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    Vena
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Vena

    Eine Schwangerschaft mit Crystal Meth

    Von Jochen Werner

    Eine Bilderbuchschwangere ist Jenny (Emma Nova) nicht unbedingt. Das zeigt sich, dem durchaus liebevollen Miteinander mit ihrem Freund Bolle (Paul Wollin) zum Trotz, bereits in den ersten Bildern von „Vena“. Mit einer aus Zigarettenschachteln zusammengeklebten Torte ziehen die beiden los zu einer Geburtstagsparty. Es wird geraucht, getrunken und zu lautem, aggressivem Techno getanzt – und auch weißes Pulver wird immer wieder durch die Nase gezogen. Jenny und Bolle sind suchtkrank und abhängig von Crystal Meth, wie es später im Film konkretisiert wird. Und doch: Für Jenny fühlt sich dieses Zusammenleben, Drogenkonsum hin oder her, schon wie ein Neuanfang an.

    Denn Vergangenheit hat sie nicht zu knapp, auch wenn wir nie so ganz genau erfahren, was da eigentlich vorgefallen ist. Viel Mist habe sie gebaut, so sagt sie einmal, und dieser Mist lässt sie nun auch in ihrem Kampf um eine bessere Gegenwart nicht los. Einen Sohn hat sie bereits. Der wächst seit einem Beschluss des Jugendamts bei ihrer Mutter auf und Jenny darf ihn nur sporadisch sehen. In einer Szene am Anfang des Films wird diese Großmutter des Jungen als gereizt, unwirsch und wenig unterstützend gezeichnet. Aber man ahnt durchaus, dass diese abweisende Haltung ihrer Tochter gegenüber auch aus einem jahrelangen Kampf gegen Windmühlen und einer durchaus nachvollziehbaren Resignation gewachsen sein könnte.

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    Abseits der Klischees: „Vena“ zeichnet die Beziehung zwischen Jenny (Emma Nova) und Bolle (Paul Wollin) – trotz der Drogensucht – als liebevoll.

    Die Perspektive des Regiedebüts von Chiara Fleischhacker bleibt gleichwohl, in dieser Sequenz wie in allen folgenden, ganz bei der Protagonistin. Und in diesem Beharren, ganz nah an Jennys Erleben und ihren Gefühlsaufwallungen zu bleiben, kommt auch die zentrale Herausforderung von „Vena“ an uns, das Publikum, zum Ausdruck. Dieser Film verlangt unbedingte Empathie für eine Protagonistin, deren Tun wir oft nicht gutheißen können. Natürlich hilft es, diese Jenny nun ausschließlich in ihrem Kampf um eine Zukunft für ihre ungeborene Tochter zu zeigen. Und im Ringen mit den Steinen, die ihr immer wieder in den Weg gelegt werden – nicht nur von ihrer abweisenden Mutter, sondern insbesondere von den staatlichen Institutionen. Das Jugendamt etwa kann Jenny ausschließlich als Feind betrachten, und dass sie kurz vor der anstehenden Geburt eine Haftstrafe anzutreten hat und die Verfügbarkeit einer Mutter-Kind-Zelle fraglich bis unwahrscheinlich ist, macht ihre Perspektive nicht hoffnungsvoller.

    Im Umgang mit diesen institutionellen Hürden und ihren menschlichen Vertreter*innen tritt Jenny immer wieder wenig souverän auf. Sie verpasst Termine, antwortet patzig, aggressiv oder gar nicht – und man versteht sofort, dass ihr dieses Auftreten im Versuch, ihr Leben zu ändern, wenig helfen wird. Auch den Besuch einer Arztpraxis verweigert sie anfangs standhaft, obgleich eine nächtliche Blutung sie um ihr ungeborenes Kind fürchten lässt. Als sie dann irgendwann trotzdem eine Sprechstunde ihrer Gynäkologin aufsucht, versteht man ob des herablassenden, belehrenden Tonfalls der Ärztin sofort, woher dieser Widerwille rührt. Natürlich hat die Medizinerin recht, wenn sie die werdende Mutter auf die Schäden hinweist, die sie ihrem Kind durch ihren Drogenkonsum zufügt. Aber das weiß Jenny natürlich alles und es ist auch nicht so, als würde ihr die Moralpredigt von der Kanzel herab helfen beim schwierigen Weg in ein anderes Leben. Ihre resignierten Trotzreaktionen versteht man im Anschluss jedenfalls ein bisschen besser.

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    Die pinken, angeklebten Fingernägel zählen zu den Markenzeichen der kämpfenden Schwangeren.

    Die Abwehr gegen echte und scheinheilige Hilfsangebot von amtlicher Seite weicht erst ein kleines Stück weit auf, als sie die vom Jugendamt vermittelte Hebamme Marla (Friederike Becht) widerstrebend in ihre Wohnung und ihr Leben lässt. An diesem Punkt beginnen aber auch die Probleme dieses im Kern schönen und mitfühlenden Sozialdramas. Denn mit dieser Figur macht es sich „Vena“ mitunter auch ein bisschen arg einfach. Dass da endlich einmal jemand ist, der Jenny auf Augenhöhe gegenübertritt, macht natürlich einen großen Unterschied, und dass der Film darauf beharrt, ist gut und nachvollziehbar. Das entstehende Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Frauen bleibt aber etwas zu unterentwickelt, wird in einigen kurzen Sequenzen eher behauptet als wirklich nachvollziehbar entwickelt – und auch der kalte Entzug nach mutmaßlich jahrelanger Suchtkrankheit wird dann fast nebenbei abgehakt. „Nach zwei Wochen ist man nicht clean“, entgegnet Bolle seiner entschlossenen Freundin zwar einmal, aber der Film verfolgt diesen Faden, das fast unvermeidliche Ringen mit Suchtdruck und Rückfällen, dann nicht mehr wirklich.

    In der zweiten Hälfte, nach Jennys Entschluss, den Drogen den Rücken zu kehren, beharrt „Vena“ weiterhin entschieden auf die unbedingte Solidarität des Publikums mit Jennys fortgesetztem Kampf. Die bringt man prinzipiell auch gern auf, aber mitunter blitzt doch die Ahnung auf, dass die eine oder andere systemische Zwickmühlen nicht ganz so einseitig zu betrachten ist, wie der Film es nahelegt. Das Wissen darum, dass die lebenslange Erkrankung Sucht nicht mal eben so in 14 Tagen abzuhaken ist, während der koabhängige Lebensgefährte auf Montage ist, muss und darf einen ja keineswegs davon abhalten, mit einer jungen Frau mitzufühlen, der es von Gesellschaft und Gegenwart immer wieder erschwert wird, mit ihrer verkorksten Vergangenheit zu brechen. Manchmal scheint der Film aber so zu tun, als glaube er mit Jenny daran, dass diese sie nicht mehr verfolgen würde, wenn nur die Staatsmacht und ihre Institutionen sie endlich in Frieden lassen würde. Aber da mag man ihm dann doch nicht so ganz folgen.

    Fazit: Ein berührender, immer wieder auch ambivalenter Film, dessen hervorragende Hauptdarstellerin Emma Nova es einem über weite Strecken leicht macht, Anteil am Kampf seiner Protagonistin Jenny um eine Zukunft für sich und ihre ungeborene Tochter zu nehmen. Leider bleiben die meisten anderen Figuren und die Rollen, die sie für Jennys Weg spielen, etwas zu blass und unterkomplex. Trotzdem ist „Vena“ über weite Strecken ein durchaus packendes, auch formal sicher inszeniertes Regiedebüt.

    Wir haben „Vena“ im Rahmen des Filmfest Hamburg 2024 gesehen.

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