Mein Konto
    The Book Of Solutions
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    The Book Of Solutions

    Die absurd-komische Seite des Filmemachens

    Von Michael Meyns

    Eine der Regeln des Filmemachens lautet: „Nicht auf andere hören!“ So zumindest hat es der Filmemacher Marc (Pierre Niney) in seinem Buch der Lösungen notiert und man darf getrost davon ausgehen, dass Michel Gondry, der Regisseur der absurden Filmproduktion-läuft-aus-dem-Ruder-Komödie „The Book Of Solutions“, selbst ganz ähnlich denkt. Zumindest dürfte das einer der Gründe sein warum der vor allem für den Jim-Carrey-Kultfilm „Vergiss mein nicht“ bekannte Regisseur oft mit nur schnöde aufs Geld schauenden Produzent*innen aneinandergerät – ein steter Quell des Frustes, der ihn nun auch zu diesem im weitesten Sinne autobiographischen Film inspiriert hat. Voller schöner Ideen ist das Porträt des Künstlers als selbstverlorenen Exzentrikers, nur lose strukturiert wie eigentlich alle von ihm selbst geschriebenen Gondry-Filme. Dabei wandelt „The Book Of Solutions“ stets auf einem schmalen Grat zwischen weinerlich und phantasievoll, selbstverliebt und berührend.

    Der Regisseur Marc sitzt am Schnitt seines neuen Films „Anyone, Everyone“, aber es gibt Probleme: Die Produzent*innen verstehen Marcs Vision einfach nicht und wollen ihm den Film deshalb wegnehmen. Kurz entschlossen „entführt“ Marc den Film, schnappt sich die Festplatten mit dem Material und flieht mit seiner treuen Cutterin Charlotte (Blanche Gardin), seiner Assistentin Sylvia (Frankie Wallach) und dem Mädchen für alles Carlos (Mourad Boudaoud) aufs Land. In seinem Heimatdorf unter der Obhut seiner alten Tante Denise (Françoise Lebrun) will Marc die nötige Ruhe finden und seinen Film endlich beenden. Allerdings ergreift er dabei auch jede erdenkliche Ausrede, um sich das bereits gedrehte und geschnittene Material nicht selbst ansehen zu müssen…

    Im Haus seiner Großtante hat Marc (Pierre Niney) natürlich nicht dieselben Möglichkeiten wie an einem Filmset – da heißt es, kreativ zu werden!

    Bei den Dreharbeiten zur Verfilmung von Boris Vians legendärem Roman „Mood Indigo“ (= „Der Schaum der Tage“) geriet Michel Gondry immer wieder in Konflikt mit den Produzenten. Das für eine französische Produktion ohnehin extrem hohe Budget von 18 Millionen Dollar schnellte immer weiter in die Höhe, Gondrys Ideen ließen sich einfach nicht zähmen und irgendwann verschwand der Regisseur einfach – und drehte, wie er später selbst berichtete, stattdessen zwei Tage lang eine Dokumentation über eine Kakerlake. Und es ist nicht die einzige Anekdote aus dem Leben des „Green Hornet“-Regisseurs, die Eingang in seinen neuen autobiographisch geprägten Film hielt. Hier ist es allerdings eine Ameise, über die Marc plötzlich einen Film drehen will – einer von etlichen Versuchen, sich von der eigentlichen Arbeit abzulenken. Denn den vier Stunden langen Rohschnitt seines neuen Films will sich Marc partout nicht anschauen – ganz zum Leiden seiner Assistent*innen, die ihm aus nicht immer nachvollziehbarer Treue folgen.

    Zumal Michel Gondry sein Alter Ego auch nicht immer unbedingt sympathisch erscheinen lässt, ihn als zwar originellen und von unbändiger Phantasie gesegneten Filmemacher, aber eben auch als egozentrisch, eigenwillig und egoistisch zeichnet. Kein Wunder also, dass so jemand in der Filmindustrie und besonders in Hollywood Probleme bekommt, dass jemand, der seine eigenen Regeln machen will, in einem industriellen Korsett schnell an seine Grenzen stößt, gerade wenn er nicht nur Regie führt, sondern auch noch das Drehbuch schreibt. Vielleicht ist es deshalb kein Zufall, dass das einzige Meisterwerk in Gondrys Filmografie, nämlich „Vergiss mein nicht“, genau der Film ist, bei dem Gondry NICHT am Drehbuch beteiligt war. Die Verfilmung eines Drehbuchs von Charlie Kaufmann erwies sich als Glücksfall, bei dem Buch, Regie und Schauspieler kongenial zusammenfanden und dabei etwas ganz Besonderes entstand.

    So persönlich (und selbstverliebt?) wie kein Gondry-Film zuvor

    Seitdem hat Gondry zwar schon auch immer wieder interessante Filme wie „Abgedreht“ oder eben „Der Schaum der Tage“ gedreht, doch diese Arbeiten verließen sich zu sehr auf die Skurrilität, die visuellen Einfälle, mit denen Gondry einst als Regisseur von Videoclips und Werbespots bekannt wurde. Kurze Formen also, bei denen es nicht auf Inhalte, sondern nur auf Ideen ankommt. In diesem Bereich hat er in den Jahren seit seinem letzten Spielfilm „Mikro & Sprit“ auch weiterhin erfolgreich gearbeitet. „The Book Of Solutions“ ist nun der persönlichste, autobiographischste Film in Gondrys Karriere – ein Film, der seiner Tante Suzanne gewidmet ist, die im Film Denise heißt und so etwas wie die gute Seele ist, die Marcs Eigenheiten kennt und besser mit ihnen umgehen kann als sonst jemand. Allerdings ist „The Book Of Solutions“ am Ende dann eben doch keine harsche, schonungslose Selbstanalyse wie etwa Bob Fosses filmisches Selbstporträt „Hinter dem Rampenlicht“. Viel zu gut meint es Gondry mit sich selbst (man könnte es auch als Selbstmitleid auslegen), als dass er eine Figur zeichnen würde, der man lange böse sein kann.

    So wird am Ende weniger von einer Selbsterkenntnis oder gar einem Wandel der Hauptfigur Marc erzählt, als vom Prozess des Filmemachens à la Gondry. Von Inspiration und Inspiration ist der Regisseur geprägt, aber auch vom Glauben an das eigene Genie. In einer besonders schönen Szene etwa hat Marc ein vielköpfiges Orchester in ein kleines Aufnahmestudio geholt, um die Filmmusik einzuspielen. Eine Partitur gibt es nicht, stattdessen sollen die Musiker*innen Bewegungen von Marcs Körper selbst interpretieren: Macht er sich klein, soll es leise Töne geben, streckt er sich, soll es laut werden. Erstaunlicherweise funktioniert das sogar, die Musiker*innen lassen sich von Marcs Rumgehampel tatsächlich mitreißen, so wie vermutlich auch Gondry selbst seine Mitarbeiter*innen immer wieder mit seinen phantasievollen Ideen mitgerissen hat. Was „The Book Of Solutions“ am Ende zu einer Ode an sich selbst macht – ein selbstbezogener Ansatz, der einen schon auch nerven kann, der zugleich aber auch ganz gut zu Michel Gondry und seinen Filmen passt.

    Fazit: Sein erster Spielfilm seit acht Jahren ist auch sein persönlichster: Michel Gondry erzählt in „The Book Of Solutions“ von einem exzentrischen Filmemacher, der Probleme hat, seinen neuen Film zu Ende zu bringen. Eine Ode an improvisiertes Do-it-Yourself-Filmemachen, vor allem aber an Gondry selbst.

    Wir haben „The Book Of Solutions“ beim Cannes Filmfestival 2023 gesehen, wo er in der Sektion Director’s Fortnight gezeigt wurde.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top