Knuffige Provinzkomödie mit hohem Wohlfühlfaktor
Von Gaby SikorskiDie Karriere von Michel Blanc, Jahrgang 1952, ist absolut erstaunlich. Spätestens mit der frechen Komödie „Abendanzug“ an der Seite von Miou-Miou und Gerard Depardieu (1986, Regie: Bertrand Blier) wurde er international bekannt. In Cannes erhielt er dafür den Preis als bester Hauptdarsteller. Vorher hatte Michel Blanc bereits mit seinen Freunden Christian Clavier, Gérard Jugnot und Thierry Lhermitte eine erfolgreiche Theatergruppe gegründet. Die Vier zählen seit Jahrzehnten zu DEN Stars des französischen Films, und sie sind allesamt spezialisiert auf das Komödienfach. Michel Blanc ist bis heute einer der bekanntesten und gefragtesten Charakterkomiker in Frankreich. Wie viele seiner Kollegen ist er ein eher kleiner Mann und äußerlich ziemlich unauffällig, doch mit inzwischen über 70 ist er immer noch gut dabei.
Einer seiner letzten Filme war die Weihnachtskomödie „Ein Doktor auf Bestellung“ (2019), der – vermutlich aufgrund der Corona-Pandemie – leider nicht in die deutschen Kinos kam und in dem Michel Blanc einmal mehr seine ausgeprägten Qualitäten als grantelnder Muffelkopf ausspielen durfte. Auch in „Es sind die kleinen Dinge“ ist Michel Blanc wieder ein mies gelaunter Quengler, einer von diesen Nachbarn, die man am liebsten weiträumig umfährt. Er spielt Émile, einen berüchtigten Meckerfritzen, der sich mit jedem anlegt und darauf besteht, in der Dorfschule zusammen mit den Kindern Lesen und Schreiben zu lernen. Das hat er nämlich irgendwie verpasst, aber nun, nach dem Tod seines Bruders, der sich immer um alles gekümmert hat, muss Émile auf eigenen Beinen stehen und irgendwie alleine zurechtkommen.
Ganz ohne Frage ist Michel Blanc das komödiantische Highlight in diesem insgesamt sehr hübschen, um nicht zu sagen entzückenden Film, in dem es nicht alleine um Émile geht, sondern um das ganze kleine, verschlafene Dörfchen Kerguen in der Bretagne samt der Leute, die dort leben. Da ist an erster Stelle die Bürgermeisterin Alice (Julia Piaton) zu nennen, die sich 24/7 um alle und jeden kümmert. Sie hat immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte sämtlicher Menschen, die sie um Rat fragen. Notfalls legt sie selbst Hand an und repariert schon mal ein Schlagloch. Sie tut praktisch alles, um ganz Kerguen bei Laune zu halten und zu verhindern, dass noch mehr Leute abwandern. Denn das ist das ganz große Problem im idyllischen Kerguen, wo es nicht mal mehr eine Bar oder ein Bistro gibt.
Wenn sich wenigstens jemand fände, der den Bäcker übernimmt! Doch das alles sind keineswegs Alices Hauptaufgaben, denn eigentlich ist sie Lehrerin, und zwar die einzige Lehrerin in der Dorfschule, die von gerade mal zehn Kindern aller Altersstufen besucht wird. Zuzüglich Rentner Èmile natürlich, der Alice das Leben noch zusätzlich schwermacht, weil er sich gleichzeitig wie ein besonders rüpeliger Schulanfänger und wie ein alter, mauliger Zausel verhält, was auch die Eltern auf den Plan ruft, die sich über ihn beschweren. Bei diesem Programm kommt naturgemäß Alices eigenes Privatleben zu kurz. „Du bist einfach zu nett“, sagt ihre Schwester. Aber als dann auch noch der Schulinspektor seinen Besuch ankündigt, um zu entscheiden, ob die Schule in Kerguen aufgrund von Schüler*innen-Mangel geschlossen wird, stehen alle Zeichen auf Alarm.
„Es sind die kleinen Dinge“ ist Mélanie Auffrets zweiter Film nach „Roxane“ (2019), ebenfalls eine Provinzkomödie, die in Deutschland allerdings nicht im Kino lief. Die Regisseurin hat für ihr intelligentes und bei allen Emotionen kitschfreies Drehbuch einen tollen Cast gefunden, und es gelingt ihr scheinbar mühelos, die vielen unterschiedlichen Charaktere ernst zu nehmen und dabei besonders den alltäglichen Wahnsinn in Gestalt von Situationskomik herauszustellen. Ein paar schöne Oneliner sind aber auch dabei. Julia Piaton („Monsieur Claude und seine Töchter“) als Alice steht dabei nur theoretisch im Mittelpunkt der Handlung. Mit ihren wehenden blonden Locken und ihrer gleichzeitig zurückhaltenden und dennoch aufmerksamen Attitüde erinnert sie ein wenig an die junge Glenn Close. Émile und das idyllische Dörfchen Kerguen mit seiner meist mehr als weniger originellen Bevölkerung lassen jedoch Alice in den Hintergrund rücken. Das liegt nicht an Julia Piatons Schauspielkünsten – sie verkörpert die Alice mit ungeheurem Schwung und mit so viel Herzenswärme, dass man ihr problemlos die rund um die Uhr engagierte Frau abnimmt, die vielleicht auch deshalb so umtriebig ist, weil sie dann keine Zeit hat, über sich selbst nachzudenken.
Aber da sie sich selbst nicht so wichtig nimmt und sich immer nur für andere aufopfert, ist es irgendwie logisch, dass Alice im Film die zweite Geige spielt – nach Émile, der den Film quasi von ihr übernimmt. Zahllose hübsche Gags und kleine Nebengeschichten (z. B. ein Häschen, das Mbappé heißt) peppen die Handlung zusätzlich auf, und gelegentlich gibt es unerwartete Wendungen, die drollig, niedlich oder bewegend sind und dem Film zusätzlich zu seinem warmherzigen Humor auch viel liebenswert emotionale Energie mitgeben.
Fazit: Die gelungene Komödie hat mit ihrem liebevollen Humor genau die richtige Message für alle, die sich im Alltag für andere aufopfern: Es lohnt sich, ein netter Mensch zu sein. Ein Film, der wahrscheinlich jedem Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubert, und das tut richtig gut. Wohlfühlkino à la bonheur, vier Sterne und fünf Herzchen.