"The Wolf Of Wall Street" mit Schmerzmitteln statt Aktien
Von Lutz GranertDie Opioid-Krise hat die USA weiterhin fest im Griff! Seit den 1990er Jahren werden die schmerzstillenden Medikamente verschrieben – auch weil eine Studie das Suchtpotenzial der angstlösenden und euphorisierenden Substanzen (zunächst) nicht erkannte. Das stärkste von ihnen trägt den Namen Fentanyl, das eigentlich nur zur Behandlung von Krebspatient*innen mit Durchbruchsschmerzen zugelassen ist – also nur für einen sehr kleinen und meist totkranken Personenkreis. Eigentlich. Der Gründer des Pharmaunternehmen Insys Therapeutics wurde 2020 verurteilt, weil er Ärztinnen und Ärzte rund um den Börsengang seines Unternehmens im Jahr 2013 mit Schmiergeld und Stripclub-Einladungen dazu gebracht haben soll, Fentanyl auch bei harmloseren Beschwerden an die Patient*innen zu verschreiben. Die Folge: Tausende Süchtige und Suchttote mehr! Nach einer Whistleblower-Klage eines Vertriebsmitarbeiters dauerte es Jahre, bis der Führungsriege von Insys Therapeutics der Prozess gemacht wurde. Das Ergebnis: Verurteilungen zu langen Haftstrafen.
Der „The New York Times Magazine“-Journalist Evan Hughes hat den kometenhaften Aufstieg und tiefen Fall von Insys Therapeutics in seinem Sachbuch „The Hard Sell: Crime And Punishment At An Opioid Startup“ (» hier bei Amazon*) aufgearbeitet. Gerade nach dem Erfolg der thematisch ähnlich gelagerten Miniserie „Painkiller“ war das offenbar ein ziemlich begehrter Filmstoff, schließlich hat Netflix stolze 50 Millionen Dollar für die weltweiten Streaming-Rechte der Verfilmung „Pain Hustlers“ auf den Tisch gelegt. Das Ergebnis fällt jedoch trotz der Superstars Chris Evans und Emily Blut sowie der Regie von David Yates („Harry Potter 5 bis 8“) ernüchternd aus: Die formelhaft abgespulte und unnötig auf zwei Stunden aufgeblasenen Tragikomödie wird dem ernsten Thema kaum gerecht.
Liza Drake (Emily Blunt) und Pete Brenner (Chris Evans) erweisen sich im Vertrieb als Dreamteam – dummerweise verkaufen sie den Tod!
Bei ihrem Job in einem Stripclub lernt die in finanziellen Nöten steckende alleinerziehende Mutter Liza Drake (Emily Blunt) den jovialen Pharmavertreter Pete Brenner (Chris Evans) vom strauchelnden Start-Up Zanna kennen. Das Unternehmen hat zwar das Fentanyl-Medikament Lonafen entwickelt, das bei Durchbruchsschmerzen von Tumorpatienten zwar schneller und effizienter wirkt als andere Präparat, aber trotzdem nicht von Ärztinnen und Ärzten verschrieben wird. Liza heuert bei Zanna im Vertrieb an:
Mit ihrem Charme und Einladungen zu dubiosen Vorträgen oder Partys gewinnt sie schnell die Gunst der Mediziner*innen. Doch die raketenartig in die Höhe schießenden Umsätze reichen dem spleenigen Milliardär und Unternehmensgründer Dr. Jack Neel (Andy Garcia) nicht: Das stark gewachsene Vertriebsteam soll Ärzte und Ärztinnen davon überzeugen, Fentanyl auch bei weniger starken Schmerzen und in möglichst hohen Dosen zu verschreiben. Liza wird auf das hohe Suchtpotenzial aufmerksam und wendet sich als Whistleblowerin an die Behörden...
Es gibt viele Filme, die packend vom Aufstieg und Fall von (betrügerischen) Unternehmen erzählen. Ein Referenzbeispiel ist sicherlich „The Wolf Of Wall Street“, in dem Martin Scorsese die unstillbare Gier von Jordan Belfort und seinem Team in berauschenden Szenen regelrecht greifbar werden lässt. In „Pain Hustlers“ beschränkt sich diese Gier allerdings auf die Launen von Dr. Jack Neel: Nachdem alle Zanna-Mitarbeiter*innen im Büro keine Schuhe mehr tragen dürfen (und in seiner palastartigen Villa schon gleich gar nicht), will der Milliardär nun offenbar aus lauter Lageweile noch mehr Geld verdienen.
Auch wenn Andy Garcia („Expendables 4“) seiner Figur herrlich schrullige Züge verleiht, wenn eretwa vor der Begrüßung mit Handschlag auf Desinfektion besteht, gerät das Drehbuch von Wells Tower nicht nur an dieser Stelle beliebig und plump. Die Wandlung von Liza von der gewissenlosen Vertrieblerin zur Whistleblowerin mit Herz, als sie die langen Schlangen zombieartig nach mehr Fetanyl gierenden Patient*innen vor den Schmerzambulanzen sieht, ist in dieser Verkürzung ebenfalls kaum plausibel. Immerhin profitiert sie finanziell von dem System, das sie selbst mit aufgebaut hat – sie lebt in einer großen, schick eingerichteten Wohnung und kann sich um ihre Tochter kümmern, die eine teure medizinische Behandlung benötigt.
The Wolf Of Pharma: Unternehmensgründer Dr. Jack Neel (Andy Garcia)!
Emily Blunt spielt ihre Rolle so bodenständig, dass man ihr auch das Linkische und Mütterliche ihrer Figur abnimmt – wenn sie etwa Ärzte mit Selbstgebackenem zu ködern versucht oder ihrer Tochter bei einem epileptischen Anfall liebevoll zuredet. Als große Sympathieträgerin spielt sie den mit dick aufgetragener Proll-Attitüde meist nur „Erklärbär“-Sätze (was dieses oder jenes für die Firma bedeutet) aufsagenden Chris Evans („The Gray Man“) locker an die Wand.
Regisseur David Yates wirkt indes abseits seines gewohnten Hogwarts-Metiers unbeholfen darum bemüht, seiner – mangels satirischer Überspitzung – wenig launigen oder unterhaltsamen Komödie, die im letzten Drittel plötzlich einen um Spannung und Brisanz bemühten Thriller-Spin einschlägt, doch noch so etwas wie Tiefgang oder zumindest einen pseudo-dokumentarischen Anstrich zu verleihen. Der Voice-Over der Beteiligten, in denen sie die kuriosen Ereignisse in einer in schwarz-weiß getauchten Interviewsituation-Szenerie süffisant Revue passieren lassen, bietet da aber ebenfalls wenig Mehrwert.
Fazit: Der offenbar von Filmen wie „The Big Short“ inspirierte Ansatz, ein eigentlich staubtrockenes Thema möglichst launig zu präsentieren, geht in „Pain Hustlers“ nicht auf. Es gibt zwar ein paar witzige Momente – aber insgesamt fehlt es an einer klaren Linie, ob man nun nur mild unterhalten möchte oder tatsächlich etwas Fundamentales zu dem Thema zu sagen hat. (Dann lieber noch mal „The Wolf Of Wall Street“, den gibt es schließlich auch auf Netflix.)
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