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    Bubble
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Bubble

    Die Sci-Fi-Arielle von Netflix

    Von Björn Becher

    Hans Christian Andersens berühmtes Märchen „Die kleine Meerjungfrau“ aus dem Jahr 1837 beschäftigt uns auch heute noch. Die tragische Geschichte einer unerfüllten Liebe lässt so viel Raum für Deutungen, dass Filmemacher*innen immer wieder neue Interpretationsmöglichkeiten finden. Daher verwundert es nicht, dass das auf der „Undine“-Saga basierende Märchen auch bald 200 Jahre nach seinem Erscheinen in der Populärkultur omnipräsent bleibt - am bekanntesten natürlich durch Disneys Zeichentrick-Klassiker „Arielle, die Meerjungfrau“, der 2023 als Live-Action-Neuverfilmung von „Chicago“-Regisseur Rob Marshall wieder in die Kinos kommt.

    Auch „Attack On Titan“-Regisseur Tetsurō Araki knöpft sich in seiner ersten Produktion für den Streamingdienst Netflix den Märchen-Klassiker vor. Dabei macht er aus dem Stoff einen Sci-Fi-Action-Anime mit einigen beeindruckend-rasanten Parkour-Szenen. Doch so modern dieser Ansatz auf den ersten Blick auch anmutet, so altmodisch ist das Ergebnis. Statt eine eigene Persönlichkeit zu bekommen, darf die Protagonistin in „Bubble“ nur ihren Traumprinzen verliebt anschauen – und auch sonst gerät Autor Gen Urobuchi („Aldnoah.Zero“) erzählerisch immer wieder ins Stolpern...

    Die mysteriöse Uta läuft staunend durch die Welt der Menschen.

    Vor fünf Jahren fielen plötzlich mysteriöse Wasserblasen über Tokio hernieder. Kurz darauf kam es zu einer Explosion, ein Gros der Metropole wurde überschwemmt. In den unter Wasser gesetzten Stadtteilen gelten die Gesetze der Schwerkraft nicht mehr so wie früher und ein mächtiger Energiestrudel sorgt für eine zusätzliche Gefahr – deshalb wurden die Gebiete auch evakuiert und durch eine gewaltige Kuppel von der Außenwelt abgeschirmt. Nur einige Jugendliche sind zurückgeblieben und hausen dort nun auf Booten oder den noch aus dem Wasser ragenden Hausdächern. Die abgeschottete Welt ist zugleich auch der Schauplatz regelmäßiger Wettkämpfe um die verbliebenen Nahrungsmittel und Ressourcen.

    Bei sogenannten Battlekours riskiert man im Team sein Leben, springt über Hausdächer und herumschwebende Trümmer, um schneller als die Gegner eine Flagge zu erreichen. Seriensieger ist das Team Blue Blaze – vor allem dank des wortkargen Einzelgängers Hibiki. Der kann mit traumwandlerischer Sicherheit die noch herumfliegenden Blasen nutzen, um damit in einem Affenzahn selbst riesige Distanzen zu überwinden. Doch als sich Hibiki bei einem nächtlichen Ausflug überschätzt, stürzt er bewusstlos ins Wasser. In letzter Sekunde formt sich aus einer Blase ein Mädchen, das ihn mit einem Kuss rettet. Auf den Namen Uta getauft, weicht sie ihm nun nicht mehr von der Seite. Dabei ahnen sie nicht, dass sie als Paar die ganze Welt endgültig zerstören könnten...

    Auftakt zur neuen Anime-Offensive von Netflix

    Wit Studio gibt es zwar erst seit rund zehn Jahren und trotzdem gehört das Studio bereits zu den renommiertesten japanischen Anime-Firmen. Das liegt vor allem an der enorm erfolgreichen TV-Serie „Attack On Titan“, die ebenfalls von Tetsurō Araki als Regisseur verantwortet wurde. Für noch einmal sehr viel mehr Aufsehen sorgte es aber, als 2021 eine Kooperation mit Netflix bekannt wurde. Dazu gehört nicht nur ein vom Streaming-Service finanziertes Ausbildungsprogramm für Nachwuchs-Animationskünstler*innen, sondern auch eine Reihe exklusiver Filme und Serien, die Wit Studio nun für Netflix umsetzen wird.

    „Bubble“ ist das erste Ergebnis dieser Zusammenarbeit – und soll wohl direkt ein Ausrufezeichen setzen, weshalb der Film vor der Streaming-Veröffentlichung sogar als Kino-Weltpremiere auf der Berlinale gezeigt wurde. Was sich Netflix von der so eingeläuteten Offensive mit exklusiven Anime-Inhalten erwartet, machte die damalige Presseerklärung klar: Das Genre sei eine wunderbare Kunst, die sämtliche Grenzen der Ausdrucksmöglichkeiten sprengen und so Dinge zeigen könne, die in einem Realfilm nicht immer möglich sind. Und in dieser Hinsicht liefert „Bubble“ durchaus ab.

    Battlekours ist gefährlich - vor allem wenn man mit Gegnern konfrontiert wird, die über moderne Technologie verfügen und unfair spielen.

    Schon das größtenteils im Wasser versunkene Tokio, dessen noch aus dem Nass herausragende Hochhaustürme nun von Gras überwuchert sind, ist ein beeindruckender Anblick. So richtig visuell in die Vollen geht es zudem bei den Parkour-Szenen. Wenn Hibiki und Co. nicht nur in einem Affenzahn von Hausdach zu Hausdach springen, sondern auch herumschwebende Baugerüste, Autos und sonstigen Schrott für ihre mit Salti abgerundeten Sätze durch die Luft nutzen, sieht das durchaus atemberaubend aus. Aber warum ist „Bubble“ dann nicht der herausragende Anime, der sich hier andeutet?

    Es gibt ja sehr viele Filme, in denen visuelle Stärken die inhaltlichen Schwächen mehr als wettmachen – aber in diesem Fall klappt das nicht. Dafür machen die beiden mitreißenden Battlekours-Wettstreite dann doch nur einen zu kleinen Teil des Films aus. Zudem schaffen es Tetsurō Araki und sein Team zu selten, uns diese auf den ersten Blick so faszinierende Welt näher zu bringen. Dass hier nicht derselbe Raum für Erklärungen wie in einer Serie zur Verfügung steht, stellt die Verantwortlichen vor einer Herausforderung, die sie nicht meistern.

    Beide Frauenfiguren machen vor allem eins: Verliebt schauen!

    Das zeigt sich nicht nur in einigen eher plump eingebauten Erklär-Passagen, sondern vor allem auch bei den Nebenfiguren. Die werden eigentlich komplett stiefmütterlich behandelt (man hat ja keine Zeit) und bleiben so reine Abziehbilder, die nur dann bewegt werden, wenn sie für etwas gebraucht werden. Eine Info spielt für eine spätere Wendung eine Rolle? Dann unterhalten sich halt kurz zwei Figuren, die ersichtlich schon lange Seite an Seite leben, als würden sie sich gerade das erste Mal begegnen. An anderer Stelle wird im Handumdrehen aus der vorher als kluge, rationale Wissenschaftlerin der Gruppe eingeführten Makato ein schwerverliebtes Mädchen, das nur noch mit riesigen Herzchen in den Augen Hibiki hinterherjauchzt.

    Doch nicht nur die Nebenfiguren bleiben leere Hüllen. Auch Uta entwickelt als Wiedergängerin von Arielle kein Profil. Ihre Aufgabe bleibt es, den ganzen Film über hübsche Posen im Minirock einzunehmen, die Beine von sich zu strecken und quasi wortlos ihren „Prinzen“ anzuhimmeln. Jenseits aller ohnehin schon vorhandenen Probleme dieser Darstellung wird damit auch verpasst, die nötige Fallhöhe für die Tragik des Finales zu schaffen. Da mag „Bubble“ noch so sehr auf das Ursprungsmärchen verweisen und Uta sogar Andersens Buch in die Hände geben. Es ist eben schon bezeichnend, dass die einzige Textpassage, welche sie sich merkt und später immer und immer wiederholt, eine Zeile ist, in der die Meerjungfrau einfach nur ihren Prinzen bewundert.

    Fazit: Von der Zusammenarbeit mit der bekannten Anime-Schmiede Wit Studio erhofft sich Netflix ein großes Portfolio an außergewöhnlichen Animationsfilmen und -serien. „Bubble“ zeigt zwar, was für ein (visuelles) Potenzial diese Kooperation hat, ist dann aber doch eine große Enttäuschung, weil die eigentlich im Mittelpunkt stehende Sci-Fi-Arielle nur ein verliebt staunendes Mädchen im Minirock bleibt.

    Wir haben „Bubble“ im Rahmen der Berlinale 2022 gesehen, wo er in der Sektion Generation gezeigt wurde.

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