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    Concrete Utopia - Der letzte Aufstand
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Concrete Utopia - Der letzte Aufstand

    Der Mensch ist des Menschen Wolf

    Von Jochen Werner

    Schon nach wenigen Sekunden liegt alles in Schutt und Asche. Ein massives Erdbeben verwüstet nicht nur Seoul, sondern – so zumindest der Anschein – die ganze Welt. Häuser und Wolkenkratzer stürzen ein, die Versorgung mit Wasser, Strom und Wärme bricht ebenso zusammen wie jedwedes Kommunikationsnetz. Die (urbane) Welt verwandelt sich in eine graue Trümmerlandschaft aus Betonschutt. Nur ein einzelnes Hochhaus bleibt stehen. Schon bald stellt sich den Bewohner*innen die Frage, wie sie denn mit all den hausfremden Überlebenden umgehen sollen, die sich aus dem beißenden Frost des eiszeitartigen Winters dort draußen in den Hwang-Gung-Appartment-Komplex gerettet haben. Es wird über das Schicksal der obdachlosen Flüchtigen abgestimmt – und das Ergebnis ist eindeutig: raus mit ihnen! Jeder ist sich selbst der Nächste.

    Natürlich ist das erst der Anfang, denn man erkennt recht schnell: „Concrete Utopia“ ist einer von diesen Filmen, die einem fortwährenden Eskalationsprozess folgen, und bis zu einem mutmaßlich bösen Ende wird alles immer noch ein bisschen schlimmer werden. Die Abwärtsspirale dreht sich rasant in dieser vielfach ausgezeichneten südkoreanischen Postapokalypse, auf die ersten Grausamkeiten und Grenzüberschreitungen folgen immer weitere: Der zum Anführer einer bürgerwehrartigen Miliz zur Aufrechterhaltung der Sicherheit gewählte Kim Yeong-Tak (Lee Byung-Hun) entpuppt sich als psychopathischer Hochstapler. Und während die Hausgemeinschaft die weniger glücklichen, frierend und hungrig durch die Stadt streifenden Menschen als Kakerlaken zu bezeichnen beginnt, die man nach Belieben töten könne, machen vor den Toren des Wohnkomplexes Gerüchte um Kannibalismus die Runde.

    Zwischen all dem Schutt versuchen sich Min-sung (Park Seo-joon) und Myung-hwa (Park Bo-young) ihre Menschlichkeit zu bewahren, aber das ist gar nicht so leicht. Lotte Entertainment
    Zwischen all dem Schutt versuchen sich Min-sung (Park Seo-joon) und Myung-hwa (Park Bo-young) ihre Menschlichkeit zu bewahren, aber das ist gar nicht so leicht.

    Man kennt Geschichten wie diese: Ein katastrophisches Ereignis lässt die Infrastruktur des modernen Lebens zusammenbrechen, und durch diesen Wegfall bröckelt dann auch rasch der dünne Firnis der Zivilisation ab. So wird das wahre menschliche Wesen in all seiner Egozentrik und Grausamkeit offenbart. Der Mensch ist des Menschen Wolf, vom „Herr der Fliegen“ bis „Mad Max“ weiß man in etwa, wie das läuft. Das muss man dem Film von Regisseur Um Tae-Hwa allerdings gar nicht unbedingt zum Vorwurf machen, denn Erzählungen dieser Art sind vermutlich längst archetypisch und damit ein Stück weit zeitlos. So richtig warm wird man mit „Concrete Utopia“ aber trotzdem über weite Strecken nicht, trotz einiger durchaus starker Momente.

    Das liegt wohl in erster Linie daran, dass sich Regisseur Um reichlich Zeit nimmt für eine Geschichte, die auf echte Überraschungsmomente weitgehend verzichtet. 130 Minuten sind nicht kurz, insbesondere wenn es eigentlich von Anfang an weitgehend klar ist, auf welche Entwicklungen das alles über kurz oder – eher – lang hinausläuft. Und die Betonschuttwelt, die Um entwirft und in der er seinen Plot abspulen lässt, hat zwar durchaus ihren Reiz, aber so ganz viel bekommt man von ihr dann wiederum gar nicht zu sehen. Das mag auch budgetär bedingt sein, aber über weite Strecken funktioniert „Concrete Utopia“ eher als Kammerspiel denn als Katastrophenfilm. Beschrieben werden vor allem die sozialen, vom gesellschaftlichen Zusammenbruch unmittelbar entfesselten Dynamiken hin zur grausamen Mobherrschaft und autoritärem Führerprinzip.

    Kim Yeong-Tak (Lee Byung-Hun) schwingt sich zum Führer der Hochhaus-Miliz auf – hat in Wahrheit aber auch selbst Dreck am Stecken. Lotte Entertainment
    Kim Yeong-Tak (Lee Byung-Hun) schwingt sich zum Führer der Hochhaus-Miliz auf – hat in Wahrheit aber auch selbst Dreck am Stecken.

    Das ist natürlich durchaus ein Thema mit einem gewissen Aktualitätswert, das auch in jüngeren Jahren immer wieder im Kino zur Sprache kam. Allein im deutschen Kino fallen einem mit Natalia Sinelnikovas „Wir könnten genauso gut tot sein“ und Aslı Özges „Black Box“ gleich zwei, wenngleich deutlich kleinere Filme ein, die den Zerfall von Hausgemeinschaften unter dem Einfluss tatsächlicher oder vermuteter äußerer Bedrohungen zum Thema machen.

    Im Vergleich mit solchen, eher dem Themenfilm verwandten Ansätzen ist „Concrete Utopia“ zwar deutlich mehr Genrekino, aber viel anderes oder mehr kommt am Ende halt doch auch nicht dabei herum. In Verbindung mit dem gemächlichen Erzähltempo erweckt er dann mitunter vielleicht auch ein bisschen den Eindruck, als würde man hier einen langen und etwas zähen Abend lang die erste Staffel einer postapokalyptischen Streaming-Serie bingen: kann man machen, aber sonderlich viel wird danach nicht hängenbleiben.

    Fazit: Wirklich schlecht ist das alles nicht, aber so richtig will der Funke bei dieser südkoreanischen Postapokalypse auch nicht überspringen. Selbst wenn die graue Betonschuttwüste, in der der Film spielt, durchaus ihren Reiz hat, gibt es einfach zu wenig eigene Ideen, zu wenig Esprit und zu wenig Tempo, um „Concrete Utopia“ über durchaus zähe 130 Minuten zu tragen.

    Wir haben „Concrete Utopia“ im Rahmen der Fantasy Filmfest Nights 2024 gesehen.

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