Muskeln, Morde, Sex und Kristen Stewart
Von Björn BecherMit „Saint Maud“ feierte Rose Glass ein sensationelles Langfilm-Debüt. Das in Deutschland klammheimlich erst mit zwei Jahren Verspätung im Streaming veröffentlichte Mystery-Horror-Drama wurde international zum gefeierten und preisgekrönten Must-See für Genrefans. Nun würde man vermuten, dass Glass dem vertrauten Genre, welches sie auch schon in zahlreichen Kurzfilmen erkundet hat, mit ihrem zweiten Kino-Werk treu bleibt – nur alles halt ein klein wenig größer wird. Aber Pustekuchen!
Die britische Regisseurin stellt zwar erneut zwei gegensätzliche Frauen in den Mittelpunkt ihrer Geschichte. Wer will, kann zudem ein paar Mystery-Elemente finden. Doch sonst könnte „Love Lies Bleeding“ sich nicht stärker vom Vorgänger unterscheiden – und das nicht nur, weil Glass die britische Heimat verlässt und eine durch und durch amerikanische Geschichte erzählt. Mit flirrenden Bildern und einem grandiosen, das Geschehen treibenden Electro-Score wähnt man sich bei „Love Lies Bleeding“ bisweilen in einem Werk von Nicolas Winding Refn („Drive“) – abrupte Gewalt-Exzesse inklusive. Daraus entwickelt die Regisseurin einen betörenden Rausch – mit einer tollen Kristen Stewart im Mittelpunkt. Und obendrauf ist „Love Lies Bleeding“ schon jetzt einer der romantischsten Filme des Jahres – aber für ein erstes Date würden wir ihn vielleicht trotzdem nicht unbedingt empfehlen.
1989, eine kleine Stadt in New Mexico: Lou (Kristen Stewart) arbeitet in einer Mucki-Bude und man fragt sich, was sie an diesem gottverlassenen Ort hält. Sie selbst nennt als Grund ihre Schwester Beth (Jena Malone), die von ihrem Mann JJ (Dave Franco) regelmäßig verprügelt wird und die sie deswegen nicht zurücklassen kann. Doch in Wirklichkeit ist das Leben hier das einzige, was sie kennt. Dann taucht plötzlich die obdachlose Bodybuilderin Jackie (Katy O'Brian) auf. Vor einem Wettbewerb in Las Vegas will sie hier für einen Monat Station machen. Die beiden Frauen verlieben sich Hals über Kopf.
Doch Jackie arbeitet ausgerechnet für Lous verhassten Vater (Ed Harris), der neben dem lokalen Schießstand auch noch ein kriminelles Imperium mit Waffenschmuggel leitet und deshalb vom FBI beobachtet wird. Schlimmer ist für Lou allerdings, dass Jackie Sex mit JJ hatte, um den Job zu bekommen. Doch die Liebe ist stärker – wie stark zeigt sich, als Beth von ihrem Mann mal wieder ins Krankenhaus geprügelt wird. Dies setzt eine Kette blutiger Ereignisse in Gang, bei der es nicht bei einer (übelst entstellten) Leiche bleibt…
Wir lernen Lou kennen, als sie gerade tief mit ihrer Hand in einer verstopften Toilette herumwühlt. Wie sie diese Sauerei aufräumt, ist ein Vorgriff auf später Säuberungsaktionen, wenn es zum ersten Toten kommt. Denn so exzessiv einige der kurzen, teils abrupten Gewaltakte sind, so ausführlich wird dann im Anschluss auch gezeigt, wie Lou zu Putzmitteln greift, um all die blutigen Spuren zu beseitigen. Was man halt aus Liebe macht – denn auch wenn „Love Lies Bleeding“ Action, Thrill und sogar eine Menge Humor bietet, ist es vor allem ein ungemein kraftvoller Liebesfilm.
Dies illustriert Regisseurin Rose Glass nicht nur durch die intensiven, teilweise auch weitgehenden Sex-Szenen, sondern auch mit ganz unerwarteten Bildern. Immer wieder gibt es artifizielle Close-ups von Jackie Muskeln, die bei Wut förmlich anschwellen und fast schon explodieren. Machen die Anabolika, welche Lou ihr besorgt und die ihre Freundin immer exzessiver nutzt, die angehende Bodybuilderin zum Hulk? Oder ist es nicht vielmehr so, dass es gerade die frisch gefundene Liebe ist, die ihre Muskeln so bersten lässt? Die erste blutige Tat des Films liefert womöglich schon die Antwort.
Regisseurin Glass arbeitet viel mit eingeschobenen albtraumhaften Bildern. Da schwellen nicht nur Jackie Muskeln und die Adern in Großaufnahme so an wie bei Bruce Banner kurz vor seiner Verwandlung zum grünen Marvel-Wüterich. Auch gibt es immer wieder Close-ups auf Schusswaffen. Neben dieser sich nicht zufälligen Doppel-Fetischisierung von Muckis und Knarren sehen wir vor allem immer wieder Visionen eines dämonenhaften Ed Harris. In rotes Licht getaucht, grinst er mit seinem wallenden langen Haar diabolisch. Man spürt, welche Gefahr von ihm trotz seiner lächerlichen (und auch für den einen oder anderen Lacher sorgenden) Optik und Gestik ausgeht.
Untermalt von einem treibenden Score von Clint Mansell („Requiem For A Dream“), fängt Ben Fordesmann („Saint Maud“) immer wieder Dinge in Großaufnahme ein. Doch es sind nicht etwa die Bilder aus dem Fitnessstudio voller Plakate mit platten Sinnsprüchen („Only Losers Quit“) und muskulösen Körpern, über welche ganz langsam der Schweiß rinnt, welche „Love Lies Bleeding“ zu einem der kraftvollsten Filme des Jahres macht. Nein, diese Vitalität kommt aus dem eigentlichen Film selbst, der seine ganz eigene Spannung und einen unglaublichen Sog entwickelt. Ohne überraschende Wendungen aus dem Hut zu zaubern, schlägt „Love Lies Bleeding“ von ganz alleine und ganz selbstverständlich immer wieder eine andere Richtung ein, als man es eigentlich erwarten würde. Glass' Zweitwerk fesselt und berauscht bisweilen förmlich – hin zu einem ungemein befriedigenden Ende.
In dem wächst zwar die unter anderem aus „The Mandalorian“ bekannte Katy O'Brian buchstäblich über sich hinaus, doch es ist vor allem die famose Kristen Stewart („Spencer“), welche das laut schlagende Herz im Zentrum dieser Geschichte ist. Es ist eine weitere herausragende Leistung der Schauspielerin, die mit einem einzelnen Blick so viel aussagen kann – sei es die Liebe für Jackie, die Angst, diese zu verlieren, die Verachtung für JJ und ihren Vater oder auch nur das für den einen oder anderen humorvollen Moment sorgende Genervtsein über die einfach gestrickte, ihr nachstellende White-Trash-Ex-Freundin Daisy (Anna Baryshnikov).
Fazit: „Love Lies Bleeding“ ist ein starker Romantik-Thriller mit einer mal wieder grandiosen Kristen Stewart. Doch eine Warnung sei ausgesprochen: So sehr der Film die Liebe feiert und zeigt, dass man dafür alles machen würde, ist es trotzdem nicht der richtige Film für das erste Date: Denn nicht nur mit einigen Sex- und Gewaltszenen könntet ihr euren Begleiter oder eure Begleiterin verstören.
Wir haben „Love Lies Bleeding“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er in der Sektion Berlinale Special gezeigt wurde.