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    Flux Gourmet
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Flux Gourmet

    Filmkunst, die man schmecken kann

    Von Jochen Werner

    Manche erinnern sich vielleicht noch an eine kontroverse Debatte aus dem Jahr 2007. Da berief der deutsche Kurator Roger M. Buergel mit dem Katalanen Ferran Adrià, dem Erfinder der „molekularen Küche“, erstmals in der Geschichte der weltberühmten Kasseler Kunstausstellung Documenta einen Vertreter der Kochkunst unter die eingeladenen Künstler*innen – und rasch entbrannte ein heftiger Streit darüber, ob man denn wirklich die Kochkunst an die Seite der traditionellen Bildenden Künste stellen könnte oder dürfe. Eine Frage, die sich an einen Grundsatzkonflikt in der Kunstbetrachtung – nämlich den zwischen Inhalt und Form, Analyse und Sinnlichkeit – anlehnt. Denn was ist der Inhalt einer noch so kreativen Mahlzeit, abgesehen von ihr selbst? Kann sie über das sinnliche Erlebnis, sie zu verspeisen, hinausweisen – und müsste sie das überhaupt, um ihre Herstellung als künstlerischen Prozess zu begreifen?

    In seinem neuen Film „Flux Gourmet“ begründet der britische Experimental-Genreregisseur Peter Strickland nun ein sogenanntes Sonic Catering Institute – und ruft dafür die Fluxus-Tradition auf, eine Avantgarde-Kunstbewegung der 60er-Jahre, deren erklärtes Ziel es war, den künstlerischen Prozess selbst ins Zentrum zu rücken und das entstehende Kunstwerk so als „bürgerlichen Fetisch“ zu enttarnen. Im Ergebnis sollten nicht sakrosankte Werke oder Gegenstände mit einem interpretierbaren Inhalt, sondern fließende Übergänge zwischen der Kunst und dem Leben entstehen. Dabei herausgekommen sind vor allem aus verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen collagierte Performances, in denen choreografierte Bewegungen und Geräusche auf theatrale Inszenierungen, musikalische Kompositionen oder Film trafen und sich aus all diesen Elementen eine Art Gesamtkunstwerk ergab, das sich im sinnlichen Erleben realisierte und vollendete.

    Kein Blut, sondern Tomatenmark: Lamina Propria (Ariane Labed) bei einer kulinarischen Kunst-Performance.

    Das Akustische spielt auch für die Performances des Künstler*innenkollektivs im Zentrum von „Flux Gourmet“ eine Rolle, auch wenn sein Stellenwert umstritten ist. So entstammen die verwendeten Geräusche allesamt realen Lebensmitteln oder einer Zubereitung – da werden etwa Cinch-Stecker in Soßentöpfe oder Omeletts gesteckt, um ihnen ihre inneren Klänge zu entlocken. Wieweit ihre anschließende künstlerische Verfremdung jedoch zulässig ist, steht zur Debatte. Schließlich dürfe es weder eine Präferenz des Sonischen – also der Klangkunst – über das Kulinarische geben noch umgekehrt. Das dreiköpfige Kollektiv, das die Mäzenin Jan Stevens (Gwendoline Christie) als Stipendiat*innen ins Institut eingeladen hat, verfügt allerdings über durchaus unterschiedliche Zugänge zur Synthese der beiden Kunstformen, die dann – beschleunigt durch die Machtspiele der Mäzenin und des zwiespältigen Institutsarztes Dr. Glock (Richard Bremmer) – auch zur zunehmenden Spaltung der Gruppe führen.

    Die noch namenlose Künstler*innengruppe selbst besteht aus drei sehr verschiedenen Individuen. Billy Rubin (Asa Butterfield) ist der Techniker der Gruppe und wohl vor allem aus libidinösen Gründen involviert. Lamina Propria (Ariane Labed) kreiert intuitiv, aber ihr fehlt eine eigene Vision und die Fähigkeit, die eigene Arbeit in Worte zu fassen. Als radikaler Mastermind tritt Elle di Elle (Fatma Mohamed) auf, der es wiederum an jedem Verständnis für die formale Umsetzung des großen konzeptuellen Überbaus mangelt. Als eine weitere Fraktion kommt schließlich noch eine abgelehnte Künstlergruppe ins Spiel, die das Institut immer wieder mit terroristischen Aktionen attackiert.

    Selbst das Furzen wird zur Kunst

    Die Kunst selbst und die verschiedenen Reibungsflächen und Machtverhältnisse im kreativen Prozess nimmt Strickland sehr ernst – und „Flux Gourmet“ ist, seinen ziemlich ungewöhnlichen Themen zum Trotz, alles andere als eine humoristische Persiflage auf eine vermeintlich durchgeknallte Kunstwelt. Stattdessen nimmt Strickland das Kulinarische als eine radikale Möglichkeit, das Erleben mit allen Sinnen und den Körper ins künstlerische Spiel zu holen, buchstäblich todernst.

    Das spiegelt sich auch in der Erzählerfigur wider, aus deren Perspektive wir die obskure Welt des Sonic Catering Institute entdecken: Der erfolglose griechische Schriftsteller Stones (Makis Papadimitriou), der sein Geld nun als eine Art Hausdokumentarist verdient, leidet an chronischer Verstopfung und unaufhörlicher Flatulenz, die zu kontrollieren ihm jede soziale Situation zur Hölle macht. Und auch sein Körper, seine Untersuchungen und schließlich seine Therapie werden zwangsläufig zu einem Teil des großen, alles verschlingenden künstlerischen Prozesses.

    Die Mäzenin Jan Stevens (Gwendoline Christie) hat ein Auge auf den jungen Sound-Künstler Billy Rubin (Asa Butterfield) geworfen.

    „Flux Gourmet“ ist ein Film über das, was wir in unsere Körper hineintun und das, was sie ausscheiden, über das Impulsive und das Kontrollierte, über das, was unwillkürlich aus uns herausströmt und das, was in uns feststeckt und uns blockiert. Allesamt große Themen, die Strickland zu einer mal berserkerhaft mäandernden, mal schamlos verkopften filmischen Abhandlung über das Künstlertum zusammenfügt.

    Die Werke von Peter Strickland, der vor allem schon in seinem bekanntesten Film „Berberian Sound Studio“ über den Toningenieur eines italienischen Horror-Filmstudios viel mit der Entstehung von Sounds experimentiert hat, sind stets beides: durch und durch sinnlich und intellektuell völlig überdeterminiert. Man kann sich in ihnen hemmungslos dem Sinnesrausch hingeben, kommt aber nicht umhin, ihn auch in ihre hinterletzten verknoteten Hirnwindungen hinein zu folgen. Und man kann ihre analytisch-akademische Seite schätzen, kommt aber nicht ungeschoren und ohne die Konfrontation mit allerlei inhaltlichen wie formalen Grenzüberschreitungen davon.

    Fazit: Analytisch, spielerisch, transgressiv, verkopft, sinnlich: „Flux Gourmet“ ist eine vollgestopfte filmische Wundertüte. Peter Strickland verfestigt damit auf jeden Fall seinen Status als ein unverwechselbarer, formal virtuoser Filmemacher, irgendwo zwischen Genre, Analyse und anderen, weit offeneren Formen. Man darf von ihm nicht verlangen, dass all diese kaum vereinbaren Elemente immer zusammenpassen, aber in ihrem Aufeinandertreffen entsteht im Idealfall großes, mitreißendes Kino für (fast) alle Sinne.

    Wir haben „Flux Gourmet“ im Rahmen der Berlinale 2022 gesehen, wo er in der Sektion Encounters gezeigt wurde.

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