So viel Spaß hat man mit Auftragsmördern selten
Von Christoph PetersenIm Vorfeld der Filmfestspiele von Venedig schien es noch, als hätte „Boyhood“-Regisseur Richard Linklater bei der Terminplanung echt die Arschkarte gezogen: Immerhin war die Premiere seines neuen Films „Hit Man“ nur 48 Stunden nach der von „Der Killer“ angesetzt – und während gefühlt die ganze Welt dem neuen Thriller von David Fincher entgegenfieberte, hatten die meisten von „Hit Man“ zuvor noch nicht mal gehört. Aber zum einen sind die beiden Auftragskiller-Filme doch SEHR unterschiedlich – und zum anderen gab es nach den immer wieder von Szenenapplaus begleiteten Screenings von „Hit Man“ gar nicht wenige, die ihn sogar (noch) besser als „Der Killer“ fanden.
Wie schon bei seiner rabenschwarzen Komödie „Bernie - Leichen pflastern seinen Weg“, in dem Jack Black als von allen geliebter Bestatter eine von allen gehasste Seniorin um die Ecke bringt, hat Linklater auch diesmal wieder auf einen Artikel des Journalisten Skip Hollandsworth zurückgegriffen: In diesem geht es um einen Psychologieprofessor, der sich im Auftrag der Polizei als Auftragskiller ausgibt. Aber statt die – schon für sich ganz schön skurrile – Geschichte einfach nur zu verfilmen, hat Linklater sie zu einer regelrechten Räuberpistole voller augenzwinkernd-makabrer Twists weitergesponnen und so eine der unterhaltsamsten Komödien des Jahres geschaffen.
„Top Gun 2“-Star Glen Powell erweist sich in „Hit Man“ wahrer Verwandlungskünstler.
Der Philosophie und Psychologie unterrichtende Professor Gary Johnson (Glen Powell) arbeitet im Zweitjob für die Polizei von New Orleans. Obwohl er mit seinem technischen Sachverstand eigentlich nur bei der Bedienung der Abhörtechnik helfen soll, springt er nach der Suspendierung des ursprünglich vorgesehenen Kollegen plötzlich selbst als Undercover-Cop ein: Gary gibt sich als Auftragskiller aus – und sobald die potenzielle Kundschaft klar ausgesprochen hat, dass ein Mord für Geld geschehen soll, klicken direkt die Handschellen.
Gary findet Gefallen an der Aufgabe! Für jedes Treffen entwickelt er ein neues Alter Ego, um so möglichst genau den jeweiligen Vorstellungen von einem Killer zu entsprechen: Für die einen gibt er den anzugtragenden Vollprofi nach dem Vorbild von James Bond, während andere eben eher einen grenzdebilen Hillbilly mit halbverfaulten Zähnen erwarten. Aber dann sitzt ihm plötzlich die verzweifelte Madison (Adria Arjona) gegenüber, die ihren gewalttätigen Ehemann loswerden will. Gary zeigt Mitleid – und setzt so eine Kette verhängnisvoller Ereignisse in Gang…
Der 34-jährige Texaner Glen Powell hat zwar schon in mehr als 50 Filmen und Serien mitgespielt, das aber zumeist in Kleinst- oder Nebenrollen (etwa als Trader #1 in „The Dark Knight Rises“). In Erinnerung geblieben ist er allerdings zuletzt als Jetpilot Lt. Jake „Hangman“ Seresin in „Top Gun 2: Maverick“: Nachdem er in dem Milliarden-Superhit an der Seite von Tom Cruise vornehmlich seine unverschämte Attraktivität ausgestellt hat, beweist er nun in seiner ersten richtigen Kino-Hauptrolle, dass er nicht nur unfassbar wandlungsfähig ist, sondern dazu auch noch über ein entwaffnendes komödiantisches Timing verfügt.
Es gibt wiederholt kurze Montagen, in denen wir Gary in seinen verschiedensten Verkleidungen sehen. Aber während diese Sequenzen für Glen Powell kaum mehr sind als ein Kostüm-Schaulaufen, erreicht „Hit Man“ an anderen Stellen eine erstaunliche psychologische Tiefenschärfe: Alle sind Fans von Ron, einem besonders cool-lässigen Auftragskiller-Alter-Ego – und je häufiger Gary den Part spielt, desto mehr färbt von der Kunstfigur auch auf sein tatsächliches Ich ab. Es ist bestimmt kein Zufall, dass die beiden Katzen des Philosophieprofessors nach Freud die Namen ID und EGO tragen (auf Deutsch währen das dann „ES“ und „ICH“).
Bei „Kundin“ Madison (Adria Arjona) vergisst Fake-Auftragskiller Gary bald seine Professionalität.
Aber keine Angst, „Hit Man“ ist ganz sicher kein trockenes Psychologie-Seminar, ganz im Gegenteil: Richard Linklater liefert hier eine durch und durch klassische Hollywood-(Verwechslungs-)Komödie mit Noir-Krimi-Elementen ab. Auf den Spuren altbekannter Genre-Pfade wäre das Ergebnis auch gar nicht weiter groß der Rede wert, wenn der Film nicht auch abseits der starken Performances einfach so verdammt gut gemacht wäre: Die Schlagzahl der Wendungen ist hoch, die Dialoge sind clever, die (romantischen) Screwball-Momente haben einen charmant-frechen bis trocken-makabren Witz …
… und dazu kommen in der voller Wendungen und Überraschungen steckenden zweiten Filmhälfte, auf welche wir hier gar nicht eingehen wollen, immer wieder Momente, die selbst hartgesottene Filmkritiker*innen auf einem „anspruchsvollen“ Filmfestival wie dem in Venedig einen Szenenapplaus wert sind. Bei den Vorführungen von David Finchers „Der Killer“ hat es so etwas jedenfalls nicht gegeben.
Fazit: Überraschend, clever und schlichtweg unglaublich unterhaltsam! „Hit Man“ hat definitiv das Zeug dazu, seinen wandlungsfähigen Hauptdarsteller Glen Powell zum Star zu machen!
Wir haben „Hit Man“ beim Filmfestival Venedig 2023 gesehen, wo er außer Konkurrenz im offiziellen Programm seine Weltpremiere gefeiert hat.