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    Ivo
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Ivo

    Dem Tod mit Pragmatismus trotzen

    Von Michael Bendix

    Es ist der einzige Moment in „Ivo“, in dem sich Regisseurin Eva Trobisch zu einem übereindeutigen symbolischen Fingerzeig hinreißen lässt: Bei einer ihrer zahlreichen Autofahrten über Landstraßen und Autobahnabschnitte blickt die titelgebende Ivo (Minna Wündrich) auf ein Schild mit einer Botschaft von Gott höchstpersönlich: „You'll Never Walk Alone.“ Als ambulante Palliativpflegerin ist es nicht zuletzt Ivos Aufgabe, ihren Patient*innen auf der letzten Etappe ihres Lebensweges das Gefühl zu geben, nicht allein zu sein mit all den Schmerzen und der Angst. Sie selbst ist zwar ständig von Menschen umgeben, doch das einzige Ventil für ihre Gefühle bleiben ein paar einsame Tränen im Innern ihres Autos.

    In Trobischs Langfilm-Debüt „Alles ist gut“ (2018) stand eine Frau im Mittelpunkt, die versucht, das Trauma einer Vergewaltigung schweigend zu überwinden – und daran scheitert. Ivo bleibt gar keine andere Wahl, als das ständige Konfrontiertsein mit Tod und Leiden (und die existenziellen Entscheidungen, die dabei getroffen werden müssen) mit sich selbst auszumachen. Von ihren familiären Hintergründen erfahren wir nichts, und ihre Teenager-Tochter ist mit den Gedanken sowieso ganz woanders. Die einzige Freundschaft, die ihr straff getakteter Arbeitsalltag zulässt, hat wiederum unmittelbar mit ihrem Beruf zu tun – und dadurch auch ein konkretes Ablaufdatum: Solveigh (Pia Hierzegger) leidet an der unheilbaren Nervenkrankheit ALS, Ivo begleitet sie beim Sterben. Dass sie ausgerechnet mit Solveighs Mann Franz (Lukas Turtur) ein Verhältnis hat, macht die Dinge nicht unbedingt einfacher.

    Nur im Auto kann sich Ivo (Minna Wündrich) mal kurz auf sich besinnen, bevor sie sich wieder um ihre sterbenden Patient*innen kümmern muss. Adrian Campean
    Nur im Auto kann sich Ivo (Minna Wündrich) mal kurz auf sich besinnen, bevor sie sich wieder um ihre sterbenden Patient*innen kümmern muss.

    Das klingt nach der Anlage für eine große Tragödie, doch Trobisch entscheidet sich bewusst gegen Zuspitzungen aller Art. Einen Großteil der Zeit folgen wir der Protagonistin bei der Verrichtung ihrer Arbeit, und der Film passt sich dem Modus ihres Alltags an: Ivo fährt von Wohnung zu Wohnung, von Haus zu Haus, und trifft dort auf ganz unterschiedliche Lebensumstände und Umgangsweisen mit dem Unausweichlichen. Die Inszenierung ist notwendigerweise sprung- und bruchstückhaft – und hält nur dann inne, wenn Ivo Solveigh besucht, sich mit Franz in einem kargen Hotelzimmer trifft oder in ihrem Skoda sitzt, der trotz seiner räumlichen Enge näher an einem persönlichen Lebensbereich ist als ihre Wohnung.

    Trobisch hat mit einer Mischung aus Schauspiel-Profis und Laien gedreht: Ivos Kolleg*innen werden von Menschen gespielt, die tatsächlich hauptberuflich in der Palliativ-Medizin beschäftigt sind und die daher wissen müssen, wie man miteinander redet, wenn man in diesem so wichtigen wie harten Berufsfeld tätig ist. Entsprechend echt fallen sämtliche Szenen aus, in denen wir Einblicke ins Tagesgeschäft einer Palliativ-Ambulanz bekommen. In einer Sitzung etwa werden die Namen der Patient*innen aufgezählt, die in der vergangenen Woche verstorben sind – die Liste scheint gar kein Ende mehr nehmen zu wollen. Anschließend folgt eine Aufzählung der Neuaufnahmen und damit der Toten von morgen.

    Professionelle Distanz vor und hinter der Kamera

    Für Außenstehende ist die Sachlichkeit, mit der all das geschieht, kaum zu begreifen – schließlich ist der Tod für die meisten von uns ein emotional aufgeladenes und beängstigendes Thema, das wir gerade wegen seiner Unabwendbarkeit gern verdrängen. Doch wer sich der Sterblichkeit anderer (und damit zwangsläufig auch der eigenen) rund um die Uhr stellen muss, ist auf einen anderen Umgang angewiesen. Betroffenheit und Mitleid helfen hier nicht weiter, und so legen Ivo und die übrigen Pfleger*innen einen erstaunlichen Pragmatismus an den Tag, ohne dabei aber gleichgültig zu wirken.

    Es ist faszinierend, diesen schmalen Grat zu beobachten – das persönliche Drama, das eben auch in „Ivo“ steckt, fällt allerdings dahinter zurück. Trobisch ist sehr darauf bedacht, die für die im Zentrum stehende Arbeit so wichtige professionelle Distanz auch auf die filmische Form zu übertragen, jede Falle der Emotionalisierung zu umschiffen und ihren Figuren nicht zu nahe zu kommen. Dabei ist der Film randvoll mit emotionalem Ballast und ethischen Dilemmata: Ivo muss eine Doppelfunktion als Freundin und Pflegerin von Solveigh meistern, während sie hinter ihrem Rücken mit Franz schläft; und schließlich wird sie noch vor eine folgenschwere Entscheidung gestellt – denn Solveigh möchte nicht über Wochen oder sogar Monate vor sich hin vegetieren, während ihre körperlichen und kognitiven Fähigkeiten immer weiter abnehmen, sondern bis zum Ende ihre Autonomie bewahren. Sprich: Sie will sterben, bevor es unerträglich wird – und Ivo soll ihr dabei helfen.

    Auch das Publikum wird auf Distanz gehalten

    Die moralischen Fragestellungen, die sich aus einem assistierten Suizid ergeben, rückt Trobisch nicht in den Vordergrund, lässt sie aber immer mitschwingen – auch fällt sie kein Urteil über ihre Hauptfigur, die nicht einmal besonders sympathisch, in jedem Fall aber ambivalent erscheint (und es bis zum Schluss bleiben darf). Das ist zum einen die Qualität von „Ivo“. Zum anderen versperrt Trobisch jeden Zugang, der es einem ermöglichen würde, sich in das filmische Geschehen involviert zu fühlen, während sie sich formal weitgehend innerhalb der Grenzen des deutschen Problemkinos bewegt.

    Auch die Beziehung zwischen Ivo und Solveigh, die sich augenscheinlich von einem Freundinnen- in ein Pflegerinnen-Patientinnen-Verhältnis verwandelt hat, bleibt schwer greifbar – und das soll auch so sein, um der Gefahr zu entgehen, dass versehentlich ein Melodram entsteht. Doch Trobischs Bemühen, weder zu manipulieren noch zu affizieren, bleibt allzu sichtbar, was vor allem den Eindruck eines durch und durch kontrollierten Films hinterlässt. Da gehört es sicher zum Konzept, dass sich auch mit Beginn des Abspanns ein Gefühl des Alleinseins einstellt.

    Fazit: „Ivo“ ist vor allem dann stark, wenn er uns ungewohnte Einblicke in den Alltag einer Palliativ-Ambulanz ermöglicht. Doch das im Mittelpunkt stehende Drama bleibt (bewusst) unnahbar.

    Wir haben „Ivo“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er in der Sektion Encounters gezeigt wurde.

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