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    Roxy
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Roxy

    Tiger Vs. Löwe! Oder wer sitzt im Taxi wirklich am Steuer?

    Von Sidney Schering

    Taxifahren ist ein kurioser Beruf: Man hat zwar wortwörtlich die Hand am Steuer, aber die Person auf dem Beifahrersitz oder der Rückbank hat das Sagen – sitzt also sprichwörtlich am Steuer. Im Taxi verschmelzen Passivität und Aktivität, Gefolgschaft und Tatkraft zu einer diffusen Masse. Eine Beobachtung, die den Kern des neusten Films von Dito Tsintsadze ausmacht: Der Autor und Regisseur vermischt in „Roxy“ staubtrockenen Humor, kühl-gemächlichen Thriller und beobachtendes Drama über Mitläufertum und Opportunismus. Dabei wirft er die Frage auf, ob Löwe oder Tiger in einem Kampf auf Leben und Tod gewinnen würde. Verhandelt wird dies entlang eines von Devid Striesow gespielten Taxifahrers, bei dem lange unklar bleibt, ob er nur buchstäblich oder auch sprichwörtlich am Steuer sitzt.

    Taxifahrer Thomas Brenner (Devid Striesow) führt ein unscheinbares Dasein in Baden-Baden und identifiziert sich mit der Modelleisenbahn im Bahnhof: Er erledigt wortkarg und pflichtbewusst seinen Job – und nach Feierabend lässt er in einer Spelunke Dampf ab, indem er freud- sowie zwanglosen Sex mit Bardame Sara (Valliamma Zwigart) hat. Doch als eine Gruppe Russen in sein Taxi steigt, ändern sich die Dinge: Vom Kampfhund Roxy eingeschüchtert und vom prächtig zahlenden Anführer Levan (Vakho Chachanidze) fasziniert, übernimmt er mehre Jobs für die zwielichtigen Fahrgäste. Als Thomas zudem Levans ruhige Frau Liza (Camilla Borghesani) und ihren Sohn Vova (Raphael Zhambakiyev) kennenlernt, ist er zwischen Begierde und Loyalität hin- und hergerissen. Auch wenn man es ihm kaum anmerken würde...

    Gerade noch unscheinbarer Taxifahrer, ist Thomas (Devid Striesow) wie angezogen von der düstern-schillernden Gangsterwelt. Across Nations
    Gerade noch unscheinbarer Taxifahrer, ist Thomas (Devid Striesow) wie angezogen von der düstern-schillernden Gangsterwelt.

    Öde Kleidung, Allerweltsfrisur, reduzierte Mimik und monotoner Duktus: Thomas ist nicht nur auf den ersten Blick das Paradebeispiel für den geduckten deutschen Durchschnittsbürger, der bloß nicht als Individuum wahrgenommen werden will. Dass diese Unauffälligkeit nicht gleich Harmlosigkeit bedeutet, zeigen wiederum seine zielbewussten Kommentare aus dem Off. Nicht bloß, weil sie Erinnerungen an den Film noir mit seinen moralisch biegsamen Helden wecken. Sondern auch, weil Thomas mit absoluter Selbstverständlichkeit Einblicke in seine grausame Familiengeschichte gewährt:

    Dass sein Großvater in der Waffen-SS diente, weil sich das so gehörte, während sein Vater praktisch aus demselben Grund bei der Stasi war, erzählt Thomas im selben Tonfall wie den Umstand, dass ihm seine Oma einst eine Matchboxauto-Sammlung geschenkt hat. Die habe übrigens einen geordneten Platz in seiner Wohnung, weil auch das sich so gehöre. Mit diesen wenigen Zeilen spitzt Tsintsadze früh seine These über eine sehr spezielle, gefährliche Form des Duckmäusertums zu, die sich durch „Roxy“ sowie die deutsche Geschichte zieht: Thomas erledigt immer brav seine Dienste. Selbst für Kunden, die nicht einmal mit der Wimper zucken, wenn ihr bulliger Hund grundlos eine Passantin anfällt. Sie zahlen ja reichlich und zügig – und auf ihn haben sie es offenbar nicht abgesehen: Weshalb sollte er also ein schlechtes Gewissen haben?

    Bissige Satire und skurriler Humor

    In den eindringlichsten Passagen von „Roxy“ entwickelt Thomas' Mittäterschaft aus Bequemlichkeit einen Biss, der auf dem Nerv der deutschen „Naja, was geht’s mich schon an?“-Apathie herumkaut wie der titelgebende Kampfhund auf seinen unvorbereiteten Opfern. Aber auch spröder, skurriler Humor spielt eine prominente Rolle – wenn etwa einer der Muskelmänner plötzlich ganz kleinlaut den Ansagen von „Eingeschlossene Gesellschaft“-Star Thorsten Merten als schroff-vorlautem Schauspieler und Passfälscher folgt.

    Zumeist macht sich der Film Thomas' unbeeindrucktes Naturell allerdings so sehr zu eigen, dass weder gesellschaftskritischer Biss noch spröde Komik zur vollen Geltung kommen: Die Machenschaften der russischen Gruppe, die sich in Baden-Baden einnistet, werden so unaufgeregt geschildert wie Thomas' Eingliederung in ihre Zirkel. Was – wann immer die satirische Überspitzung der geradlinig-schleichenden Thriller-Story den Vortritt lässt – der Plausibilität schadet: Für eine aggressiv-sprunghafte Truppe lassen Levan & Co. den alles abnickenden Taxifahrer sehr schnell arg nah an sich dran. Derart unscheinbar, dass man sich gar keine Gedanken machen muss, ist Thomas auf Dauer dabei doch nicht.

    Wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei: Wer sitzt im Taxi wirklich am Steuer – der Fahrer oder der russische Gangster mit dem Kampfhund? Across Nations
    Wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei: Wer sitzt im Taxi wirklich am Steuer – der Fahrer oder der russische Gangster mit dem Kampfhund?

    Vielleicht ist Tsintsadze auch gar nicht daran interessiert, näher zu erläutern, weshalb Levan ihn im Eiltempo in den engsten Kreis lässt. Solch ein Schulterzucken wäre zweifelsfrei ein konsequenter Ansatz in diesem Film über einen Mann, der einfach alles mitmacht, was ihm vorgesetzt wird. Damit ist „Roxy“ natürlich wie gemacht für Devid Striesow: Dass er selbst mit schnurgeradem Körper einen rückgratlosen Wendehals spielen kann, bewies er schließlich schon öfters – etwa in der bitterbösern Tragikomödie „Nichts passiert“. Obwohl sich Striesow in einem vertrauten Element befindet, spielt er in „Roxy“ aber keinesfalls wie auf Autopilot:

    Schon ein winziges Augenzucken lässt seinen Blick von serviceorientiert-freundlich zu lüstern schwanken – und Thomas' verstohlenes Lächeln ist so schmallippig, dass eine Großaufnahme nötig wird, um es zu erkennen. Doch wenn man es erst erkennt, erzählt es (Geschichts-)Bände über die Schnittstelle zwischen Rückgratlosigkeit, Opportunismus und Manipulation. Neben Striesow darf Chachanidze derweil die typischen Genrekonventionen des dubiosen, reichen Russen ein wenig gegen den Strich bürsten – etwa, wenn er sich mit kumpelhafter Freundlichkeit für Thomas' Aquarium interessiert.

    Tiger oder Löwe – und wer ist überhaupt wer?

    Borghesanis Rolle dagegen bleibt als sinnlich-verführerisch gefilmte Gattin, die unter Vertrauten beim Gedanken an ihren Mann ängstlich zittert, voll und ganz im Klischee verhaftet. Größeres Potenzial wohnt da schon dem Todeskampf Löwe versus Tiger inne, von dem ausgerechnet Vova (Namensbedeutung: „Friedliche Macht“) wie besessen ist. Nicht zuletzt, da eifrig gerätselt werden darf, wer in „Roxy“ überhaupt wer ist: Ist Einzelgänger Thomas der Tiger und Levan der ein Rudel um sich scharende Löwe? Oder setzt Thomas' zumeist freundlicher Blick ihn mit dem (Mähne sei Dank!) flauschigeren Löwen gleich, während Levans Macht ihn als körperlich imposanteren Tiger offenbart?

    Und welcher der Raubkatzen drücken wir eigentlich warum die Daumen? Das ist glatt noch schwerer zu beantworten als die Frage, wer im Taxi nun eigentlich wirklich am Steuer sitzt. In einem Punkt ist „Roxy“ derweil unmissverständlich: Nicht allein der Kampfhund ist gefährlich, sondern ebenso diejenigen, denen es egal ist, wenn er zubeißt. Ganz egal, ob sie aus Eigennutz, Gewohnheit oder Bequemlichkeit mit den Schultern zucken.

    Fazit: Hauptdarsteller Devid Striesow glänzt als opportunistischer Waschlappen von einem Mann – und in seinen besten Momenten tut „Roxy“ richtig weh. Streckenweise bremsen sich die verschiedenen Genre-Einflüsse in dieser lakonisch erzählten, dramatisch-satirischen Thriller-Komödie jedoch gegenseitig aus.

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