Wohl noch nie hat ein Business-Deal so grandios unterhalten
Von Christoph PetersenDas Auf und Ab in der Laufbahn von Ben Affleck geht munter weiter. Nachdem seine Karriere einst direkt mit dem Drehbuch-Oscar für „Good Will Hunting“ begann, wurde er lange Zeit vornehmlich als Schönling (fehl-)besetzt, bevor er sich mit „Gone Baby Gone“, „The Town“ und dem oscarprämierten „Argo“ plötzlich zu einem der angesehensten Schauspieler-Regisseure Hollywoods aufschwang. Alles sprach dafür, dass Ben Affleck der nächste Clint Eastwood werden könnte. Aber dann folgten parallel zu allerlei in der Klatschpresse ausgeschlachteten persönlichen Rückschlägen auch noch der Mega-Flop „Live By Night“, das ganze Batman-Missverständnis sowie das draus resultierende Sad-Affleck-Meme.
Nun aber meldet sich der „Armageddon“-Star mit einem Paukenschlag zurück! Ben Affleck selbst hat die Weltpremiere seiner fünften Regiearbeit auf dem South By Southwest Filmfestival als „den wichtigsten Abend in meiner Karriere“ bezeichnet – und dann nicht nur mächtig Applaus der Fans kassiert, sondern darüber hinaus auch noch ein bislang perfektes 100-Prozent-Kritikenrating auf Rotten Tomatoes eingefahren. Nun schießt ein solch früher Festival-Hype oft auch über das Ziel hinaus, aber in diesem Fall können auch wir nur darin einstimmen: „Air – Der große Wurf“ über das Zustandekommen des ikonischen Schuh-Deals zwischen Nike und Michael Jordan ist so unfassbar unterhaltsam, dass wir uns von Ben Affleck im Anschluss sogar einen Film über das Adidas-und-Kanye-West-Fiasko ansehen würden.
Sonny (Matt Damon) weiß, dass er nicht Michael Jordan selbst, sondern vor allem seine Mutter Deloris (Viola Davis) überzeugen muss.
Aus heutiger Sicht kann man sich das kaum noch vorstellen, aber 1984 galt Nike als ausgesprochen uncoole Marke, von der allenfalls die Jogging-Schuhe noch etwas taugten. Was die Marktanteile anging, lag man so weit hinter Adidas und Converse, dass man ernsthaft darüber nachdachte, die Abteilung für Basketball-Schuhe gleich komplett dichtzumachen – schließlich handele es sich ja sowieso nur um ein Nischenprodukt: Maximal eine Million Menschen würden Basketballschuhe tragen und auch diese nur, wenn sie gerade auf dem Court stehen, und keinesfalls einfach so als Statussymbol in der Freizeit.
In diesem Umfeld bekommt der Basketball-Experte Sonny Vaccaro (Matt Damon) den Auftrag, drei NBA-Rookies für einen Marketing-Deal zu gewinnen. Natürlich nicht die Top-Talente, die würden ja eh nicht bei Nike unterschreiben, sondern einfach irgendwelche aus dem Mittelfeld. Aber Sonny ist sich sicher: Entweder Michael Jordan oder gar keinen! Das Problem ist nur: Der Shooting Guard hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass er die Adidas-Schuhe am besten findet – und der Nike-Gründer Phil Knight (Ben Affleck) ist zunächst auch alles andere als begeistert davon, alles auf eine Karte zu setzen. Aber Sonny lässt sich nicht beirren und beschließt, zunächst einmal Michaels Mutter Deloris Jordan (Viola Davis) auf seine Seite zu ziehen…
„Air – Der große Wurf“ ist das erste fertiggestellte Projekt der neuen Produktionsfirma von Ben Affleck und seinem besten Kumpel Matt Damon. Passend zum Company-Namen Artists Equity sollen die beteiligten Künstler*innen direkt am Erfolg der Filme teilhaben (und dafür wahrscheinlich auch auf einen Teil ihrer üblichen Vorab-Gagen verzichten). Ob es daran liegt, dass die Schauspieler*innen in „Air“ durch die Bank so verdammt stark abliefern, lässt sich natürlich schwer sagen. Aber es ist schon erstaunlich, dass trotz der Breite des Casts wirklich niemand abfällt.
Matt Damon reißt das Publikum mit seinem unbedingten Willen, den Deal zustande zu bringen, gnadenlos mit – unterstützt von strammen Skript von Alex Convery sowie dem selbstironischen Umgang mit seiner Wampe, die den „Bourne“-Star nur noch sympathischer macht. An seiner Seite brilliert Ben Affleck selbst in einer der großen komödiantischen Performances des Jahres als Firmenlenker mit Achtziger-Perücke und Buddhismus-Fimmel. Man merkt, dass der Regisseur Nike vorab nicht um Erlaubnis gefragt hat – denn auch wenn der Konzern die Rolle des anzufeuernden Underdogs einnimmt, bekommt Phil Knight vor allem beim alles entscheidenden Meeting grandios sein Fett weg.
Ben Affleck hat sichtlich Spaß daran, den milliardenschweren Nike-Gründer Phil Knight nicht allzu ernst zu nehmen…
Sehr wohl nachgefragt hat der Regisseur allerdings bei Michael Jordan (der im Film übrigens immer nur von hinten zu sehen ist, weil es laut Affleck nur abgelenkt hätte, einen Schauspieler in der Rolle zu sehen). Der sechsfache NBA-Champion stimmte zwar sofort zu, hatte jedoch zwei Bitten: Zum einen wollte er unbedingt Viola Davis („Fences“) als seine Mutter sehen – und die Oscargewinnerin ist nun auch tatsächlich das schlagende Herz von „Air“. Zum anderen sollte sein guter Freund und Nike-Manager Howard White nicht ausgespart werden, was uns nun die wahrscheinlich beste Performance in der Karriere von Chris Tucker beschert: Der „Rush Hour“-Komiker erweitert sein längst zum Markenzeichen gewordenes Dauerplappern hier noch um ein gepfeffertes Maß an Empathie!
Klar kann man hier und da meckern. So wirken manche Trivia-Einwürfe wie die zur Entstehung des Nike-Logos oder zur Bedeutung des Firmennamens etwas lieblos in die Dialoge integriert – und den gar nicht subtilen Bezug zwischem dem großen Business-Pitch von Sonny und der „I Have A Dream“-Rede von Martin Luther King darf man sogar problematisch finden. Aber insgesamt ist „Air“ – auch dank des großzügig eingeworfenen Zeitkolorits von Brettspielen über Süßigkeiten bis hin zum Superflop „Der Senkrechtstarter“ mit der unwahrscheinlichen Traum-Combo Sylvester Stallone und Dolly Parton – einfach dermaßen mitreißend unterhaltsam, dass die Zeit tatsächlich wie im Flug vergeht…
Fazit: Eigentlich erzählt Ben Affleck in „Air – Der große Wurf“ nur vom Zusammenkommen eines schnöden Marketing-Deals – und trotzdem lässt die klassische Underdog-Geschichte die allermeisten Comic-Spektakel und Action-Blockbuster in Sachen Unterhaltungswert spielend hinter sich. Grandios kurzweiliges Schauspieler*innen-Kino, bei dem man sich nicht mal großartig für Michael Jordan oder Basketball interessieren muss, um im Kino so viel Spaß wie wohl nur mit wenigen anderen Filmen in diesem Jahr zu haben.