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    The Seed
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    The Seed

    Der niedliche Klumpen aus dem Weltall

    Von Jochen Werner

    Ein Sternschnuppenregen von einer solchen Intensität, dass er bestenfalls einmal pro Generation zu beobachten ist, kann sicherlich ein beeindruckendes und wunderschönes Erlebnis sein. Im Horrorkino bedeutet er hingegen eigentlich immer ganz, ganz schlechte Neuigkeiten. Das müssen auch Charlotte (Chelsea Edge), Heather (Sophie Vavasseur) und Deidre (Lucy Martin), die Protagonistinnen aus Sam Walkers Regiedebüt „The Seed“, am eigenen Leib erfahren.

    Am Anfang richten sich die drei recht unterschiedlichen Freundinnen noch auf ein erholsames Luxuswochenende in der schicken Villa von Heathers reichem Vater ein – auch wenn die ziemlich angesagte Influencerin Deidre die nerdigere Charlotte zunächst mit sanfter Erpressung zum Fotoshooting für ihren Insta-Channel zwingen muss und das Netz draußen in der Landeinsamkeit so schlecht ist, dass sie über den vergeblichen Versuchen, ihren Livestream zum Laufen zu bringen, den farbenfrohen Meteoritenschauer um ein Haar verpasst.

    Beauty-Influencerin Deidre (Lucy Martin) und ihre Freundinnen erhoffen sich ein entspanntes Luxus-Wochenende …

    Und der erweist sich nicht nur als spektakuläres Ereignis weit weg dort oben am Himmel, stattdessen landet ein merkwürdiger, anscheinend organischer und zudem auch noch ziemlich übelriechender Klumpen direkt im Swimming Pool. Dieser entpuppt sich dann allerdings als eine ganz und gar nicht tote und durchaus niedliche außerirdische Kreatur. Die Meinungen, wie mit dieser nun umzugehen sei, gehen auseinander – aber nachdem Charlotte das weinende und schreiende Wesen des Nachts ins Haus trägt und mit einem Vitaminshake päppelt, erkennt auch Deidre die Chancen in der extraterrestrischen Begegnung. 1A-Content sei das – und den hält man im Zweifelsfall immer erstmal geheim. Weg können sie ohne Handyempfang fürs erste sowieso nicht – und das einzige Haus in der Nachbarschaft finden sie auch verlassen vor.

    Von da an – und um das zu wissen, muss man nicht einmal viele Horrorfilme gesehen haben – wird natürlich rasch alles schlimmer. Seinen Kipppunkt erreicht „The Seed“ mit einer durchaus beeindruckenden, bild- und klanggewaltigen surrealen Alptraumsequenz – der ersten einer ganzen Reihe, in der der niedliche, aber durchaus wehrhafte außerirdische Invasor sein Wesen und seinen Plan allmählich enthüllt. Diese Sequenzen sind formal eindeutig die Höhepunkte des visuell generell ziemlich schönen Films – und erfüllen auch ihre augenscheinliche Funktion, den vermutlich recht niedrig budgetierten Film deutlich teurer und opulenter aussehen zu lassen, recht überzeugend.

    Ein Hoch auf das handgemachte Monster

    Denn dass für das Monstrum im Zentrum des Geschehens eine wirklich bezaubernde animatronische Kreatur gebaut wurde, statt wie so oft auf wenig überzeugende Billig-CGIs zurückzugreifen, kann gar nicht hoch genug gelobt werden. Und auch der Body Horror des letzten Filmdrittels ist sichtlich mit klassisch analogem Special-Effects-Handwerk ins Bild gesetzt, was eine ganze Menge des Charms von „The Seed“ ausmacht. Nur für allzu viel Animatronik hat das Budget dann am Ende eben nicht mehr gereicht. Während die Kreatur selbst weitgehend bewegungslos bleibt, muss Regisseur Sam Walker sich dann eben andere Tricks einfallen lassen, um per Montage oder Überblendung das blutige Geschehen in Bewegung zu versetzen.

    Das ist allerdings überhaupt kein Makel, sondern ganz im Gegenteil eine Beschränkung der Mittel, die von Val Lewton bis Mario Bava schon zahllose Großmeister des Horrorgenres zu fantasievollen und erfindungsreichen Höhenflügen der Inszenierungskunst genötigt hat. Aber da reiht sich Sam Walker dann doch nicht ein, denn auch wenn vieles an „The Seed“ überaus liebenswert ist, schafft dieser es dann doch nie so ganz, den letzten Sprung zum richtig tollen, richtig bösen oder effektiven kleinen Genregeheimtipp zu schaffen. Schon die erste Hälfte, bevor der Film dann offen in den Body Horror kippt, kommt zwar nicht überaus langatmig, aber doch ein wenig zu unentschlossen daher und wirkt ein wenig wie eine schick stilisierte Pflichtübung.

    … und bekommen stattdessen das hier geboten!

    Ein wenig parodistisch gegenüber den Oberflächenexzessen der Influencer*innen-Generation soll es wohl sein, aber so richtig lustig oder boshaft wirkt das alles nicht. Und die drei Protagonistinnen gehen einem zwar nie komplett auf die Nerven, aber irgendwelche erinnerungswürdigen Charakterzüge über ihre Funktionen als Kontrahentinnen des Aliens entwickeln sie wiederum auch nicht. Somit bleibt, obwohl man „The Seed“ anderthalb Stunden lang durchaus gern zugesehen hat, ohne sich zu langweilen, doch ein etwas halbgarer Eindruck zurück.

    Vor allem als eine Talentprobe für den Debütanten Sam Walker überzeugt der ziemlich geradlinige und fast kammerspielartige, unter der gleißenden Sonne Maltas gedrehte Film, denn mit wenigen Mitteln einen derart gutaussehenden und auch im Sound Design packenden Film zu inszenieren, kriegt – wie die B-Horror-Aficionados unter uns wissen – nun wirklich nicht jeder aus dem Stegreif hin. Wenn beim nächsten Mal noch ein etwas pointierteres Drehbuch dazukommt, dann könnten von Walker zukünftig durchaus noch größere Würfe zu erwarten sein.

    Fazit: Es gibt sehr vieles zu mögen an Sam Walkers Body-Horror-Film „The Seed“ – bezaubernde, handgemachte Spezialeffekte und generell eine Bildsprache und ein Sound Design, die näher an der großen Kinoleinwand als am kleinen TV-Bildschirm sind. So ganz schafft Walkers Regiedebüt den Sprung zum richtig tollen B-Picture dann zwar doch nicht, aber man kann ihm dafür trotzdem nicht böse sein – und darf sich auf weitere Filme des ziemlich begabten jungen Regisseurs freuen!

    „The Seed“ läuft im offiziellen Programm beim Fantasy Filmfest 2022.

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