Ein ganz wunderbar inspirierender Tag
Von Christoph PetersenIn den Filmen meines Lieblingsregisseurs Hong Sang-Soo wird nicht mehr so viel gesoffen wie früher (eine kurze Einführung in die Eigenheiten seines promillehaltigen Schaffens gibt es in meiner Kritik zum Meisterwerk „On The Beach At Night Alone“). Diese neuentdeckte Abstinenz hat auch damit zu tun, dass der Alkohol am Set immer echt war – und der südkoreanische Cinephilen-Favorit sich hinter der Kamera stets gemeinsam mit seinen Schauspieler*innen betrunken hat. Inzwischen muss der Regisseur aber aus gesundheitlichen Gründen kürzertreten – und so gibt es jetzt auch auf der Leinwand immer öfter Kaffee statt Soju.
In seinem neuen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall “ taucht nun ein Regisseur auf, der davon berichtet, dass seine Filme inzwischen anders und seine Ideen klarer seien. Das wäre sowohl den Kritiker*innen als auch seiner Frau schon aufgefallen. Aber natürlich handelt diese Stelle – wie so viele im Film – auch von Hong selbst: „Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall“ ist dramaturgisch tatsächlich weniger kompliziert als frühere Werke des 61-Jährigen, in denen Hong noch viel mehr mit Wiederholungen, Spiegelungen und Verschiebungen gearbeitet hat. Aber daran werden sich allenfalls Filmstudent*innen stören, die ihre Masterarbeit über Hongs immer wiederkehrenden Stilmittel schreiben.
Keine Sorge, am Schluss wird dann doch auch in „Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall“ ordentlich einer gebechert.
Junhee (Lee Hyeyoung) ist zwar eine berühmte Romanautorin, hat aber schon seit einigen Jahren nichts mehr publiziert. An diesem Tag besucht sie einen Bücherladen in einem Vorort von Seoul, der ihrer ehemaligen Kollegin Sewon (Seo Younghwa) gehört. Auf dem Heimweg besucht Junhee noch einen Turm, der als nicht zu verpassende Sehenswürdigkeit gilt – und in dem sie zufällig auf den Regisseur Hyojin (Kwon Haehyo) trifft, der mal eines ihrer Bücher verfilmen wollte, es dann aber doch nicht getan hat.
Die wichtigste Zufallsbegegnung an diesem Tag findet jedoch wenig später draußen im Park statt: Dort gerät Junhee mit der Schauspielerin Kilsoo (Kim Minhee) ins Gespräch, die ebenfalls seit einigen Jahren keine großen Rollen mehr angenommen hat. Die beiden Frauen scheinen sofort auf einer Wellenlinie zu sein – und so kommt Junhee schließlich die Idee, mit Kilsoo in der Hauptrolle ihren ersten Kurzfilm zu drehen...
Keine Sorge, es gibt sie immer noch, die typischen Hong-Sang-Soo-Elemente. Zum Beispiel die Dopplungen, wenn die Schriftstellerin erst etwas von einer Studentin über Gebärdensprache und später von einem Studenten über das Filmemachen erfahren will – oder wenn sich eine Diskussion über das vorhandene oder nicht vorhandene Charisma von Junhee später noch einmal unter umgekehrten Vorzeichen wiederholt. Aber diese verspielten dramaturgischen Mittel, für die Hong längst berühmt-berüchtigt ist, kommen trotzdem deutlich sparsamer zum Einsatz.
Auch die Themen werden klarer adressiert – es geht diesmal um nicht weniger als das Erschaffen von Kunst: Ist es wirklich eine „Verschwendung“, wenn man vorhandenes Talent nicht nutzt? Muss eine Story einen Plot haben – oder ist es nicht viel besser, sich in einem möglichst losen Konstrukt einfach treiben zu lassen? Das klingt jetzt vielleicht schwer nach selbstbezogener Nabelschau, aber davon könnte „Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall“ nicht weiter entfernt sein. Stattdessen erleben wir gemeinsam mit der Titelheldin einfach nur einen Tag voller Begegnungen, Inspirationen und Glück.
In einer der schönsten Szenen des Films verschwimmt der Hintergrund durch die Scheibe des Restaurants, als bestünde die Welt da draußen nur noch aus groben Bleistiftskizzen.
In der vielleicht schönsten Szene des Films sitzt Junhee mit Kilsoo in einem Restaurant – und das körnige Schwarz-Weiß der Aufnahmen sorgt dafür, dass wir durch die Fensterscheibe hindurch die Autos und Häuser nur noch ganz vage wahrnehmen können. Ihre Konturen muten an wie halbfertige Bleistiftskizzen. Da kommt ein kleines Mädchen vorbei und presst ihr Gesicht so nah an die Scheibe, dass die Kamera sie ganz scharf einfängt. Kilsoo geht zu ihr hinaus, spricht kurz mit ihr, dann gehen beide weg. Wir werden nie erfahren, wer das Mädchen war oder was sie wollte. Trotz seiner Klarheit bewahrt sich „Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall“ immer auch eine ebenso faszinierend wie inspirierende Offenheit.
Am Ende sehen wir noch einen kurzen Ausschnitt des gedrehten Kurzfilms – und der ist dann sogar teilweise in Farbe. Es ist eine ganz wunderbare Liebeserklärung an das Kino – und an die Silberner-Bär-Gewinnerin Kim Minhee („Die Taschendiebin“), die wie ihre Figur Kilsoo ebenfalls seit einigen Jahren keine Rollen in großen Produktionen mehr angenommen hat, seitdem ihre Beziehung mit dem damals noch verheirateten Hong Sang-Soo für einen Skandal in ihrer Heimat sorgte. Vielleicht gibt es auch deshalb weniger Dopplungen im Film, weil Hong inzwischen noch direkter als je zuvor seine ganz persönliche Geschichte auf der Leinwand spiegelt...
Fazit: Einer der persönlichsten und schönsten Filme von Hong Sang-Soo. Mit einer solch unerhörten Leichtigkeit eine derart tiefgreifende Reflexion über die Kunst und das Künstler*innen-Dasein abzuliefern – das macht ihm so schnell sicherlich niemand nach!
Wir haben „Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall“ im Rahmen der Berlinale 2022 gesehen, wo der Film als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.