Das Gaspedal durchdrücken – und einfach nur Spaß haben!
Von Lars-Christian DanielsNicolas Cage als Randall Raines in „Nur noch 60 Sekunden“, Ryan Gosling als namenloser Fahrer in „Drive“ oder Vin Diesel als Dominic Toretto in der „Fast & Furious“-Reihe: Die Filmgeschichte ist voll mit talentierten Helden der Straße, die mit dem Fuß auf dem Gas und dem Steuerknüppel in der Hand über sich hinauswachsen. Man könnte auch James Bond, Jason Bourne und viele weitere Hollywoodfiguren nennen, denen wir liebend gern beim Rasen zuschauen – schließlich zählen rasante Verfolgungsjagden auf quietschenden Reifen, spektakuläre Manöver auf dem Asphalt und krachende Kollateralschäden so fest zum Actionkino wie das Popcorn und die Cola zum Kinobesuch.
Auch der belgische DJ Dimitri „Vegas“ Thivaios, der mit seinen zwei Instagram-Accounts mehr als sechs Millionen Follower*innen erreicht, reiht sich nun in diese lange Liste ein – spielt er in der turbulenten Actionkomödie „Hazard – Vollgas“ doch einen eben solchen Ausnahmefahrer. Das Besondere an der sympathischen Genreperle von Jonas Govaerts („Camp Evil“) sind allerdings nicht die prominente Besetzung der Hauptrolle oder besonders aufwändige Stunts, sondern vor allem die ausgefallene Machart: Die Kamera verlässt in dem äußerst kurzweiligen Spektakel erst in den Schlussminuten das Auto, ohne dass das den Spaß limitieren würde. Das muss man auch erst einmal hinbekommen!
Noah Hazard (Dimitri Vegas) und sein Lexus müssen beide an diesem Tag eine Menge einstecken!
Noah Hazard (Dimitri Vegas) ist ein glücklicher Familienvater: Seine Frau Lea (Jennifer Heylen) und seine Tochter Zita (Mila Rooms) liebt er über alles. Mindestens genauso sehr liebt er aber seinen getunten goldenen Lexus, in dem er auch den Großteil seiner Zeit verbringt. Einen festen Job hat Noah nicht – zum Ärger seiner argwöhnischen Schwiegermutter (Sylvie Nawasadio).
Doch es winkt schnelles Geld: Sein minderbemittelter Cousin Carlos (Jeroen Perceval), der gerade eine mehrjährige Haftstrafe abgesessen hat, heuert ihn als Fahrer für einen vermeintlich harmlosen Einbruch an. Gemeinsam mit dem übergewichtigen Kludde (Frank Lammers) stiehlt Carlos einen Koffer mit Drogen aus einer Villa. Als die Besitzerin die beiden erwischt, sind Noahs Fähigkeiten am Steuer gefragt. Es beginnt eine turbulente Flucht quer durch Antwerpen…
„Hazard - Vollgas“ startet ein paar Stunden vor dem Coup an einer Tankstelle, an der sich Noah noch hingebungsvoll um die Pflege seines geliebten Vehikels kümmert: Hier ein bisschen Politur, da ein wenig Seife. Schon in der Eröffnungssequenz erleben wir das Ganze aus einem Blickwinkel im Inneren seines Lexus, was zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht besonders auffällt. Dass sich an dieser Perspektive aber auch in den folgenden eineinhalb Stunden nichts ändert, ist hingegen sehr wohl speziell: Tatsächlich wird (fast) die ganze Geschichte – von den Schlussminuten einmal abgesehen – aus der Perspektive des Autos erzählt. Mal befindet sich die Kamera auf dem Beifahrersitz, mal auf der Rückbank, mal im Auspuff oder im Kofferraum – eben immer genau da, wo sie gerade gebraucht wird. Zur Not auch mal im abgefahrenen Außenspiegel, so dass wir bei einer Verfolgungsjagd im Fußgängertunnel einen kurzen Blick auf den Wagen mitsamt seinem Autokennzeichen erhaschen: „H4Z4RD“ (so lautet auch der Originaltitel).
Den Unterhaltungswert schmälert der eingeschränkte Blickwinkel nicht im Geringsten – schließlich kann man durch die Windschutzscheibe, im Rückspiegel oder durch die Seitenfenster fast alles beobachten, was in der näheren Umgebung des Autos so stattfindet. Der schräge Carlos und der geduldige Noah, dessen Nervenkostüm dünner und dünner wird, legen sich mit kratzbürstigen Müllmännern, russischen Türstehern oder einer resoluten Dame vom Abschleppdienst an. Ein echter WTF-Moment ist aber vor allem die so irritierende wie urkomische Begegnung mit einem notgeilen Security-Mann (Tom Vermeir), der einen speziellen Wegzoll von den beiden einfordert und dann mit Vaseline am Auspuff des Lexus direkt das vollzieht, was Noah und Carlos eigentlich an anderer Stelle befürchtet hatten.
Verbeugung vor dem Kult-Meisterwerk: Kludde (Frank Lammers) bekommt im Film seinen ganz eigenen „Pulp Fiction“-Moment!
„Hazard - Vollgas“ erzählt innerhalb des limitierten zeitlichen Horizonts von knapp einem Tag also keine reine Flucht oder Verfolgungsjagd: Der Wagen steht in etwa genauso lang, wie er zu peitschenden Techno-Beats (etwa Darudes „Sandstorm“) im Zeitraffer durch Antwerpen ballert. Bemerkenswert ist auch, wie viel Jonas Govaerts mit effektiven Mitteln aus seinem kleinen Budget herausholt: Deutlich wird das etwa in dem Moment, in dem Noah und Carlos sich der Attacke eines Wolfs (!) erwehren müssen, der zufällig an diesem Tag aus dem Zoo geflohen ist. Das Raubtier digital zu animieren oder einen Kampf auf Leben und Tod nachzustellen, hätte wohl ein halbes Vermögen gekostet – stattdessen findet der Filmemacher eine andere, nicht minder unterhaltsame Lösung.
Die Begegnung mit dem Wolf ist zugleich einer jener Momente, die im Drehbuch von Genre-Veteran Trent Haaga („68 Kill“) schon früh zu erahnen sind: Wenn diese Meldung im Radio durchgesagt wird, hat das natürlich ebenso eine spezielle Bewandtnis wie die Tatsache, dass die Windschutzscheibe des Lexus einen kleinen Riss hat, der in Kombination mit einem „Starglass“-Werbespot als Running Gag im Verlauf des Films immer größer wird. Ähnliches gilt für einen Boxkampf, bei dem Noah telefonisch Haus und Hof auf einen Außenseitersieg setzt. Ein paar überraschende Wendungen mehr hätten der Geschichte sicherlich gut zu Gesicht gestanden.
Vielschichtige Figuren und differenzierte Charakterstudien sollte man in einer 88-minütigen Actionkomödie auch nicht erwarten, der derbe Humor und die aberwitzigen Momente fangen das aber locker auf. Während der herrlich eklige und einen eigenwilligen Hitler-Bart tragende Kludde nach einem „Pulp Fiction“-Moment sehr früh wieder von der Bildfläche verschwindet, mausert sich der köstlich selbstbewusste Hobby-Rapper Carlos mit seinen einfältig-dummen Sprüchen und seinem bemerkenswert talentfreien Sprechgesang schnell zum Szenendieb. Gerade mit Blick auf Noahs durchgeknallten Cousin lohnt sich übrigens das Sitzenbleiben beim Abspann – der hält nämlich noch einige Zusatz-Gags bereit.
Fazit: Temporeich, witzig und handwerklich außergewöhnlich – „Hazard - Vollgas“ ist eine sehr kurzweilige, wenn auch hier und da etwas vorhersehbare Actionkomödie mit sympathischen Charakteren im Ausnahmezustand.
Wir haben „Hazard - Vollgas“ beim Genre-Filmfestival „Weird Weekender“ gesehen, das im Oktober 2023 zum ersten Mal in Stuttgart stattfand.