Dirty Talk mit Jennifer Lawrence
Von Sidney ScheringEin Ehepaar schnüffelt im Leben seines Sohnes herum. Der steht kurz davor, auf ein angesehenes College zu gehen, hat aber den sexuellen Erfahrungsschatz einer Kartoffel. Naja, nicht ganz. Er schaut sich Pornos an, gleicht also eher einer Kartoffel, die jemand in der Erwachsenenabteilung einer Videothek hat liegen lassen. Aber hey, jeder Knolle ihre Wonne, richtig? Nein! Diese Eltern sind überzeugt, dass ihr unschuldiger Erdapfel auf der Uni zerstampft wird, wenn er nicht bald Erfahrung aus erster Hand sammelt. Also heuern sie per Inserat eine Frau an, die sich seiner annimmt und sein sexuelles Selbstbewusstsein stimuliert.
Das klingt nach der Prämisse einer – in der Rückschau eventuell problematischen – Teenie-Hitkomödie aus den 1980ern. Aber weit gefehlt: „No Hard Feelings“ ist brandneu – und dazu auch noch mit einer waschechten Oscar-Gewinnerin in der Hauptrolle besetzt! Regisseur Gene Stupnitsky stellte zuvor bereits mit „Good Boys“ das Genre der Vulgär-Komödien clever auf den Kopf, indem er vorpubertäre Kinder durch typische Teeniekomödien-Situationen watscheln ließ. In seinen besten Momenten reift auch „No Hard Feelings“ zur Größe dieser herzlichen Lachsalvenparade heran. In den schwächeren Szenen hingegen ist der Titel Programm: Da geht es dann doch eher schlaff zur Sache...
Jennifer Lawrence hat spürbar Bock, mit ihrem doppeldeutigen Dirty Talk mal so richtig über die Stränge zu schlagen…
Maddie (Jennifer Lawrence) ist zwar schon in ihren Dreißigern, hat aber trotzdem keinen Plan, was sie mit ihrem Leben anfangen will. Mehr schlecht als recht hält sie sich als Touri-Bar-Hostesse und Uber-Fahrerin über Wasser. Als ihr Auto konfisziert wird, muss deshalb schnellstmöglich eine neue Einnahmequelle her. Also antwortet sie auf eine dubiose Kleinanzeige:
Die wohlhabenden Helikopter-Eltern Laird (Matthew Broderick) und Allison (Laura Benanti) haben Angst, dass ihr 19-jähriger Sohn Percy (Andrew Feldman) zu introvertiert fürs College ist. Daher suchen sie eine junge Frau, die ihn mal so richtig „datet“, damit er verwegener und selbstbewusster wird. Als Belohnung für die charakterbildende Sexarbeit winkt ein Auto. Doof nur, dass Percy von Maddies forscher Art mehr abgeschreckt als angezogen wird…
Maddies derben Anmachversuche sowie die Panik, die diese bei Percy auslösen, sind die große Stärke des Films. Wenn Jennifer Lawrence im aufreizenden Dress pornöse Phrasen drischt, amüsiert allein schon die massive Spielfreude der Oscar-Gewinnerin (für „Silver Linings“): Lawrence hat speziell für „No Hard Feelings“ ihre geplante Baby-Auszeit von der Schauspielerei unterbrochen – und diesen Bock gerade auf dieses Projekt merkt man ihr jederzeit an. Dass die von ihr rausgehauenen Sauereien des Öfteren unverstanden über Percys unschuldigen Kopf hinweg segeln, intensiviert den Spaßfaktor noch zusätzlich.
Dass sich Percy, wenn er dann doch mal eine der Zoten kapiert, immer weiter in sein sinnbildliches Schneckenhaus zurückzieht, ist eine kernig-herbe Umkehr altbekannter Genre-Klischees. „No Hard Feelings“ unterstreicht gewitzt die Absurdität der Prämisse – zum Beispiel, wenn Maddie Einblick in die Partywelt von Percys Gleichgesinnten erhält: Die ist nämlich randvoll mit doppelzüngigen Anti-Mobbing-Influencer*innen und chilligen „Lass uns im Bett über unsere Gefühle reden“-Anmachen. Maddie versteht die moderne Dating-Welt einfach nicht mehr – und Stupnitsky zieht aus ihren Reaktionen noch mehr Humor als aus den plakativen Parodien modern-sanfter Partyrituale.
Mit ihrem forschen Auftreten stößt Maddie (Jennifer Lawrence) den scheuen Teenager (Percy (Andrew Barth Feldman) nur noch weiter von sich weg…
Doch so viel Witz der von Percy nicht wertgeschätzte Dirty Talk auch entwickelt, so verkrampft sind der Auftakt und der Schlussakt des Films: Vor dem ersten Aufeinandertreffen zwischen Maddie und Percy rattern Stupnitsky und sein Co-Autor John Phillips erst einmal unrhythmisch schlappe Scherze herunter, um Maddies Loser-Status zu etablieren. Wenigstens beweisen sie dabei insoweit Fingerspitzengefühl, dass sie Maddies sexuelle Offenheit nicht in den Dreck ziehen. Stattdessen bekommen die maßlos übergriffigen Eltern ordentlich ihr Fett weg. Percys gedämpften Sexualtrieb schildert Stupnitsky dagegen mit respektvoller Gleichgültigkeit. Vielleicht ist der Student in spe einfach schüchtern, womöglich ist er demisexuell: Es wird kein klares Urteil gefällt, sondern halblaut angedeutet, dass es uns egal sein darf, solange er sich nur selbst dabei wohlfühlt.
Dieses Fingerspitzengefühl geht aber leider nicht in erzählerisches Geschick über, wenn die Autoren versuchen, ihren Plot zu einem befriedigenden Ende zu führen: Auf die komödiantische Klimax sowie eine bittersüße Szene, die plausibel als Schlussmoment hätte fungieren können, folgt noch ein antriebsloses Nachspiel. Dieses dramatische PS wirkt immer gekünstelter, je länger es läuft – ein vorgetäuscht-emotionales Kuscheln nach der enthusiastischen Comedy-Ekstase.
Fazit: Jennifer Lawrence als liebeshungrige Teenager-Jägerin und Andrew Feldman als ihr verschrecktes Objekt der Begierde machen mächtig Spaß – aber wenn gerade keine Köpfe verdreht oder Körbe verteilt werden, gibt es auch eine Menge Leerlauf.