So gescheitert wie die deutsche WM-Mannschaft in Katar
Von Jochen WernerWie allgegenwärtig Franz Beckenbauer im deutschen Fußball über Jahrzehnte hinweg war, lässt sich vielleicht heute nur noch erahnen. Seit Jahren bereits hat sich Beckenbauer weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, aus gesundheitlichen Gründen sicherlich, aber wohl auch ein wenig, weil das lange makellose Image als „Kaiser Franz“ und „Lichtgestalt“ des deutschen Fußballs nach den Korruptionsermittlungen rund um die gekaufte WM 2006, für die Beckenbauer als Chef des Organisationskomitees federführend verantwortlich war, irreparabel angekratzt war. Heute ein Biopic über Beckenbauer zu inszenieren, das dann auch noch am Finalwochenende der – diplomatisch ausgedrückt – umstrittenen Winter-WM in Katar erstausgestrahlt wird, scheint somit durchaus als ein Drahtseilakt. Man durfte also gespannt sein, welche Schwerpunkte das Sky-Original „Der Kaiser“ von Regisseur Tim Trageser setzt, welche Anekdoten und Geschichten aus der langen Weltkarriere Beckenbauers er aufgreift – und welche eben nicht.
Nun ist insbesondere Beckenbauers Geschichte, die er in den Autobiografien „Einer wie ich“ und „Ich – Wie es wirklich war“ selbst erzählt hat, im Anekdotenschatz der deutschen Bundesliga bestens überliefert. Dasselbe gilt für die erste Bundesliga-Generationen des FC Bayern München rund um Gerd Müller, Sepp Maier, den legendären Trainer „Tschik“ Čajkovski sowie etwas später die jüngeren Revoluzzer Paul Breitner und Ulli Hoeneß. Die Watsch'n am Rande eines Jugendfußballspiels, die verhinderte, dass der junge Beckenbauer zum damals viel erfolgreicheren TSV 1860 München wechselte. Die Streiche des Torhüters Maier, die inzwischen sprichwörtlichen Spitznamen des Kaisers, des Bombers, der Katze von Anzing. Das eigenwillige Deutsch des kurz gewachsenen jugoslawischen Trainers, der die Körperformen seiner Spieler gern mal mit Fässern oder Bleistiften verglich. All das ist da in Tragesers Film, geradezu pflichtschuldig hakt er eine Anekdote nach der anderen ab, lässt ein Zitat nach dem anderen brav vor der Kamera aufsagen, so als wolle er sich keinesfalls vorwerfen lassen, irgendwas, was im Taschenbüchlein mit den besten Fußballsprüchen aus 60 Jahren Bundesliga steht, ausgelassen zu haben.
Franz Beckenbauer (Klaus Steinbacher) ist einer von nur zwei Männern, die den WM-Titel als Spieler (1974) …
Das könnte ja auch durchaus Spaß machen, gerade weil die Wildwestjahre der Bundesliga sicher nicht arm waren an bunten Vögeln. Und es könnte auch aufschlussreich in Bezug auf die Gegenwart und das zunehmende Unbehagen an der weitreichenden Durchkommerzialisierung des Fußballs sein, ist doch die Professionalisierung des deutschen Fußballs mit niemanden derart deutlich verknüpft wie mit Beckenbauer und seinem Manager Robert Schwan. Werbeverträge, Millionenprämien – all das gab es im einstigen Arbeitersport mit proletarischem Image nicht, bevor Beckenbauer zum Libero und Schwan zu seinem Chefverkäufer wurde. „Der Kaiser“ erzählt das alles, irgendwie, aber er interessiert sich nicht wirklich dafür, hakt eher völlig uninspiriert einen Karriereschritt nach dem anderen ab – und scheitert nicht zuletzt auch am grundlegendsten filmischen Handwerk.
Denn die Form, die Tim Trageser für sein Biopic wählt, ist so eine Art halbherziges Dokudrama. Einerseits ist „Der Kaiser“ ein Kostümfilm in 60er-Jahre-Kulissen, mit absurden Perücken und angeklebten Glatzen, andererseits wendet sich Beckenbauer als mehr oder weniger zuverlässiger Erzähler seiner eigenen Biografie immer wieder direkt an die Zuschauer*innen und durchbricht so die sprichwörtliche vierte Wand. Das erinnert ein wenig an jüngere Filme von Rosa von Praunheim, wirkt aber hier nur notdürftig zurechtimprovisiert und irgendeiner Not geschuldet, den ganzen Film überhaupt irgendwie zusammenzuhalten. Auch der hölzerne Cast kann bei diesem verquasten Konzept nichts rausreißen, eher tun alle schauspielernden Beteiligten einem leid, wirken sie hier doch wie eine überforderte Laienspieltruppe in einem von Grund auf zum Scheitern verdammten Projekt.
… und als Trainer (1990) entgegennehmen durften.
Es ist im Prinzip eine gute Frage: Warum eigentlich spielt der Fußball in der deutschen Gesellschaft seit vielen Jahrzehnten eine so gewaltige Rolle, im deutschen Film aber so gut wie keine? Ausnahmen wie Sönke Wortmanns Nullerjahre-Blockbuster „Das Wunder von Bern“ und „Deutschland. Ein Sommermärchen“, beide um das Nationbuilding-Projekt der WM 2006 herum ins Kino gebracht, bestätigen letztlich nur die auch im Anschluss an die zwischen 2006 und 2014 durch alle gesellschaftlichen Schichten strömende Nationalmannschaftsbegeisterung weiterhin gültige Regel. Ist die Fußballbegeisterung, allem zum Trotz, wieder oder ungebrochen eine Klassenfrage im Deutschland des 21. Jahrhunderts? Schreibt sich in der Abwesenheit des Fußballs im deutschen Film auch die bürgerliche Herkunft vieler deutscher Filmschaffender ein, die eine Verengung auf bestimmte Milieus, bestimmte Welterfahrungen bedingt und andere, so präsent sie auch im Rest der Gesellschaft sein mögen, von vornherein exkludiert?
„Der Kaiser“ lädt zu einer ganzen Reihe interessanter Überlegungen über den deutschen Fußball, die deutsche Gesellschaft, den deutschen Film ein. Leider stellt er selbst sich keine einzige dieser Fragen, oder jedenfalls nicht über ein oberflächliches Anreißen hinaus. Ein klein wenig kritische Betrachtung der Person Franz Beckenbauer findet zwar durchaus Platz darin, geht aber über einen Hang zu allerlei Seitensprüngen und Affären nicht hinaus und sucht somit durchweg den Rückzug ins Private. Tragesers Film endet somit auch folgerichtig mit jenem Moment, mit dem er bereits begonnen hatte: mit dem WM-Sieg 1990 als Teamchef, „geht’s raus, spuilt's Fußball“, der einsame Gang über den Rasen des römischen Olympiastadions. Der zweite große WM-Triumph des Kaisers. Alles, was danach kam, die vielen Jahre als Präsident und Gelegenheitstrainer des FC Bayern München und die mindestens ambivalente Rolle im Wählerstimmenkauf vor dem Sommermärchen, all das findet keinen Platz in diesem Film, der eher (schlechte) Hagiographie als kritische Würdigung einer prägenden Figur des deutschen Fußballs sein will.
Fazit: Laientheater mit schlecht aufgeklebten Perücken: Tim Tragesers Beckenbauer-Biopic hakt lust- und freudlos bekannte Anekdoten ab und verfehlt zielsicher alles, was interessant oder relevant an der Person, dem Fußballspieler, Trainer und Funktionär Franz Beckenbauer sein könnte. Mehr Fußball im deutschen Film wäre sicher wünschenswert, aber bitte nicht so.