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    Die Mittagsfrau
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Mittagsfrau

    Das Ende aller Träume

    Von Oliver Kube

    Der Titel von Julia Francks Bestseller „Die Mittagsfrau“ (» hier bei Amazon*) bezieht sich auf einen Naturgeist aus der slawischen Sagenwelt, der später auch im Osten Deutschland Einzug in die regionale Folklore fand. Wer deshalb übernatürliche Elemente in der Kinoadaption von „Licht“-Regisseurin Barbara Albert erwartet, liegt aber trotzdem falsch:

    Wie schon im Roman wird das mythische Wesen auch in der Verfilmung lediglich metaphorisch eingesetzt oder kurz in den Dialogen erwähnt. So schildert das Drama auf oft erschreckende und bedrückend authentische Weise die Lebensgeschichte einer fiktiven Frau, die – größtenteils als bloßer Spielball der sie umgebenden Umstände – beide Weltkriege er- beziehungsweise überlebt hat.

    Ein kurzer Moment der Freunde – insgesamt aber ist das Leben von Helene (Mala Emde) von unterdrückten Träumen und geopferten Hoffnungen geprägt.

    Ende der 1920er zieht die im provinziellen Bautzen aufgewachsene Helene (Mala Emde) mit ihrer älteren Schwester Martha (Liliane Amuat) nach Berlin, wo die Töchter eines Christen und einer Jüdin den Glamour und die Versuchungen der Hauptstadt in vollen Zügen genießen. Im Gegensatz zur in die Drogensucht abrutschenden Martha hat Helene ihr Leben aber weiterhin im Griff. Sie arbeitet in einer Apotheke, will Medizin studieren und hat in Karl (Thomas Prenn) auch schon die große Liebe gefunden. Doch ihr Glück währt nur kurz, denn der Liebste wird von SA-Truppen auf offener Straße erschlagen, bevor die Nazis bald darauf die Macht im Land übernehmen.

    Als ihre jüdische Tante, bei der sie untergekommen ist, nach Südamerika flieht, ist Helene auf sich allein gestellt. Da tritt Wilhelm (Max von der Groeben) in ihr Leben. Der ist zwar SS-Offizier, nimmt es mit der Ideologie aber nicht allzu ernst, wenn sie ihm nicht in den Kram passt. Er verschafft der jungen Frau eine neue Identität, die sie als Arierin ausweist. Im Gegenzug muss sie sich ihm komplett unterordnen, nach Stettin umziehen und ihre persönlichen Ambitionen vergessen. Es dauert nicht lange, da bricht der Zweite Weltkrieg aus und Helene, die nun Alice heißt, ist schwanger…

    Vor allem eine Änderung im Vergleich zum Roman zahlt sich aus

    Im Gegensatz zum Roman gibt es im Film keine wechselnde Erzählperspektive mehr, stattdessen erleben wir alles allein durch Helenes Augen. Ansonsten haben Barbara Albert und ihre Co-Autorin Meike Hauck („Pingpong“) vor allem kleinere Änderungen (wie beim Vater, der im Roman nicht aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrt, in der Verfilmung aber gar nicht erst vorkommt) vorgenommen – mit einer Ausnahme: Während die Vorlage seine Leserschaft schon auf den ersten Seiten mit einer am Ende des Zweiten Weltkriegs spielenden Szene tief verstört, kommt sie im Film erst kurz vor dem Finale. Das mag einige Fans des sehr effektiven Romans vielleicht enttäuschen, war aber eine kluge Entscheidung: Denn so fällt das Publikum nicht bereits zu Beginn ein Urteil über die Hauptfigur – sondern behält lange Zeit ein sehr viel offeneres Bild von ihr.

    Statt der nach hinten verschobenen Szene eröffnet „Die Mittagsfrau“ nun mit einem Moment ganz am Ende des verhandelten Zeitraums vom Ende der 1910er bis in die 1950er – und die lässt nicht nur mehr Ambivalenz zu, sondern verleiht dem Film auch eine innere Spannung, die es im Roman in der Form noch nicht gab: So bleibt es am Publikum, darüber zu rätseln, wie es zu der eröffnenden Situation – immerhin zehn Jahre nach Kriegsende – nur kommen konnte. Dabei sind wir uns sicher: Nur die Wenigsten, die den Roman nicht gelesen haben, dürften dabei auch die richtige Lösung tippen!

    Mara Emde liefert – erneut – eine großartige Performance in der Hauptrolle!

    Nach dem vier Jahrzehnte in die Zukunft gerichteten Ausblick lernen wir aber erst einmal die kindliche Helene kennen – und erfahren so schon sehr viel über sie: Einerseits wirkt sie noch unbedarft-verträumt, andererseits entwickelt sie bereits ein gesteigertes Interesse an der Biologie und Anatomie von Mensch und Tier. Das Mädchen ist offensichtlich sehr intelligent und in einer anderen Ära und Umgebung hätte vielleicht tatsächlich eine Ärztin oder Wissenschaftlerin aus ihr werden können – das wird ohne viele Worte effizient geschildert, wobei Helena Pieske („Lou Andreas-Salomé“) wirklich exzellent als jüngere Version der Protagonistin gecastet wurde.

    „Die Mittagsfrau“ ist visuell ansprechend umgesetzt, wirkt in Bezug auf Kulissen und Locations aber manchmal etwas begrenzt. Als Zuschauer*in wünscht man sich hin und wieder, noch mehr zu sehen: von der piefigen Oberlausitz, die die Schwestern so sehr verachten; vom strahlenden Berlin der „Goldenen Zwanziger“; von Helenes und Karls glücklichen Momenten außerhalb seiner Studentenbude oder der Straßenecke vor ihrer Arbeitsstelle; von Stettin jenseits von Wilhelms Dienstwohnung. Die meiste Zeit über befinden wir uns also – wohl auch budgetbedingt – in Räumen. Was jedoch den Vorteil hat, dass Filip Zumbrunn („Die Känguru-Chroniken“) mit seiner Kamera die meiste Zeit über sehr nah an der Hauptfigur bleibt.

    Wahnsinnsleistung in der Hauptrolle

    Die wird von Mala Emde („Aus meiner Haut“) körperlich wie verbal meist immens zurückgenommen, streckenweise geradezu passiv interpretiert. Ihr Spiel mit Blicken und Mimik sagt dafür umso mehr und zieht uns – trotz einiger ihrer Entscheidungen – immer weiter auf die Seite der verzweifelten Helene, die sich emotional mehr und mehr verschließt. So sehr sogar, dass ihr kleiner Sohn Peter (Finjen Kiefer) glaubt, sie habe ein „blindes Herz“.

    Das konstante Ringen mit ihrer Identität sowie ihren Wünschen und Träumen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Abstammung, der gesellschaftlichen sowie politischen Umstände und nicht zuletzt ihrer Rolle als Mutter immer unmöglicher und damit erdrückender erscheinen, ist völlig authentisch und berührend rübergebracht. Emdes Performance steht ihrem brillanten Auftritt in „Und morgen die ganze Welt“ um nichts nach und veredelt so den ohnehin schon gelungenen Film noch zusätzlich.

    Fazit: Ein so spannendes wie mitreißendes Drama, das das Schicksal seiner ambivalenten Protagonistin über vier Jahrzehnte und zwei Weltkriege hinweg mitverfolgt – und das Publikum dabei an dem Mysterium knabbern lässt, wie es zu all dem überhaupt kommen konnte. Hauptdarstellerin Mala Emde entpuppt sich dabei als größter Trumpf des Films.

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