Die Gewaltspirale ist einfach nicht zu stoppen
Von Jochen WernerEin junger Mann wird aus dem Gefängnis entlassen und kehrt an seinen Heimatort zurück: ein Kaff irgendwo auf dem Land in Flandern, sein Elternhaus eine abgebrannte Ruine. Liam (Thibauld Dooms) tritt durch die Tür, sieht sich um, steigt hinab in den Keller. Über der Schwarzblende hören wir ihn schluchzen – ebenso wie viele Jahre zuvor. Fortan wird uns „Skunk“ vorführen, welch steiniger Weg Liam zurück an den Ort führt, an dem einst alles begann. Nicht unbedingt chronologisch, sondern immer wieder mit Rückblenden (und manchmal auch sacht halluzinatorischen Surrealismen) operierend, aber auch nicht allzu weit von der Formsprache des Sozialrealismus entfernt.
Letzteres ist angesichts des Regisseurs von „Skunk“ durchaus erwähnenswert. Schließlich wurde der Belgier Koen Mortier international doch vor allem mit seinem verstörenden Debüt „Ex-Drummer“ bekannt, einem formal überbordenden, verspielten White-Trash-Punkfilm, der auf völlig andere Weise von einem ähnlichen Milieu erzählt. Denn die Familienhölle, aus der Liam anfangs von der Polizei befreit wird, ist ein von Gewalt-, Sex- und Drogenexzessen geprägtes Inferno. In dessen mitunter fast karikaturhafter Überspitzung findet sich dann doch so etwas wie ein Widerhall der grellen Ästhetik von Mortiers Frühwerk. Insbesondere Liams Crack-süchtige Mutter wird von Sarah Vandeursen derart als hysterisch keifendes, hexenhaftes Wrack überzeichnet, dass man sich zumindest fragt, ob das nun unfreiwillig komisch ist? Oder soll das nicht doch als durchaus bewusst gewählter Kontrast zur ansonsten über weite Strecken recht geerdeten Inszenierung funktionieren?
Denn nach der Erlösung aus dem Missbrauch durch seine Eltern gerät Liam in die Obhut der staatlichen Sozialfürsorge. So landet er in einer Institution für betreutes Wohnen für traumatisierte und schwer erziehbare Jugendliche. Und diese Institution selbst, verkörpert durch drei engagierte Sozialarbeiter*innen, zeigt Mortier zunächst mit durchaus wohlwollendem Blick. Perfekt läuft da zwar überhaupt nichts, Überforderungen und neuerliche Gewaltausbrüche sind auch hier an der Tagesordnung. Aber daran, dass Pauline (Natali Broods), David (Boris Van Severen) und Jos (Dirk Roofthooft) aufrichtig versuchen, ihren Schutzbefohlenen zu helfen, und dass sie ihnen allen Grenzüberschreitungen zum Trotz echte Empathie entgegenbringen, lässt „Skunk“ keinen Zweifel. Höchstens daran, ob echte Hilfe im Rahmen dieses Systems überhaupt möglich ist, und damit betritt der Film natürlich einen schmalen Grat.
Allzu einfach wäre es nämlich, die Idee von Sozialarbeit und Rehabilitation von jugendlichen Gewaltopfern und -tätern gleich in Bausch und Bogen als zwecklos zu verwerfen. Tatsächlich begibt sich Mortier hier des Öfteren auf recht ambivalentes Terrain und hantiert auch durchaus mit Klischees der Sowas-kommt-von-sowas-Traumaküchenpsychologie. So findet Liam zwar Gefallen und eine Art Erfüllung darin, mit den Pferden im Stall der Einrichtung zu arbeiten. Aber als der etwas schlicht und durchaus creepy anmutende Johan im Heu ein Kätzchen entdeckt und darüber sinniert, es bei lebendigem Leibe zu verbrennen, fällt auch Liam nichts anderes ein, als dem Tier kurzerhand das Genick zu brechen.
Vom Elternhaus in die traumatisierte Jungmänner-WG und schließlich beim Versuch der Wiedereingliederung in die Schule – Liam gerät in immer neue Gewaltkreisläufe. Und der durch seine eigenen Gewalterfahrungen geschürte, tief in ihm brodelnde Hass trägt sicherlich nicht dazu bei, diese zu verlangsamen. Spätestens als im Rahmen der Institution ein brutaler sexueller Übergriff geschieht, zeichnet sich eine finale Eskalation immer deutlicher ab. Ob sich „Skunk“ sein exzessives Finale im letzten Akt dann wirklich verdient hat, darüber wird es vermutlich geteilte Meinungen geben. Denn das kündigt sich zwar genau genommen schon den gesamten Film über nicht eben subtil an – der Kontrast in den Tonlagen, den Mortier dafür in Kauf nimmt, bleibt gleichwohl frappierend.
Damit tritt dann am Ende gar, durch die Hintertür gewissermaßen, doch wieder etwas von dem Erratischen aus Koen Mortiers Frühwerk in seinen neuen, vierten Film ein. Dass dieser Hang zu Exzess und Überdrehtheit in „Skunk“ nie so ganz widerstandslos das Steuer übernimmt, ist unbedingt als Stärke eines ganz gewiss nicht makellosen, passagenweise zutiefst ambivalenten, aber auch unbestreitbar kraftvollen Films zu begreifen.
Fazit: Vom karikaturesk überzeichneten White-Trash-Inferno über ein berührendes Sozialdrama bis zum unausweichlich-traurigen Gewaltexzess bringt der belgische Regisseur Koen Mortier hier allerlei disparate Tonlagen zusammen. Dass das nicht immer nahtlos ineinander aufgeht, liegt nahe, ist aber angesichts der Kraft des mit dem jungen Hauptdarsteller Thibaud Dooms auch großartig besetzten Films durchaus zu verkraften.