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    Return To Dust
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Return To Dust

    Der harte Kampf um ein kleines bisschen Glück

    Von Michael Meyns

    Der chinesische Regisseur Li Ruijun siedelt seine Filme bewusst fern von der Hauptstadt Peking an. Sie erzählen vom Verhältnis des Menschen zu seiner Heimaterde und vom wirtschaftlichen Wandel des Landes, der vor niemandem Halt macht. In Lis Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Return To Dust“ stehen nun zwei gesellschaftliche Außenseiter*innen im Mittelpunkt, die eine arrangierte Ehe eingehen und ein Leben ohne viel Glück führen, aber doch immer wiedre Momente des Glücks erleben. Schmerzhaft ehrlich ist „Return To Dust“ und zeigt in einfachen, klar komponierten Bildern den Wandel der chinesischen Gesellschaft, ohne dabei in übertriebenes Pathos oder falsche Sentimentalität abzudriften.

    Keine Liebesheirat, sondern eine arrangierte Ehe gehen sie ein: Der vierte Bruder Ma (Renlin Wu) und Guiyang (Hai-Qing), die von ihren Brüdern so lange gequält und geprügelt wurde, dass sie ihren rechten Arm kaum noch bewegen kann und zudem inkontinent ist. Im Nordwesten Chinas lebt das Paar in ärmlichen Verhältnissen, bewohnt ein baufälliges Haus und besitzt anfangs kaum mehr als einen Esel. So wenig glücklich die Ausgangssituation jedoch ist, gemeinsam gelingt es Ma und Guiyang tatsächlich, das Beste aus ihrer Situation zu machen und ein halbwegs gutes Leben zu führen. Doch die Umstände der sich langsam modernisierenden chinesischen Gesellschaft sind gegen sie – der Fortschritt ist unaufhaltsam…

    Der Esel ist der gar nicht mal so heimliche Star von "Return To Dust".

    Das erste Wesen, das in Li Ruijuns Drama ins Bild kommt, ist ein Esel. Mit stoischem Blick schaut das Tier durch ein kleines Fenster im Stall in die Kamera – erst dann folgen Menschen, die den Esel meist schlecht behandeln. Nur wenige sind freunlich zu dem Tier. Einer von ihnen ist Ma, der ihm etwas zu Essen gibt. Diese kleine Geste, so wird es Guiyang viel später, in einem der wenigen glücklichen Momente ihres Lebens erzählen, hat sie davon überzeugt, dass Ma ein guter Mensch sei. Gemeinsam, eher notgedrungen als gewollt, lebt das Paar in der nordwestchinesischen Provinz in der Region Gaotai, unweit der Wüste Gobi, in der Autor und Regisseur Li Ruijun fast alle seine Filme spielen lässt.

    Es ist ein China, das so ganz anders aussieht als die modernen, glitzernden Fassaden von Peking oder Shanghai, wo die aufstrebende Weltmacht ihren neuen Wohlstand herausstellt. In Gaotai, viele hundert Kilometer von den wirtschaftlichen Zentren entfernt, läuft das Leben noch ganz anders ab, wirken die Methoden, mit denen Ma seinen Boden bestellt, wie aus dem letzten, wenn nicht dem vorletzten Jahrhundert. Aber Ma und Guiyang machen das Beste aus ihrem Leben, das Li in großer Ruhe, ohne angestrengten Pathos oder falsches Mitleid schildert. Voller Einschränkungen ist dieses Leben zwar, aber es hat seinen Wert und ist nicht ohne Glück – etwa wenn der Weizen wächst, Ma es mit eigenen Händen Arbeit schafft, ein Haus zu bauen, die Hühner zum ersten Mal Eier geben.

    Ma (Renlin Wu) und Guiyang (Hai-Qing) haben nicht viel - aber sie können sich auch an den kleinen Dingen erfreuen.

    Doch auch hier hält der Fortschritt unerbittlich Einzug. Man lebt zwar fern der Hauptstadt, doch die Versuche der Regierung, möglichst viele Menschen aus der Armut zu führen und ihnen ein modernes Leben zu schenken bzw. das, was sie darunter versteht, machen auch vor Ma und Guiyang nicht halt. Das Ma dem reichsten Bürger der Ortschaft Blut spendet, lässt ihn zum ersten Anwärter auf ein modernes Appartement in einem Betonklotz werden. Mit großem Wohnzimmer und Balkon zwar, doch wo soll er dort seinen Esel halten? Wie der dritter Hauptdarsteller wirkt dieser Esel, der artgerecht stoisch seine Arbeit verrichtet, schwer beladene Wagen zieht und am Ende kaum willens ist, in die Freiheit zu gehen.

    Bei der Figur des Esels mag man an das legendäre Meisterwerk „Zum Beispiel Balthasar“ denken, in dem Robert Bresson die Schlechtigkeit der Menschen aus Sicht eines Esels aufzeigt. So wie dort die Menschen in der französischen Provinz sind auch hier Ma, Guiyang und ihr Esel von einer Welt umgeben, die wenig Mitleid zeigt. Auch Ma kann sich nicht immer zügeln, manchmal greift er Guiyang verbal an und dann scheint eine innere Wut über sein schweres Schicksal aus ihm herauszubrechen. Und doch ist er das Beste, was Guiyang passieren konnte und auch sie lässt ihn zumindest für eine kurze Zeit Momente des Glücks spüren. Doch solche Momente sind in der sich unaufhaltsam entwickelnden chinesischen Gesellschaft selten von langer Dauer.

    Fazit: Harscher Sozialrealismus, der aber nicht wie manche schwächere Genre-Vertreter einfach nur auf seine Protagonist*innen einprügelt, sondern ihnen auch Momente des Glücks zugesteht. In ebenso einfachen wie wunderschönen Bildern erzählt „Return To Dust“ vom Wandel der chinesischen Gesellschaft, die dem Individuum kaum Raum lässt, besonders wenn es sich um Außenseiter handelt. Ein schmerzhaft schöner Film ganz ohne das übliche Pathos oder übertriebene Sentimentalität.

    Wir haben „Return To Dust“ auf der Berlinale 2022 gesehen, wo er als Teil des Offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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