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    Jung_E: Gedächtnis des Krieges
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Jung_E: Gedächtnis des Krieges

    Angriff der Klonkriegerinnen

    Von Sidney Schering

    Der südkoreanische Regisseur und Autor Sang-Ho Yeon scheint seine Projekte stets nach einer bestimmten Maxime auszurichten: Bloß nicht den offensichtlichen Weg gehen! So erhielt sein immens erfolgreicher und auch international viel beachteter Zombiefilm „Train To Busan“ zwar ein Prequel sowie eine Fortsetzung. Allerdings in Form eines Animationsfilms („Seoul Station“) und eines dystopischen Action-Thrillers, in dem die Zombies fast nur noch zur Zierde dienen („Peninsula“). Das war wohl kaum das, was sich die meisten Fans des Originals als „Train To Busan“-Nachschlag erträumt hätten.

    Auch abseits seiner Untoten-Trilogie hat Sang-Ho seine Vita stets frischgehalten: Das Herzstück seines international bei Netflix veröffentlichten Superheldenfilms „Telekinese“ sind nicht etwa die Actionpassagen, sondern eine zärtliche Vater-Sohn-Dynamik. Nun präsentiert sich der ebenfalls direkt bei Netflix erscheinende Science-Fiction-Film „JUNG_E: Gedächtnis des Krieges“ über eine mittels Klontechnologie erschaffene Roboter-Söldnerin quasi als das weibliche Gegenstück zu „Telekinese“. Aber selbst wenn es Fans von Sang-Hos blutigeren Arbeiten enttäuschen dürfte: Die futuristische Mutter-Tochter-Erzählung könnte glatt einen noch geringeren Actionanteil vertragen...

    Mit ihrer Roboter-Forschung bringt sich Seo-hyun Yun (Soo-youn Kang) auch selbst in große Gefahr.

    Im späten 22. Jahrhundert ist die Erde aufgrund der Folgen des Klimawandels für Menschen praktisch unbewohnbar. Das Umsiedeln der Menschheit in neue Weltall-Unterkünfte erweist sich ohnehin schon als mühseliges Unterfangen und dann bricht auch noch ein Bürgerkrieg aus. Die Soldatin Jung-yi Yun (Hyun-joo Kim) erkämpft für ihre Seite zahlreiche Siege, bis sie bei einer missglückten Mission verletzt wird und ins Koma fällt. Jahre später versucht ihre bei der KI-Entwicklungsfirma Kronoid arbeitende Tochter Seo-hyun Yun (Soo-youn Kang), den ultimativen Kampfroboter zu erschaffen. Im Rahmen des Projekts will sie das Gehirn ihrer Mutter klonen und in die Maschine namens JUNG_E einsetzen – ein Vorhaben mit schwerwiegenden Konsequenzen...

    Über „JUNG_E“ liegt ein tragischer Schatten: Der Science-Fiction-Film markiert zugleich das Comeback und den Abschied von Soo-youn Kang. Die durch moderne Klassiker wie „Die Leihmutter“ international bekannt gewordene Darstellerin legte 2013 eine Karrierepause ein, die sie erst für die Dreharbeiten zu „JUNG_E“ beendete. Bereits wenige Monate später erlitt sie allerdings einen Herzstillstand und fiel zuerst in ein Koma, bevor sie im Krankenhaus an einer Hirnblutung verstarb. Dass der über das Austricksen des Todes sinnierende „JUNG_E“ nun posthum ihr gewidmet ist, verleiht einzelnen Szenen eine zusätzliche bitter-sentimentale Note.

    Referenzen an die ganz großen Klassiker

    Ähnlich wie Sang-Ho Yeon auch schon in „Train To Busan“ eine Vielzahl von Zombiefilm-Konventionen zu einer erstaunlich frisch wirkenden Vision kombinierte, mutet nun auch „JUNG_E“ wie ein Sammelsurium aus Sci-Fi-Versatzstücken an: Die hier erschaffene Zukunft ist von Menschen und künstlichen Intelligenzen bevölkert, weshalb regelmäßige Befragungstests genutzt werden, um Mensch von Maschine zu differenzieren. Neben dieser „Blade Runner“-Referenz finden sich auch noch einige Parallelen zu „Ghost In The Shell“, während Kronoid versucht, aus der im Einsatz gefallenen Jung-yi Yun eine Art „RoboCop“ zu machen.

    Sang-Ho wirft aber keinesfalls wahllos mit solchen bekannten Sci-Fi-Elementen um sich, sondern nutzt sie, um eine kohärente, eigene Filmwelt zu erschaffen. Geplagt wird diese vor allem auch von ethischen Fragen über künstliche Intelligenzen: Die Möglichkeit, den eigenen Verstand kopieren und nach dem Versagen des eigenen Körpers weiterleben zu lassen, ist gegeben – die Persönlichkeitsrechte dieser Kopie sind jedoch an den eigenen Wohlstand gekoppelt. Schlimmstenfalls muss man weitere, modifizierte Kopien dieser künstlichen Intelligenz erdulden – ebenso wie die Einschränkung, wie frei sich die eigene Kopie anschließend in der Welt verwirklichen darf.

    Die legendäre Soldatin Jung-yi Yun (Hyun-joo Kim) soll nun als Robo-Söldnerin für die Entscheidung des Bürgerkriegs sorgen.

    Diese thematischen Aspekte bereichern die Welt ungemein, selbst wenn sie den Plot nur am Rande streifen. Der Hauptkonflikt dreht sich derweil ganz um Seo-hyun, die mit dem Dilemma hadert, ihrer Mutter durch das Erzeugen einer Klon-Söldnerin quasi zu ewigem Leben verhelfen zu können. Aber wäre das tatsächlich eine Ehrerbietung? Oder nicht doch eher eine Schändung ihres Andenkens? Und wie sehr sind solche geklonten Kämpferinnen als eigenes Individuum zu betrachten, falls überhaupt? Ist die Tochter, die nicht loslassen kann, nicht vielleicht einfach selbstsüchtig, wenn sie ihre Mutter auf diese Weise zurück ins „Leben“ zerrt?

    In den besten Filmszenen entwachsen aus diesen Fragen dank Soo-youn Kangs ruhiger, sensibler Performance und Hyun-joo Kims Leistung als ausgelaugter Killerroboter-Prototyp starke, widerstreitende Gefühle. Dennoch bleibt diese mit futuristisch-spekulativem Überbau verhandelte Mutter-Tochter-Dynamik hinter ihren emotionalen Möglichkeiten zurück. So ist das erste Filmdrittel zäh erzählt und die Figuren bleiben bis zum Schluss schablonenhaft. Außerdem kann der generische Look des Films – nicht zuletzt aufgrund einer bloß passablen, aber keinesfalls herausragenden Effektarbeit – nicht mit Sang-Hos vorangegangenen Projekten mithalten.

    Zudem leiden die generisch abgespulten Action-Einsprengsel gen Schluss an einer eher steifen Regieführung, womit sie die zuvor so intime Erzählung eher stören als bereichern. Klar: Wenn man schon einen Film über eine Roboter-Klonkriegerin produziert, dann liegt es sehr nahe, sie auch in Aktion zu zeigen. Doch wenn der thematische und emotionale Antrieb des Films ganz woanders liegt, kann ein vermeintlich obligatorisches Actionfinale schnell verzichtbar oder gar störend wirken.

    Fazit: Die Hauptdarstellerinnen Hyun-joo Kim und Soo-youn Kang liefern starke Performances und die Vielzahl an ethischen Fragen über künstliche Intelligenzen verleiht „JUNG_E“ thematisches Gewicht. Doch die unmotivierten Action-Elemente und generischen Figuren halten den neuen Film von „Train To Busan“-Macher Sang-Ho Yeon zurück.

     

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