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    Sachertorte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Sachertorte

    Vielschichtiger, als es auf den ersten Blick erscheint

    Von Sidney Schering

    Ein verträumter Single trifft aus schierem Zufall eine Frau, die seinen Humor teilt und genauso spontan ist wie er. Ist das die Liebe auf den ersten Blick wie aus dem Märchen oder einer Hollywood-Romanze? Nein, denn der für Amazon Prime Video produzierte „Sachertorte“ beginnt, wie viele Romantikfilme enden – nämlich mit einem Spurt, wenn hier auch zum Bushof statt zum Flughafen. Und noch etwas ist anders: Es kommt nicht zur ersehnten Liebeserklärung in letzter Sekunde – sondern zu einem Fauxpas, der die Zukunft des möglichen Traumpaares aufs Spiel setzt. Doch was passiert nach so einem knapp verpassten Happy End? Dieser Frage geht Tine Rogoll, Detlev Bucks Regieassistentin bei den ersten vier „Bibi & Tina“-Abenteuern, in ihrem doppelbödig-romantischen Spielfilm-Regiedebüt nach.

    Als Quizshow-Redakteur Karl (Max Hubacher) zufällig Nini (Michaela Saba) kennenlernt, verliebt er sich Hals über Kopf in die Wiener Touristin. Sie verbringen eine geradezu magische Zeit in Berlin, doch durch ein Missgeschick verliert Karl Ninis Telefonnummer. Und so fasst er einen ungewöhnlichen Plan, um ein Wiedersehen zu ermöglichen: Nini hat ihm nämlich verraten, dass sie stets an ihrem Geburtstag um Punkt 15 Uhr ins berühmte Café Sacher für eine Sachertorte einkehrt. Also verlagert Karl seinen Lebensschwerpunkt nach Wien und hofft dort jeden Nachmittag aufs Neue, endlich seine Traumfrau wiederzusehen...

    Das berühmte Café Sacher in Wien ist einer der zentralen Handlungsorte von „Sachertorte“.

    Zwei junge Menschen begegnen sich, touren verknallt durch eine Großstadt und versprechen einander, in Kontakt zu bleiben: Wer jetzt an Richard Linklaters in Wien spielenden Liebesfilm „Before Sunrise“ denkt, hat den richtigen Riecher. Parallelen zum Klassiker mit Ethan Hawke und Julie Delpy sind nicht nur kein Zufall, sie werden sogar im Film selbst aufgegriffen: Karls Passion für „Before Sunrise“ ist eines der ersten Gesprächsthemen zwischen ihm und Nini. Dass daraufhin eine Art Berliner „Before Sunrise“-Schnelldurchlauf folgt, gereicht „Sachertorte“ allerdings erst mal zum Nachteil.

    Die vermeintlich magische Zeit zwischen TV-Redakteur und Wiener Touristin kommt zwar mit einzelnen gewitzten Wortwechseln daher, doch so richtig will der Funke nicht überspringen. Die gemeinsamen Eskapaden wirken zu forciert, um sich mit der unwahrscheinlichen, aber trotzdem plausiblen Romantik des Linklater-Klassikers messen zu lassen. Zugleich ist der Auftakt von „Sachertorte“ zu profan, um als überbordender Liebeskitsch aufzugehen, und zu geradlinig, um sich als Genre-Dekonstruktion zu qualifizieren. Aber am Ende sind die Berlin-Szenen zum Auftakt ja eh nur dazu da, die eigentlich Prämisse des Films vorzubereiten.

    Ist das wirklich Liebe?

    Die zentrale Geschichte startet nämlich erst, sobald Karl nach Wien aufbricht, um seinen filmreifen Plan zu verfolgen – und dabei Miriam (Maeve Metelka) kennenlernt. Nach gleich drei ärgerlichen Zufallsbegegnungen, kann Karl von Glück reden, dass die Bäckerin ein so gütiges Naturell hat: Karl, der in einer WG mit mieser Internetverbindung untergekommen ist, darf zwecks WLAN-Nutzung jederzeit in ihre kleine Bäckerei. Außerdem bietet sie sich ihm als Stadtführerin an – sowie als Managerin einer Social-Media-Kampagne, die Karls Aussichten auf ein Wiedersehen mit Nini erhöhen soll. Während der Gespräche des Duos offenbart sich, dass der etwas konfuse Beginn von „Sachertorte“ durchaus seinen Sinn hatte:

    Obwohl Miriam von Karls Vorhaben gerührt ist, ist sie zugleich von seinem Liebesverständnis irritiert. Sie hinterfragt, ob die paar Stunden mit Nini wirklich so lebensverändernd waren (und steht damit stellvertretend für das Publikum, das sich diese Frage ja auch schon gestellt hat). Zudem legt sie Karls erschreckend oberflächliche Perspektive auf „Before Sunrise“ offen: Wer den Klassiker kennt, der wird wissen, dass es die ausführlichen, lebensnahen Unterhaltungen zwischen den Figuren sind, die aus einem kurzen Blickwechsel große Gefühle entwachsen lassen. Karl versteht ihn dagegen als optimistisches Denkmal an die Liebe auf den ersten Blick, wofür die praktisch veranlagte Miriam nun gar kein Verständnis hat.

    Traumtänzer Karl (Max Hubacher) wird von Miriam auf den – manchmal ganz schön kühlen – Boden der Tatsachen zurückgeholt.

    Im Café Sacher stößt Karl ebenfalls auf Widerstand: Der gestrenge Ober Schwartz (Karl Fischer) serviert dem neuen Stammgast geringschätzige Blicke ob seiner weltfremden Art und seiner Unkenntnis der Wiener Kaffeehauskultur. Die gut betuchte Fanny Sawallisch (Krista Stadler) hingegen erweist sich als strenge, aber wohlmeinende Mentorin: In der einen Minute ermahnt sie Karl in rasiermesserscharfer Tonlage, sich das grässliche Wort „lecker“ abzugewöhnen. In der nächsten beschützt sie ihn vor Schwartz' Tadel. Stadler und Fischer legen ihre charmanten Rollen als unaufdringlich-kauzige Randfiguren an, die sich zwar primär dadurch definieren, wie sie Karl verändern, aber in Nuancen machen auch sie eine Entwicklung durch. Dasselbe gilt für Ruth Brauer als bestens gelaunte Café-Sacher-Bedienung, die Schwartz' Schmäh mit warmherziger Gastlichkeit ausgleicht.

    Zwar führt Karl mit Miriam Gespräche genau wie aus „Before Sunrise“ und doch schätzt er sie weniger wert als sein selbstzweckhaftes Idealbild einer naiv-perfekten Liebe auf den ersten Blick. Das führt zu einer ebenso unterhaltsamen wie herzlichen Reibung zwischen Miriam und Karl, die Rogoll leichtgängig einfängt. Die Übergänge zwischen alltagsnahen Gesprächen und Konflikten sowie dramaturgisch idealisierten Liebesfilm-Szenen gelingen Rogoll quasi makellos. Das macht den weniger gelungenen Auftakt allerdings fast noch frustrierender. Hier hätte uns das Autor*innen-Trio Robin GetrostWenka von Mikulicz und Stephanie Leitl ruhig noch konsequenter auf die falsche Fährte führen und in Karls verkitschte Weltsicht hineinziehen dürfen, bevor wir uns dann gemeinsam mit dem Film langsam von dieser lösen und eine sehr viel ambivalentere, lebensnähere und ja, auch schmackhaftere zweite Liebesgeschichte für uns entdecken…

    Fazit: Der erste Blick kann eben doch trügen: Eingangs mutet „Sachertorte“ noch wie ein schwächelnder „Before Sunrise“ im Eiltempo an. Aber sobald der Traumtänzer Karl von einer einfühlsamen Realistin auf den Wiener Boden der Tatsachen zurückgeholt wird, ergibt sich eine köstliche Melange aus romantischem Filmzauber und der Magie des Alltags.

     

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