Zum Zuhören einladen (und dann doch nichts zu sagen haben)
Von Björn BecherWeil während der Corona-Pandemie viele Menschen deutlich mehr Zeit allein zu Hause verbrachten, stieg auch die Nachfrage nach Telefonseelsorgediensten massiv an. Die Möglichkeit, einfach nur mit jemandem zu reden und so der Einsamkeit zumindest zwischenzeitig zu entkommen, war so nachgefragt wie nie zuvor. Das ist auch der Ausgangspunkt von „The Listener“, der ersten Regiearbeit von Schauspielstar Steve Buscemi („Reservoir Dogs“) seit 15 Jahren. Auch der Tribut, der von all jenen gefordert wird, die sich zum Zuhören zur Verfügung stellen, spielt eine wichtige Rolle, wenn die sich selbst Beth (Tessa Thompson) nennende Titelheldin schon gleich zu Beginn sagt, dass sie den Job in kürze zumindest zeitweise aufgeben wird.
Dass die Corona-Pandemie nur im Hintergrund mitschwingt, ist eine der Stärken von „The Listener“. Buscemi setzt aber nicht nur in diesem Punkt auf eine sehr unaufgeregte Erzählung. In seinem Kammerspiel, in dem Marvel-Valkyrie Tessa Thompson als einzige Person vor der Kamera zu sehen ist, deutet er zwar hin und wieder an, dass es nun dramatischer werden könnte, ohne dies dann aber in aller Konsequenz durchzuziehen. Verbunden mit einer gefühlvollen Inszenierung etabliert „The Listener“ eine Atmosphäre, die das Publikum dazu bringt, es Beth gleich zu tun und einfach nur zuzuhören. Das große Problem dabei: Sobald man dies tut, wird einem schnell klar, wie platt und gekünstelt die Gespräche größtenteils geschrieben sind...
Nur für eine kurze Verschnaufpause geht Beth vor die Tür.
Diesen Gesprächen lauschen wir eine ganze Nacht lang. Im Gegensatz zu anderen Telefon-Filmen wie etwa „The Guilty“ über einen Mitarbeiter in einer Notrufzentrale ist es in „The Listener“ aber gerade nicht DIE eine außergewöhnliche Nacht, in der alles anders ist als sonst und Beth an ihre Grenzen gebracht wird. Vielmehr führt Beth genau solche Gespräche wahrscheinlich auch in jeder anderen Schicht – zum Beispiel mit einer obdachlosen jungen Frau, die unter ihrem aggressiven Partner leidet, oder einem Ex-Soldaten, der im Krieg einen Fuß verloren und eine Unschuldige getötet hat. Nur das Telefonat mit einer Professorin (stimmlich stark: Rebecca Hall), die plötzlich den Spieß umdreht und die Zuhörerin zum Reden bringt, fällt da etwas aus der Reihe...
Nur gelegentlich blickt die Kamera aus dem Fenster, was verbunden mit einem Anschwellen der Musik und einigen der üblichen Nachtgeräusche kurz den Eindruck erweckt, dass dort draußen vielleicht doch eine Gefahr lauert. Es ist jedoch ein recht hilfloser Versuch, Spannung zu erzeugen – schließlich spürt man schon zu Beginn, dass dies (zum Glück) einfach keiner dieser Filme ist, wo im Finale plötzlich einer der Anrufenden mit einem Messer vor der Tür steht. Ansonsten ist „The Listener“ aber sehr gelungen inszeniert. Eine-Person-am-Telefon-Filme limitieren sich ja durch die Ortsgebundenheit oft selbst – da gibt es dann nur das Auto („Locke“) oder die Notrufzentrale („The Guilty“) und das kann schnell zu repetitiven Bildern führen.
In „The Listener“ wird dieses Problem geschickt dadurch umgangen, dass Beth von zu Hause arbeitet und erst im Nachthemd, dann im Jogginganzug durch ihre Wohnung streift, auch mal vor die Tür geht oder nebenbei kleine Zeichnungen anfertigt, die mit dem aktuellen Gespräch zusammenhängen. Buscemi inszeniert seine Hauptdarstellerin stark im Raum. Die Kamera von Anka Malatynska („Pretty Little Liars: Original Sin“) kommt ihr mal ganz nah, verortet sie dann aber auch sofort wieder aus der Ferne im Zimmer. Beiläufig werden unsere Blicke auf kleine Dinge gelenkt: die Zigaretten, welche Beth in der Schublade verschwinden lässt, oder den Stressball, den sie heftig bearbeitet.
Die Inszenierung hält das Interesse aufrecht, ist dank der sehr ruhigen Kameraführung aber auch so zurückgenommen, dass sie dennoch nie die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wie Tessa Thompson als Beth sollen auch wir Zuhörer*innen werden und uns vor allem für die von einem durchaus namhaften Stimmen-Cast (u.a. Logan Marshall-Green, Margaret Cho und sogar Steve Buscemi selbst in einem Mini-Cameo) vorgetragenen Geschichten interessieren. Dabei soll das Publikum die von Thompson in einigen Situationen mimisch stark vermittelte Hilflosigkeit ob der sie überwältigenden Probleme der Anrufenden quasi am eigenen Leib fühlen …
Während der Telefonate greift Beth regelmäßig zum Zeichenstift.
… doch genau das geht nicht auf. Am Ende schaffen es die Erzählungen nur selten, wirklich zu berühren, weil sie sich dafür einfach nicht authentisch genug anfühlen. Dass die Auswahl der Probleme – vom Frauen hassenden Incel über Rassismus bei der Polizei hin zum amerikanischen Gesundheitswesen – doch sehr nach einem tagesaktuellen Themen-Baukasten ausgewählt wurde, ist dabei gar nicht mal das Problem. Es sind vielmehr die glattgebügelten Dialoge im Drehbuch des Italieners Alessandro Camon („Shootout – Keine Gnade“), der für seine Mitarbeit am Skript zu „The Messenger“ noch für einen Oscar nominiert wurde: Die Figuren drücken sich dabei so klar und zielgerichtet aus, dass es fast immer klingt wie geschrieben statt wie gesprochen.
Egal ob Beth mit einer seit Jahren auf der Straße lebenden Teenagerin, einem arbeitslosen Ex-Knacki oder einer Professorin spricht: Fast jede Figur kommt so schnell und gut ausgeführt zum Punkt, dass schon nach kurzer Gesprächsdauer zu erahnen ist, über was nun geredet wird. Wenn Beth mal ein wenig stochern muss, wirkt auch das eher zwanghaft herbeigeführt und wird dann sowieso zügig aufgelöst. Dies führt dazu, dass das Interesse bei fast jedem Gespräch mit zunehmendem Verlauf erlahmt, weil sowieso klar ist, wohin der Hase läuft. So setzt viel zu oft die Hoffnung ein, dass doch bald das nächste Gespräch beginnen möge.
Fazit: Mit seiner unaufgeregten Inszenierung und der großartigen Tessa Thompson ist „The Listener“ eigentlich ein Film, der zum Zuhören einlädt – aber dann in den vorgetragenen Geschichten viel zu selten sowas wie authentische Momente abliefert.
Wir haben „The Listener“ beim Filmfestival in Venedig gesehen, wo er außer Konkurrenz als Teil der Reihe „Giornate degli Autori“ gezeigt wurde.