Ein orgiastischer Volltreffer – auf und neben dem Platz!
Von Christoph PetersenLuca Guadagnino ist offenbar ein Tropfenflüsterer. Anders ist es jedenfalls kaum zu erklären, mit welcher Perfektion der Schweiß an den Körpern von Mike Faist und Josh O'Connor herabperlt. Das kennt man sonst nur von Salatblättern in Burgerwerbespots. Zendaya beobachtet die beiden beim Schwitzen. Aber im Gegensatz zu ihrer Umgebung bewegt sie ihren Kopf nicht in der typischen Manier eines Tennispublikums stumpf hin und her. Sie schaut nicht auf den Ball, sie schaut auf die Spieler. Noch vor der Einblendung des Studiologos, das normalerweise das Allererste ist, was man nach dem Öffnen des Kinovorhangs zu sehen bekommt, zoomt die Kamera an die drei Augenpaare heran. So wie einst Sergio Leone im ikonischen Finale seines Spaghettiwestern-Meisterwerks „Zwei glorreiche Halunken“.
Nur bekommen wir es in „Challengers - Rivalen“ nicht mit einem Mexican Standoff zwischen Revolverhelden, sondern mit einem Liebesdreieck zwischen Tennisprofis zu tun. Weniger intensiv als ein Showdown im Wilden Westen ist das allerdings auch nicht, ganz im Gegenteil. Selbst wenn alle drei Figuren alles andere als klassische Sympathieträger*innen sind, erreicht die (sexuelle) Spannung schon in den ersten Szenen einen ersten frühen Höhepunkt – und bis zum Rollen des Abspanns zwei Stunden später legt „Call Me By Your Name“-Mastermind Guadagnino nur noch beständig Kohlen nach. Zendaya und Mike Faist sind heiß zusammen, Zendaya und Josh O’Connor sind heiß zusammen, Mike Faist und Josh O’Connor sind heiß zusammen. Aber wenn das durch die Bank grandios performende Trio gemeinsam auf der Leinwand auftaucht, muss man schon froh sein, wenn der Kinosaal nicht spontan Feuer fängt.
Art Donaldson (Mike Faist) und Patrick Zweig (Josh O'Connor), zwei Tennisprofis Anfang 30, treten zwar im Finale eines eher unbedeutenden Challenger-Turniers gegeneinander an, aber ihre Hintergründe könnten kaum unterschiedlicher sein: Art ist einer der Topfavoriten für die anstehenden US Open, der von seiner Frau und Trainerin Tashi (Zendaya) nur angemeldet wurde, um nach einer Verletzungspause gegen schwächere Gegner Selbstvertrauen zu tanken. Patrick hingegen hat nicht mal das nötige Geld, um sich ein Hotelzimmer in einer schäbigen Absteige oder ein anständiges Frühstück leisten zu können. Wahllose Tinder-Dates sind deshalb seine einzige Chance, nicht die ganze Turnierwoche über auf der Rückbank seines Autos schlafen zu müssen. Während das hitzige Match voranschreitet, erfahren wir in Rückblenden, dass sich die Männer vor 13 Jahren schon einmal in einem Finale gegenüberstanden.
Im letzten Spiel der US Junior Open 2006 ist es den beiden Teenagern eigentlich ziemlich egal, wer den Sieg davonträgt. Schließlich sind sie seit ihrer gemeinsamen Zeit im Tennisinternat beste Freunde – und gönnen dem jeweils anderen ehrlich den Erfolg. Am Abend vor dem großen Spiel lernen sie auf einer Adidas-Party die angehende Tennis-Sensation Tashi Duncan kennen. Wer auch nur einen Ballwechsel von ihr sieht, der weiß, dass sie schon bald den Schritt zum Superstar machen wird. Die Werbekunden stehen jedenfalls jetzt schon Schlange. Später im Hotelzimmer kommt es zum heißen Dreierknutschen, das das Gefühlsleben aller Beteiligten gehörig durcheinanderwirbelt. Die megaehrgeizige Tashi will ihre Telefonnummer allerdings nur demjenigen geben, der morgen beim Match zwischen Art und Patrick als Sieger vom Platz geht...
Für Tashi ist ein Tennismatch wie eine (Dreiecks-)Beziehung zwischen den Kontrahent*innen und dem Publikum. Aber wenn man diese Metapher mal zu Ende denkt, dann ist jeder einzelne Ballwechsel wie Sex – und zumindest für Luca Guadagnino scheint das auch tatsächlich zu stimmen. Vor den Dreharbeiten hatte der „Bones And All“-Regisseur gar kein sonderliches Interesse an der Sportart. Aber vielleicht haben er und sein Stammkameramann Sayombhu Mukdeeprom („Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“) sich ja gerade deshalb so viel einfallen lassen, um auf dem Court ein regelrechtes Feuerwerk an inszenatorischen Ideen abzufackeln: Ihre Schatten werden fast so oft von der Kamera eingefangen wie die Spieler*innen selbst – und wenn der Ball auf die Kamera zu und durch sie hindurch fliegt, fragt man sich schon, wie so ein Effekt ohne 3D-Brille überhaupt möglich ist.
Indem die Spieler auf einer Glasscheibe mit Markierungslinien antreten, kann der ganze Ballwechsel von unten gefilmt werden – aus einer Perspektive, die man sonst nur von Unterwasseraufnahmen kennt. Wiederholt nimmt die Kamera zudem eine subjektive Perspektive wie in einem Ego-Shooter ein. Allerdings beobachten wir das Geschehen dabei nicht nur aus der Sicht der beiden Gegner, sondern schließlich sogar aus der Perspektive des Balls, der ja nicht einfach gerade über das Netz fliegt. Stattdessen dreht er sich dabei so sehr um die eigene Achse, dass einem schon ganz schwindelig werden kann. Aber keine Sorge, es ist nur ein kurzer Moment, bevor das Duo auch schon wieder mit dem nächsten visuellen Kniff um die Ecke kommt.
In so ziemlich jeder Teenie-Komödie aus den Achtzigerjahren gab es eine Szene in der Umkleidekabine der Mädchen, wo im Hintergrund mehr oder weniger grundlos Statistinnen mit entblößten Brüsten herumstanden. In „Challengers“ gibt es auch eine Umkleideszene, allerdings in der Kabine der Männer, mit einer ganzen Reihe freischwingender Penisse. Und beim Gruppenknutschen bleibt die Kamera am Ende an den küssenden Mike Faist und Josh O'Connor hängen, während sich Zendaya cool zurücklehnt und ihr Werk begutachtet. „Challengers“ transzendiert (fast) jede sexuelle Orientierung und liefert auch abseits der ohnehin nur rar gesäten und nie expliziten Sexszenen pure Hotness. Und auch für Fans der legendären Pfirsich-Szene aus „Call Me By Your Name“ gibt es eine Quasi-Fortsetzung, wenn Art und Patrick von einer gemeinsamen Onanie-Erfahrung im Internat berichten, was Tashi gleichermaßen amüsiert wie anmacht.
Apropos Amüsement: Gerade in Anbetracht des Umstandes, dass die drei Protagonist*innen bei genauerer Betrachtung allesamt ziemliche Unsympathen sind, würzt Luca Guadagnino seinen Film mit einem erstaunlichen Maß an Humor. In einem der zentralen Schlüsselmomente im 13 Jahre umfassenden Hin und Her der Dreiecksbeziehung lässt der Regisseur einen solch gewaltigen Sturm heraufziehen, dass die Figuren von einem regelrechten Tornado aus aufgewühltem Papiermüll umgeben sind. Das ist klassisches Melodrama so sehr bis zum Anschlag aufgedreht, dass wohl selbst Genre-Maestro Douglas Sirk vor Neid erblasst wäre. Selbst wenn sich die Figuren mitunter gegenseitig verdammt heftig fertigmachen, spürt man in solchen Szenen, wie uns der Regisseur im selben Moment zuzwinkert. Dasselbe gilt übrigens für das wahrhaft orgiastische finale Volley-Duell, das mit einer der wohl schönsten Schlusseinstellungen der Kinogeschichte noch mal den letzten von ohnehin reichlichen Höhepunkten liefert.
Fazit: Dieses Tennismatch bietet 131 Minuten Gänsehaut pur!