Das gab's bei Marvel noch nie!
Von Julius VietzenHeist-Abenteuer („Ant-Man“), Polit-Thriller („The Return Of The First Avenger“), Martial-Arts-Kracher („Shang-Chi And The Legend Of The Ten Rings“): Im Marvel Cinematic Universe (MCU) gab es schon einige sehr unterschiedliche Genres zu sehen, wenn auch immer in Gestalt eines Superheldenfilms. Und sogar in Richtung Horror machte man mit „Doctor Strange In The Multiverse Of Madness“ schon einige zarte Gehversuche – eine Entwicklung, an die Marvel mit „Werewolf By Night“ nun nahtlos anknüpft.
Mit „Werewolf By Night“ verneigt sich Regisseur Michael Giacchino nämlich vor dem schwarz-weißen Gruselkino der 30er bis 60er Jahre. Ein waschechter Horrorfilm ist die Marvel Studios Special Presentation, wie der knapp 60 Minuten lange Disney+-Film offiziell genannt wird, aber nun auch wieder nicht. Die Kombination aus blutigem Horror, gruseligen Kreaturen, sehenswerter Action und gelungenen Gags in bester Marvel-Manier geht aber insgesamt überraschend gut auf.
Werwolf Jack Russell (Gael García Bernal) ist unter lauter Monsterjägern ziemlich fehl am Platz.
Ulysses Bloodstone, der Patriarch einer angesehenen Familie von Monsterjägern und -jägerinnen, ist tot und zu seinen Ehren versammelt seine Frau Verussa (Harriet Sansom Harris) einige von Ulysses' Kolleg*innen in dem Familienanwesen. Doch es wird nicht einfach nur eine Trauerfeier abgehalten: Eine Monsterjagd soll darüber entscheiden, wer als nächstes den mächtigen Blutstein sein eigen nennen darf, den Ulysses bis zu seinem Tod besaß.
Dabei spielen allerdings nicht alle Anwesenden mit offenen Karten: Ulysses' Tochter Elsa Bloodstone (Laura Donnelly) etwa ist dem Jagen und ihrer Familie eher abgeneigt, und Jack Russell (Gael García Bernal) wirkt trotz aller Beteuerungen, ein erfahrener Monsterjäger zu sein, ziemlich fehl am Platz...
„Werewolf By Night“ ist für das geneigte Publikum ein großer Spaß, aber einer, den sicherlich nicht alle zu schätzen wissen werden: Schon die zwiegespaltenen Reaktionen auf „She-Hulk“ zeigen ja, dass eine Marvel-Serie, die wenig Action und MCU-Verbindungen beinhaltet, aber dafür umso mehr anderweitige Genre-Einflüsse – im Falle von „She-Hulk“ ist das Sitcom –, nicht bei allen gut ankommt. Und auch „Werewolf By Night“ gehört zwar auf dem Papier zum MCU, hat mit den großen Zusammenhängen im Avengers-Universum aber (erstmal) nichts zu tun.
Stattdessen konzentriert sich der sonst vorrangig als Komponist (Oscar für die Beste Musik zu Pixars „Oben“) aktive Regisseur Michael Giacchino auf seine Hommage an das klassische Gruselkino, in der gefühlt eher zufällig zwei bekannte Marvel-Figuren – nämlich Jack Russell und Elsa Bloodstone – die Hauptrollen spielen (und später noch eine dritte bekannte Figur vorbeischaut).
Dazu gehört neben den fast komplett schwarz-weißen Bildern und dem Marvel-Intro im Retro-Horror-Stil dann etwa auch, dass die Verwandlung von Jack Russell in den titelgebenden Werewolf-By-Night nur als Schattenspiel an einer Wand gezeigt wird. Und der fertige Werwolf ist dann nicht etwa eine CGI-Kreatur, sondern wird – wie bei den von Giacchino explizit als Vorbilder benannten „Der Werwolf von London“ (1935) und „Der Wolfsmensch“ (1941) – als handgemachtes Kostüm realisiert. Eine ungewohnte, aber willkommene Abwechslung im MCU, wo gerne auch mal komplette Superheldenanzüge aus dem Computer stammen.
Nicht nur für MCU-Verhältnisse geht es hier ziemlich gruselig und blutig zu.
Außerdem darf sich Giacchino auch auf für MCU-Verhältnisse unerhörte Art und Weise in Sachen Gewaltdarstellung austoben: Da werden Hände abgeschlagen, Kehlen durchbohrt, Schädel gespalten und ganze Körper verbrannt, während dazu munter das Blut durch die Gegend spritzt – für Kinder und Jugendliche ist „Werewolf By Night“ also eher ungeeignet.
Erwachsene Marvel-Fans dürfen sich trotz des klaren Fokus auf Horror aber auch auf einige sehenswerte Actionszenen freuen, vor allem einige sauber inszenierte und ordentlich brutale Nahkämpfe mit Fäusten, Waffen und Krallen, bei denen schon mal das Blut die Kamera hinunterläuft. Und auch auf den MCU-typischen Humor wird nicht verzichtet – obwohl es sich hier eben um einen Film handelt, der das Horror-Genre auslotet und somit von den ausgetretenen MCU-Pfaden so stark wie noch nie abweicht:
Giacchino hat sichtlich Freude daran, eine ziemlich skurrile Seite des Avengers-Universums zu erkunden. Da erinnert der aufgebahrte Ulysses Bloodstone an den Cryptkeeper aus der Horrorserie „Geschichten aus der Gruft“, und bei einer Zeremonie läuft ein Mann mit einer brennenden (!) Tuba durchs Bild. Und wenn Jack Russell versucht, mit Hilfe einer Mini-Granate eine Mauer in die Luft zu sprengen, entwickelt sich das zur sehr lustigen Slapstick-Nummer.
Fazit: Eine schwarz-weiße Horror-Hommage mit deftigen Gewaltspitzen und handgemachten Kreaturen? Das gab's im MCU noch nie, ist aber eine willkommene Abwechslung.