"Black Mirror" ohne Biss
Von Oliver KubeAls vor wenigen Wochen nach vierjähriger Wartezeit endlich die sechste Staffel der dystopischen Anthologie-Serie „Black Mirror“ erschien, waren längst nicht alle Fans begeistert. Man habe sich mit Horror-, Crime- und Comedy-Episoden zu sehr von den Wurzeln der Show entfernt, hörte man da immer wieder als Kritikpunkt. Schließlich ging es zu Beginn der Serie ja noch (fast) ausschließlich um (fatalistische) Zukunftsaussichten, wie bestimmte technologische Entwicklungen unsere Gesellschaft womöglich (auf meist negative Weise) beeinflussen und/oder verändern könnten. Für alle, die sich deshalb über die sechste Staffel des Netflix-Hits geärgert haben, kommt nun die Science-Fiction-Satire „The Pod Generation“ ins Kino – die folgt nämlich ziemlich strikt den ursprünglichen „Black Mirror“-Schemata.
„Black Mirror“ war und ist in seinen besten Momenten allerdings sehr scharf und hat Konkretes zum Zustand unserer realen Welt zu sagen. „The Pod Generation“ von „Cold Souls“-Regisseurin Sophie Barthes fehlt es hingegen am nötigen Biss: Nach einem noch recht vielversprechenden Auftakt plätschert die Indie-Produktion leider nur noch gefällig-oberflächlich dahin – bis hin zum allzu zahmen Antiklimax-Finale. Das ist gerade angesichts der aktuellen Durchbrüche und Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz doch alles arg klein gedacht und so letztendlich auch enttäuschend unspektakulär.
Rachel (Emilia Clarke) und Alvy (Chiwetel Ejiofor) wollen zwar ein Kind – aber zumindest sie möchte dafür lieber nicht extra schwanger werden müssen.
In nicht allzu weit entfernter Zukunft ist Künstliche Intelligenz allgegenwärtig. Die Natur ist zwar außerhalb von Mega-Städten wie New York weiterhin vorhanden, für die meisten Menschen aber ist sie allenfalls noch eine entfernte Erinnerung. Wer sie trotzdem noch einmal „hautnah“ erleben möchte, braucht die City nicht mehr zu verlassen, sondern gönnt sich stattdessen eine zeitsparende digitale Simulation. Und auch in anderen Bereichen ist vieles leichter geworden: Als Rachel (Emilia Clarke) und Alvy (Chiwetel Ejiofor) eine Familie gründen möchten, bietet Rachels Arbeitgeber ihr ein neues, von dem Tech-Giganten selbst entwickeltes Gerät an …
… und zwar eine artifizielle Gebärmutter in Form eines Plastikeis, das den Fötus computergesteuert mit allem Essentiellen versorgt. Dank dieses sogenannten Pods muss Rachel nicht mehr selbst schwanger werden, sondern kann „produktiv“ bleiben. Ihr noch etwas erdverbundenerer Gatte, der als Botaniker in einer Art Museum arbeitet, das jungen Leuten zeigt, wie echte Bäume aussehen, würde das Kind zwar eigentlich lieber auf natürlichem Wege bekommen. Letztlich stimmt er dem Experiment aber zu. Was soll da auch schon schiefgehen?
Wie praktisch die von Sophie Barthes präsentierte „schöne neue Welt“ doch ist: Daheim kocht eine KI nicht nur morgens pünktlich den Tee, ihr Algorithmus entscheidet auch gleich noch, was es zum Essen gibt oder welche Kleidung angemessen ist. Auf der Arbeit wird man dann von einem allwissenden Computer angetrieben, der auch die Geschwindigkeit des kleinen Laufbandes steuert, das vor dem Schreibpult platziert ist. Selbst die Psychotherapie wird von einem Automaten übernommen. Und wer Kinder haben will, braucht nun nicht mehr selbst schwanger zu werden. Nicht einmal Sex muss man dafür haben. Bis hierhin entwirft „The Pod Generation“ eine stimmig-albtraumhafte Tech-Zukunft.
Das präsentierte Szenario wirkt sicherlich hier und da etwas absurd und das Publikum darf ruhig auch mal schmunzeln. In den meisten Details ist diese Entwicklung in Richtung selbstfahrender Autos, Smart Homes etc. aber wohl gar nicht mehr allzu weit von unserer Gegenwart entfernt. Wenn es im aktuellen Tempo weitergeht, könnte es vielleicht tatsächlich passieren, dass wir selbst die allerpersönlichsten Entscheidungen (und damit womöglich gar die Verantwortung für unser Leben) an von Konzernen gesteuerte Künstliche Intelligenzen abgeben. Und das aus reiner Bequemlichkeit. Das hat Barthes gut erkannt und serviert uns ihre Geschichte deshalb nicht in einem Raumschiff oder einer glitzernden Zukunftswelt. Vielmehr sehen wir ein Alltagsambiente in Pastellfarben, das nur unterschwellig und in kleinen Details – wie etwa der kompletten Abwesenheit von Schmutz oder Abfall – futuristisch anmutet.
Auch ein Embryo braucht Liebe und Zuneigung – selbst wenn er sich nicht im Mutterleib, sondern in einem Tamagotchi-Ei befindet.
Am witzigsten ist „The Pod Generation“, als das Paar ihren Pod für ein paar Tage mit nach Hause nimmt und wie ein – die älteren Leser*innen werden sich erinnern – Tamagotchi per rechtzeitigem Knopfdruck persönlich mit Nahrung oder Zuneigung versorgen muss (nicht weil es technisch notwendig wäre, sondern einfach, um eine gewisse persönliche Verbindung zum eigenen Baby vorzugaukeln). Ansonsten ist der Humor in Barthes Film allerdings eher dünn gesät und auch nur selten wirklich zündend. Diesbezüglich auffällig ist höchstens noch Rachels schon mal schnippisch antwortende digitale KI-Therapeutin, die passenderweise als riesiges Auges an der Wand visualisiert wird.
Aber nicht nur in Sachen Comedy plätschert das Ganze eher zahnlos vor sich hin. So gibt es zum Beispiel auch kaum Wendungen. Während Rachel – trotz kurzer (Alb-)Träume, in denen sie wirklich selbst das Baby im Bauch trägt – mit ihrer naiven Technik- und Systemgläubigkeit selbst Teil des Problems ist, sieht ihr Mann eigentlich sehr wohl, was passiert. Dennoch zeigt er erst sehr spät und dazu nur halbherzig echte Initiative.
So nimmt Alvy nahezu kampflos hin, dass seine Frau allein entschieden hat, ein gemeinsames Kind auf mehr oder weniger digitale Weise zu bekommen. Und das, obwohl dies grundsätzlich gegen seine Vorstellungen und Überzeugungen verstößt. Möglichkeiten für Konflikte, die das Ganze hätten aufpeppen können, werden einfach links liegengelassen. Wirklicher Drive will nicht einmal im Finale aufkommen, dessen Potential, endlich für etwas Spannung zu sorgen, ebenfalls verschenkt wird. Hätte man ChatGPT angewiesen, ein absehbares, dabei möglichst unspektakuläres Ende für die Prämisse des Films zu finden, hätte selbst ein KI-Programm wohl kaum etwas Lahmeres schreiben können.
„The Pod Generation“ sieht für einen europäischen Independent-Film echt super aus und ist – speziell von „Game Of Thrones“-Star Emilia Clarke – mit spürbarem Engagement gespielt. Mit etwas gutem Willen könnte man unterstellen, dass uns Barthes hier zum Nachdenken oder gar zum Gegensteuern animieren möchte. Den dafür essentiellen Biss lässt ihre allzu soft und ohne echte Höhepunkte auskommende Light-Satire aber vermissen. Hier wird ein vielversprechend etabliertes Szenario anschließend einfach größtenteils verschenkt.
Fazit: Eine Science-Fiction-Dystopie, die zunächst eine spannende (und erschreckend glaubhafte) Zukunfts-Prämisse etabliert, aber dann ohne weitere Aufregung vor sich hinplätschert.