Ein kalkulierter Affront gegen Political Correctness
Von Björn BecherPaul Schraders oscarnominiertes Drama „First Reformed“ und dessen Nachfolger „The Card Counter“ handeln von einsamen Männern, die für die Sünden ihrer Vergangenheit büßen, als sich ihnen plötzlich eine gar nicht mehr für möglich gehaltene Chance auf Vergebung eröffnet. „Master Gardener“ reiht sich da fast nahtlos ein – wenn auch mit einem großen Unterschied. Der neue Film werde „eine Menge Leute richtig sauer machen“ und anders als „The Card Counter“ 2021 „ganz sicher nicht auf der berühmten Top-10-Jahresend-Liste von Ex-US-Präsident Barack Obama landen“, wie der „Taxi Driver“-Autor am Rande der Weltpremiere von „Master Gardener“ beim Filmfestival in Venedig prognostizierte. Und ganz unrecht wird er damit wohl nicht haben.
Die Liebesgeschichte zwischen einem mit Hakenkreuz- und SS-Tattoos übersäten Ex-Nazi und einer jungen Schwarzen Frau, die seine Tochter sein könnte, wird viel Ablehnung hervorrufen. Vielleicht hat sich der ohnehin wenig auf Political Correctness gebende Schrader diesmal schon beim Drehbuchschreiben allzu diebisch über die zu erwartenden Reaktionen auf seinen Film gefreut. Und womöglich klopft er sich selbst noch immer für den Einfall auf die Schulter, aus dem Protagonisten, der zunächst als simpler Ex-Auftragskiller angelegt war, doch noch einen Proud Boy gemacht zu haben. Doch zwischen all dem kalkulierten Anecken steckt ein zwar langsam erzählter, aber unglaublich gefühlvoller und überraschend optimistischer Film mit zwei faszinierenden Figuren im Zentrum.
Mit seinem Team leitet Narvel Roth (Joel Edgerton) den botanischen Garten rund um das alte Südstaaten-Herrenhaus der vermögenden Norma Haverhill (Sigourney Weaver). Einmal in der Woche geht er mit seiner Chefin zu einem festen Termin ins Bett, aber darüber hinaus besteht das ganze Leben des Gartenbaukünstlers darin, die prächtigsten Blumen aus aller Welt zum Erblühen zu bringen - schließlich steht bald die große Frühlingsgartenschau samt Wohltätigkeitsveranstaltung an. Doch dann bittet Norma ihren Meistergärtner eines Tages darum, ihre Großnichte Maya (Quintessa Swindell) in sein Team aufzunehmen und auszubilden.
Während die Gutsherrin in den ersten Wochen kein Wort mit Maya spricht, obwohl sie diese seit fast zwei Jahrzehnten nicht gesehen hat, erkennt Narvel schnell eine vielversprechende Schülerin. Bei der gemeinsamen Arbeit im Garten kommen sich die junge Frau und der rund doppelt so alte Gärtnermeister näher. Dabei ahnt Maya noch nichts vom Geheimnis ihres neuen Mentors: Er ist ein ehemaliger Nazi im Zeugenschutzprogramm. Doch auch die junge Frau hat Probleme: Sie ist drogensüchtig und bekommt regelmäßig Ärger mit ihrem Dealer. Als sie deswegen mit einem blauen Auge bei der Arbeit erscheint, setzt dies eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen in Gang...
Wie schon der „The Card Counter“-Protagonist William Tell leidet nun auch Narvel Roth so sehr unter der in der Vergangenheit aufgeladenen Schuld, dass er sich obsessiv in eine einzige (titelgebende) Tätigkeit stürzt, die nun sein ganzes Leben bestimmt. In diesem scheint es tatsächlich nichts außer dem Garten zu geben – abgesehen vom wöchentlichen Dinner samt anschließendem Sex mit seiner Chefin, bei dem man aber auch nicht weiß, ob er das wirklich will, oder ob sie einfach drauf besteht. Wie Oscar Isaac spielt auch Joel Edgerton („Warrior“) seinen zugeknöpften Einzelgänger ungemein reduziert. Kaum eine Miene verzieht dieser Narvel, ein Einblick in sein Innenleben ist kaum zu erhaschen.
Es ist einmal mehr Schraders Meisterleistung, wie er das Innere dann doch nach und nach herausschält. Er macht das diesmal weniger durch die Rückblenden zu den früheren Gewalttaten, die im Vergleich zu den verstörenden Abu-Ghraib-Einschüben im Vorgänger nicht nur zahmer, sondern auch viel seltener sind. Ebenso ist der einmal mehr enttäuschend-platte Voice-Over nicht das zentrale Mittel. Bei „Master Gardener“ wächst die fesselnde Charakterstudie stattdessen einfach aus sich selbst heraus. Statt den Ex-Nazi Narvel zu erklären, überlässt Schrader die Deutung und Auslegung der Figur komplett dem Publikum.
Mit seiner Chefin bespricht Narvel (Joel Edgerton) die weiteren Pläne für ihren Botanischen Garten.
Wenn Maya ihn fragt, warum er seine Tattoos nie entfernen ließ, erwidert Narvel nur, dass er sich damit beschäftigt hat. Warum er sich dann anders entschieden hat, sagt er zwar nicht, aber wie er sich immer wieder selbst beim Anblick im Spiegel die Existenz dieser Symbole der düsteren Vergangenheit ins Bewusstsein ruft, legt zumindest nahe, dass er sich so bewusst selbst bestrafen will: Narvel leistet Buße, indem er diese Zeichen als Mahnmale weiter auf der Haut trägt und sich so wahrscheinlich selbst die Möglichkeit auf eine – seiner Ansicht nach eh nicht verdiente – Vergebung nimmt.
Diese bricht in Form von Maya aber trotzdem über ihn hinein. Wie optimistisch (machmal gar kitschig) Schrader die folgende Liebesgeschichte bisweilen zeichnet, ist nicht nur für ihn außergewöhnlich. Da erblüht bei einer Autofahrt plötzlich der gesamte Straßenrand in bunten CGI-Blumen – als wären wir in einer Rom-Com oder einem Musical (selbst wenn beim „Taxi Driver“-Autor selbstverständlich noch ein Gewaltakt folgt). Wie sanft und sachte Schrader die Annäherung der beiden gegensätzlichen Figuren erzählt, dürfte vielen aufstoßen, die hier mehr breite Kante gegen Edgertons Figur erwartet hätten. Wer sich hingegen auf die Liebe einer Schwarzen Frau zu einem doppelt so alten Ex-Nazi einlassen mag, bekommt hier aber einige der berührendsten und zärtlichsten Momente in Schraders gesamter Filmografie geboten.
Der Autor kokettiert selbst ja immer wieder damit, dass er keine Frauenfiguren schreiben kann und daher seine Werke so oft von einsamen Männern handeln. Auch in „Master Gardener“ ist davon etwas zu spüren. Vor allem Sigourney Weavers irgendwie entrückt von der Welt lebende, sich in Dialogen mal offen, mal subtil rassistisch gebende Gutsherrin bleibt ein schwer zu greifender Fremdkörper.
Die von der nicht-binären Schauspieler*in Quintessa Swindell (Netflix-Serie „Diebische Elstern“) grandios verkörperte Maya ist dagegen eine unglaublich komplexe, durchaus typische Schrader-Figur. Dass ihr Handeln und speziell ihre Liebe zu Narvel weder erklärt noch moralisch diskutiert werden, ist sicher ein weiter Knackpunkt für alle, die „Master Gardener“ ablehnen werden. Wie auch bei der Titelfigur selbst bleibt es hier dem Publikum überlassen, einen Zugriff zu ihrer schwer zu leugnenden Faszination zu finden.
Fazit: Deutlich zahmer inszeniert als zuletzt „The Card Counter“, lässt uns Paul Schrader in „Master Gardener“ komplexe, spannende Figuren ergründen, ohne sich dabei groß um Political Corectness zu scheren (oder vielleicht sogar gerade, um immer wieder ganz bewusst anzuecken).
Wir haben „Master Gardener“ im Rahmen des Filmfestivals in Venedig gesehen, wo er außer Konkurrenz (Paul Schrader erhielt den Ehren-Löwen für sein Lebenswerk) seine Weltpremiere gefeiert hat.