle mit einem ihm vorgebrachten Vorwurf konfrontiert, und dieser, sichtlich schauspielernd, theatralisch erwidert, er sei „schockiert“. Und das, während ihn die Kaffee-Pad-Maschine per Signal darauf hinweist, dass seine Tasse fertig aufgebrüht sei. Oder wenn ein politisch rückwärtsgewandter Kardinal, der Ambitionen auf das hohe Amt hat, eine seiner Reden mit einem Zug aus seinem Vape beendet.

    Die Außenwelt, so legen es diese Szenen dar, ist längst hineingebrochen in die einst so abgeschottete Welt der katholischen Kirche. Bezeichnend dafür sind auch die Bombenangriffe, die sich während der Konklaven zutragen und eines Tages ein hohes Fenster einschlagen. Bis dahin haben wir bereits erfahren, dass das Konklave zur Voraussetzung hat, dass keine externen Nachrichten in das Innere der Versammlung treten dürfen, damit auch ja keine Form der Einflussnahme auf die Wahlen stattfinden kann. Wenn bei einer Abstimmung aufgrund der zerbrochenen Fensterscheibe ein Windstoß die Wahlzettel anhebt, macht das auch bildlich klar, dass die im Vatikan getroffenen Entscheidungen eben längst nicht mehr im luftleeren Raum geschehen.

    LEONINE
    Neben Ralph Fiennes liefert auch Stanley Tucci voll ab!

    Das ist natürlich nicht sonderlich subtil. Das gilt auch für jenen Moment gegen Ende des Films, als die Kardinäle ausgerechnet in einem dunklen Kinosaal zusammentreffen und sich dort auf entscheidende Weise zu ihrer anstehenden Wahl des neuen Papstes inspirieren lassen. Allerdings wäre es auch nicht fair, vom Film etwas zu erwarten, was er gar nicht vorgibt zu sein. Stattdessen blüht „Konklave“ gerade in jenen Szenen auf, wenn Berger sich vollends dem Pathos hingibt, der den mit der eigenen Institution im Konflikt stehenden Lawrence auf Schritt und Tritt begleitet. Denn gerade hier läuft „Konklave“ wiederholt dem zuwider, was viele von ihm erwartet haben: ein Awards-Vehikel, das dem großen Ralph Fiennes endlich den lang verdienten Oscar einbringt.

    Fazit: „Konklave“ überrascht durch seine ungehemmte Überhöhung und die Vermischung des Sakralen mit dem Profanen, wobei Berger zwischen dröhnendem Score und bewusstem Kitsch pendelt. Der Film entfaltet sich, wenn er sich voll und ganz dem Pulp hingibt und dabei die Erwartungen an ein weiteres Oskar-Vehikel nach „Im Westen nichts Neues“ konsequent untergräbt. So ein diebisches Vergnügen bereiten der Vatikan und Polit-Thriller wie „Konklave“ sonst eher selten.

    Wir haben „Konklave“ beim Filmfest Toronto 2024 gesehen.

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