Wahrscheinlich geht es Liebhabern von Malerei und Bildhauerei, Musik und Literatur ähnlich. Da greift man irgendwann zu einem Buch, sieht ein Gemälde, hört eine Sinfonie – und es ist um einen geschehen. Man lässt nie wieder locker, will das nächste Bild betrachten, die zweite Oper hören oder sich von einem weiteren Roman fesseln lassen. Man könnte das als eine Art Initialzündung bezeichnen, oder als Katalysator, wenn man will auch als eine Art persönlichen kulturellen „Urknall“. Für mich gab es drei, ganz unterschiedliche, Filme, die ich als Katalysatoren für meine Film-Leidenschaft bezeichnen würde: Howard Hawks Komödie aller (Screwball-)Komödien „Bringing Up Baby“ („Leoparden küsst man nicht“, 1938), Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“ (1968) und eben Akira Kurosawas „Die sieben Samurai“.
In vielen Reviews der vergangenen Jahre wird (zu Recht) betont, dass Kurosawa mit diesem für seine Zeit extrem langen Film (zwischen 160 und 206 Minuten [1]) ein Genre erschaffen und nicht nur etliche Remakes nach sich gezogen hat. Zu letzteren gehören beispielsweise „Die glorreichen Sieben“, „Carrasco, der Schänder“, „Iron Maze – Im Netz der Leidenschaften“ und einige andere [2]. „Die sieben Samurai“ sind mehr: die Geburtsstunde jenes Action-Kinos, von dem heutzutage oft nur mehr Action und Effekte geblieben sind, weniger dagegen entwickelte Handlung und Charaktere als Zentrum eines guten Films. Ein Genre, indem Kurosawa zum ersten Mal im Film eine Gruppe von Menschen zusammenstellt, die einen Auftrag ausführen, eine Mission erfüllen sollen (so der Filmkritiker Michael Jeck).
Japan im 16. Jahrhundert. Ein kleines Bauerndorf wird immer wieder von umherstreunenden Banditen überfallen, vor allem dann, wenn die Bauern die Ernte eingefahren haben. Die Einwohner sind verzweifelt. Einer von ihnen, Rikichi (Yoshio Tsuchiya), will Samurais anheuern, um das Dorf zu schützen und die Marodeure wenn möglich zu töten. Er trifft den alten, weisen Kämpfer Kambei (Takashi Shimura), einen Samurai, der wie viele andere auch, keinem Herrn mehr dient (ein sog. Rônin, ein ruhe- und herrenloser Samurai). Kambei hat Mitleid mit den Bauern. Mit seiner Hilfe findet Rikichi weitere Rônin, die bereit sind, das Dorf gegen die Banditen zu schützen: für einen niedrigen Preis, drei Schalen Reis pro Tag.
Zu Kambei gesellen sich
der ehemalige Bauer Kikuchiyo (Toshirô Mifune), der also nicht als Samurai geboren wurde und auch nie reiten gelernt hat;
Kyuzo (Seiji Miyaguchi), der Schwertkämpfer, der vor allem an der Perfektion seiner Kampfkunst interessiert ist und zu Anfang des Films einen Herausforderer zunächst im Stockfechten besiegt und ihn dann, weil sein Gegner sich nicht geschlagen geben will, mit dem Schwert tötet;
Gorobei (Yoshio Inaba)
Katsushiro (Isao Kimura), den jüngsten unter den Rônin, für den die Verteidigung der Bauern vor allem eine Chance ist, noch viel zu lernen;
Heihachi (Minoru Chiaki) und
Shichiroji (Daisuke Katô).
Unter den kritischen Blicken vieler Dorfbewohner, die Angst haben, die Rônin könnten ihre Frauen missbrauchen – der Bauer Manzo (Kamatari Fujiwara) zwingt seine Tochter Shino (Keiko Tsushima) zum Beispiel, ihre Haare abzuschneiden, um wie ein junger Mann auszusehen –, erkunden die Rônin unter Führung des strategisch erfahrenen Kambei das Dorf und legen einen Verteidigungsplan fest. Schutzgräben werden ausgehoben, Sperren gebaut, die Bauern mit Speeren bewaffnet und ausgebildet. Unter Führung der einzelnen Samurai werden kleine militärische Einheiten gebildet. Alle rechnen mit einem Überfall der Marodeure nach der nächsten Reisernte. Genau das geschieht. Ca. 40 Banditen, die zudem über drei Gewehre verfügen, greifen das Dorf an ...
Kurosawa inszenierte mit „Die sieben Samurai“ ein Drama klassischer Art, gleich einer klassischen Tragödie, untergliedert in drei Teile: Anwerbung der Samurai, Vorbereitung des Kampfes, Kampf. Doch die äußere Handlung des kriegerischen Geschehens sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Vordergrund nicht Krieg und das, was heute als „Action“ bezeichnet wird, stehen, auch nicht irgendwelche Spezialeffekte, die es damals in dieser Form sowieso nicht gab und geben konnte, sondern eine Geschichte, die einerseits einer bestimmten Epoche der japanischen Geschichte verhaftet ist, andererseits Kurosawas deutliche Kritik an der absolute Unterwerfung des Individuums unter die Kasten- oder Klassengesellschaft veranschaulicht – und nicht zuletzt die Ehrbegriffe der Rônin als zwar veraltet in bezug auf den Untergang der Samurai als Teil der Feudalgesellschaft darstellt, gleichzeitig jedoch ohne Pathos und Übertreibung zur Diskussion stellt.
Im Japan zwischen 1490 und 1603, einer Zeit der Bürgerkriege, wechselte die Herrschaft über Ländereien oft schnell, und viele Samurai – adlige Vasallen – wechselten ihre Feudalherren ebenso oft. Viele dieser „arbeitslosen“ Samurai (gleich Rônin) besaßen nichts anderes mehr als ihre Schwerter und Rüstungen, waren auf Wohltätigkeit angewiesen und teilten sich in zwei Gruppen: die einen, die ihrem Ehrenkodex treu blieben und immer wieder in den politischen Wirren und Kriegen nach neuen Herren suchten, und die anderen, die sich zu marodierenden Banden zusammenschlossen, Dörfer überfielen, niederbrannten und plünderten. Auch die Banditen in „Die sieben Samurai“ tragen teilweise Samurai-Rüstungen. In diese Zeit führt uns Kurosawa.
Dabei fokussiert er den Film im wesentlichen – bis auf den Anfang – auf das Dorf der Bauern. Dort spielt die Handlung, die Kurosawa zum ersten Mal in dieser Weise mit mehreren Kameras einfängt, um den visuellen Horizont zu erweitern, mal nahe am Kampfgeschehen, an den Gesichtern, den Figuren, mal aus etlicher Distanz. Diese Art der Fotografie entspricht in gewisser Weise dem Bemühen der Rônin, einen Verteidigungsplan zu entwerfen. Das abschätzende, wägende, beurteilende Auge wird zum entscheidenden Kampfmittel, die Waffe ist „nur“ sein verlängertes Werkzeug. Die Kamera passt sich dem an.
Die Handlung selbst wird sowohl aus der Perspektive der angeheuerten Samurai, als auch der Bauern gezeigt, später teilweise, aber nur punktuell aus der Sicht der Banditen. Obwohl jedoch die Handlung vordergründig auf die Vorbereitung und Durchführung der Verteidigung ausgerichtet ist, besticht der Film vor allem durch die intensive Darstellung der Charaktere und der Unterschiede zwischen den sozialen Gruppen.
Wir sehen Kambei, einen alten kampferfahrenen und klugen Kämpfer, der selbstlos ist und Gerechtigkeit will, obwohl er weiß, dass er die Standesunterschiede niemals überwinden wird. Kambei ist von Anfang an bewusst, dass nach einem möglichen Sieg über die Banditen sich die Wege der Rônin und der Bauern wieder trennen werden. Um (am Anfang des Films) ein Kind aus den Armen eines Diebs zu retten, opfert er sogar seinen Haarknoten und zieht das Gewand eines Mönchs an. Kambei ist auch bewusst, oder er ahnt es zumindest, dass die große Zeit der Samurai vorbei ist. Er kennt keine Standesdünkel, ist sofort bereit, den Bauern zu helfen, obwohl er weiß, dass er davon nicht viel hat. Aber materielle Dinge liegen ihm nicht am Herzen.
Wir sehen den die bäuerliche Mentalität verachtenden Kikuchiyo, selbst Spross einer bäuerlichen Familie, der mutig sein will, mutig ist, fast übermütig, versucht, auf einem Pferd zu reiten, das ihn abwirft, weil er nicht reiten kann: ausgerechnet auch noch ein klappriger Gaul der Bauern. Kikuchiyo steht für den Versuch, die negativen Seiten des bäuerlichen Lebens zu überwinden, die Angst, die Machtlosigkeit, zum Teil auch die Feigheit. Er steht den Bauern nicht feindlich gegenüber, aber er will lieber im Kampf sterben, als wieder auf dem Acker zu arbeiten.
Wir lernen Katsushiro kennen, den jungen Samurai, der erst von Kambei, dann von Kyuzo derart begeistert ist, dass seine Augen leuchten. Kambei hat zunächst Zweifel, ihn als Schüler zu akzeptieren, weil Bescheidenheit zu den Tugenden der Samurai gehört. Besonders deutlich wird dies in einer Szene, in der Kyuzo während einer Nacht den Banditen ein Gewehr entwendet und zwei von ihnen getötet hat. Als er zurückkehrt, verhält sich Katsushiro wieder derart überschwänglich gegenüber Kyuzo, dass dieser in sich hinein lächeln muss.
Kyuzo, der seine Arbeit verrichtet, ohne dafür irgendeine Form von Dank zu erwarten, sich ruhig an die Wand einer Bauernhütte setzt und sich ausruht, als wenn nichts geschehen wäre – dieser Kyuzo ist das Sinnbild des bescheidenen Samurai, bescheiden in einer ganz natürlichen Weise.
Gorobei, ein weiterer Samurai, sagt ganz offen, dass er bei der Aktion nicht deshalb mitwirkt, um den Bauern zu helfen, sondern weil ihn Kambei als Person, als erfahrener Kämpfer interessiert. Gorobei steht für die Ehrlichkeit, die den Samurai abverlangt wird.
Und dann ist da noch der alte Kampfgefährte Kambeis, Shichiroji, der, obwohl er weiß, dass die Verteidigung gegen die Banditen sein Leben kosten könnte, gegenüber Kambei äußert: „Einer, der ein Samurai ist, muss vor allen anderen Dingen permanent, d.h. Tag und Nacht, vom Morgen, an dem er seine Essstäbchen aufnimmt, um sein Neujahrsfrühstück einzunehmen, bis zur Sylvesternacht, in der er seine Jahresrechnungen bezahlt, vor Augen haben, dass er sterben muss. Das ist seine vorrangigste Aufgabe.“
Man könnte nun meinen, Kurosawa feiere diese angeblichen oder tatsächlichen Tugenden der Samurai in einer Art konservativ-romantischer Haltung. Selbst wenn dies stimmen würde, wäre es zu kurz gegriffen. In Shichirojis Worten drückt sich etwas weitergehendes aus: Es ist nicht die Frage, dass man stirbt, sondern wie man lebt, bevor man stirbt, die über uns entscheidet. Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Mut, Beherrschung (vor allem auch der Angst). Kurosawa zeigt, wie sich diese (wie wir es nennen würden) Tugenden in praktischer Weise entfalten, nicht als hehre Werte auf dem Papier, sondern als praktische Verhaltensweisen, dies allerdings nur historisch bedingt und von der Sozialstruktur abhängig. Er zeigt, wie sie als Teil der Mentalität einer Kaste, die vom Aussterben bedroht ist, noch einmal ihre ganze Kraft entfalten können. Er zeigt aber auch, dass die Starrheit der sozialen Gruppenbildung verhindert, dass es zwischen Bauern und Rônin über das taktische Bündnis auf Zeit irgendeine weitere Verbindung geben kann.
Deutlich wird das an mehreren Konflikten, die im Film ausgetragen werden. So verliebt sich Katsushiro in die Tochter des Bauern Manzo, Shino. Als Manzo dahinter kommt, erfährt er dies als eine absolute Schmach, als ob Katsushiro Shino und damit die Klasse der Bauern zutiefst beleidigt habe. Für beide gibt es kein „Happyend“.
In einer anderen Szene, als offenbar wird, dass die Bauern früher verletzte Samurai getötet und sich ihrer Waffen und Rüstungen bemächtigt hatten, hält Kikuchiyo eine „flammende“ Rede – für die Bauern, die schließlich früher auch Opfer von Samurai gewesen seien, und stellt sich damit – obwohl er an seinen Idealen eines mutigen Kämpfers festhält – auf die Seite seiner Herkunfts-Klasse.
Kurosawa zeigt diese sozial festgefahrenen Unterschiede sehr intensiv, und hält damit jeder Gesellschaft, in der sich Individuen ihrer sozialen Herkunft und Gruppe unterwerfen müssen, einen Spiegel vor Augen. Die bäuerliche Klasse repräsentiert die Natur, die Verbundenheit mit der Erde, mit all ihren auch negativen Erscheinungen. Auf sie wird jede Gesellschaft mehr oder weniger immer angewiesen sein, auch wenn viele von ihnen durch die Gewalt anderer Schichten, Klassen, Stände permanent zu leiden haben und getötet werden. Die Klasse der Samurai dagegen ist eine vorübergehende Erscheinung (auch wenn es sie bis ins 19. Jahrhundert noch gab, allerdings nach 1615 mehr und mehr als Teil des japanischen Beamtentums). Mit ihr scheinen die Tugenden, die sie zu leben trachten, auszusterben. Erst recht die bindungslosen Samurai, die Rônin, sind ruhelose Gestalten, die entweder mordend durch die Lande ziehen, wie die Banditen, oder an ihrem Kodex festhaltend versuchen, ihr Leben so zu leben, wie es ihnen vorgeschrieben ist.
Insofern lässt der Film viele Fragen offen. Da treffen Menschen, die „gestalten“ wollen, auf andere, die unter den politischen und sozialen Veränderungen – und den „Gestaltern“ – meist nur zu leiden hatten. Der Film, kurz nach dem zweiten Weltkrieg gedreht, muss vielleicht auch unter Berücksichtigung aller bisher genannter Gesichtspunkte als Antwort, vielleicht eher als Frage des Regisseurs verstanden werden angesichts des „Gestaltungswillens“, der diesen Krieg hervorbrachte.
Das Ende ist Sieg und Niederlage zugleich. Die Banditen werden bis auf den letzten getötet. Die Bauern haben wieder ihre Ruhe. Vier der sieben Samurai liegen auf den Hügeln begraben, neben den Gräbern der getöteten Bauern. Das Licht strahlt über den Hügel, und die überlebenden Rônin schauen zurück in das Dorf. Die Liebe zwischen Shino und Kikuchiyo dürfen beide nicht leben. Die drei verlassen das Dorf. Die Arbeit ist getan. Aber die Rônin werden als Klasse nicht überleben.
Auf beeindruckende Weise haben Kurosawa und Asakazu Nakai nicht nur das Dorf, sondern auch die Kampfszenen gefilmt. Ohne Tricks und „doppelten Boden“ bringen sie dem Betrachter das Geschehen in überwältigender Weise nahe. Die Kamera fährt oft sehr nahe heran an die vom Boden oder vom Pferd aus Kämpfenden. Das alles wirkt lebendig, lebhaft, äußerst realistisch, fast dokumentarisch.
Für mich ist dieser Film nicht einfach ein Klassiker. Er verdeutlicht einen Anspruch dahingehend, was für mich mit Filmen (in aller Regel jedenfalls) verbunden sein sollte: Im Mittelpunkt stehen Handlung, Geschichte, Personen, Konflikte, das Spiel der Kräfte, die Varianz und Entwicklung menschlicher Beziehungen, die Mimik, die Gestik, die Worte – und nicht das, was wir heute als „Action“ bezeichnen. Selbst die Gewalt steht nicht im Vordergrund des Films, sondern alles, was sozusagen „davor“ und „dazwischen“ ist. Zudem wird Kurosawa den grundlegenden Elementen des Dramas gerecht: Einheitlichkeit von Ort, Zeit und Handlung. Die Kameraführung ist exzellent, statt sich in Effekthaschereien zu ergehen usw. Ich will es dabei belassen.