Das System Epstein als markerschütternder Mystery-Horror
Von Christoph Petersen„Blink Twice“ beginnt mit einer Entschuldigung. Der in Ungnade gefallene Tech-Mogul Slater King (Channing Tatum) berichtet auf der Bühne eines Wohltätigkeits-Events seiner eigenen Stiftung von den Fortschritten, die er in den vergangenen zwei Jahren als Mensch gemacht hat. Als Gründe für sein persönliches Wachstum nennt er die Trauma-Therapie von Professor Rich (Kyle MacLachlan) sowie sein luxusfreies, Social-Media-abstinentes Leben auf einer einsamen kleinen Privatinsel. Dass das alles kaum mehr sind als wohlklingende Floskeln eines Fassaden-Philanthropen erkennt man allerdings schon daran, dass er auf die spezifischen Vorwürfe, die ihn damals zum Rücktritt vom CEO-Posten seines eigenen Multimilliarden-Konzerns gezwungen haben, mit keinem Wort eingeht. Channing Tatum („To The Moon“) ist in der Rolle des Silicon-Valley-Gurus gnadenlos schmierig und im selben Moment trotzdem auch wahnsinnig charmant.
Daher ist es gar nicht weiter verwunderlich, dass die Cocktailkellnerin Frida (Naomi Ackie) total in ihn verschossen ist. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Jess (Alia Shawkat) schleicht sie sich in den VIP-Bereich, um zumindest ein gemeinsames Selfie zu ergattern. Aber was dann passiert, übertrifft selbst ihre kühnsten Erwartungen: Slater lädt die beiden Frauen spontan auf seine Insel ein. Von der Veranstaltung geht es also direkt per Privatjet auf das paradiesische Eiland. Von Askese jedoch keine Spur: Statt sich in Zurückhaltung zu üben, feiert Slater mit seinen Business-Kumpels Vic (Christian Slater), Cody (Simon Rex) und Tom (Haley Joel Osment) jeden Abend drogengeschwängerte Partys – und schon am Morgen wird im Pool direkt weitergesoffen. Auch Frida und Jess sind zunächst begeistert, zumindest bis sie auf immer mehr verstörende Ungereimtheiten stoßen…
Wenn Zoë Kravitz nicht schon 2017 mit dem Schreiben ihres Regiedebüts begonnen hätte, käme man wohl kaum drumherum, das Skript des „The Batman“-Stars als direkte Reaktion auf den Fall Jeffrey Epstein zu lesen. Damals sollte der Film noch „Pussy Island“ heißen – und selbst wenn auf der Hand liegt, warum das Studio gern eine Titeländerung wollte, schien die ursprüngliche Benennung durchaus angemessen: „Blink Twice“ steht zwar in der Tradition moderner High-Concept-Mystery-Thriller wie „Get Out“ von Jordan Peele oder vor allem „Don’t Worry Darling“ von Olivia Wilde. Aber am Ende ist er sogar noch ein ganzes Stück roher und radikaler – und das nicht nur wegen seiner blutigen Gewaltspitzen. Die Auflösung, was auf der Insel wirklich vor sich geht, tut an sich schon verdammt weh. Doch die fiese Schlusspointe zieht dann auch noch einer glatt-feministischen Lesart den Boden unter den Füßen weg. Die Katharsis muss warten – und wem die Patriarchats-Abrechnung in „Don’t Worry Darling“ zu plump war, der ist bei „Blink Twice“ möglicherweise genau richtig.
Allerdings dauert es eine gute Stunde, bis „Blink Twice“ so richtig anzieht. Bis dahin hängen Frida und Jess auf der sonnigen Luxusinsel ab, wo sich die Mysterien bereits anhäufen, während die direkte Bedrohung noch im Vagen bleibt. Aber keine Sorge, Zoë Kravitz setzt diese Ansammlung von Sonnenbädern am Pool und 5-Sterne-Dinnern mit MDMA-Dessert mit einem gehörigen Stilwillen in Szene: „Blink Twice“ hat nicht nur einen stylisch-grobkörnigen 70er-Jahre-Retro-Look, sondern punktet auch mit der wohl auffälligsten Farbdramaturgie des Kinojahres. Rote Blumen (Verlockung), gelbe Schlangen (Gefahr), weiße Kleider (Unschuld) und eine geheime grüne Flüssigkeit (Hoffnung) – die Ausstattung der Sets und die Designs der Kostüme zahlen konsequent auf diese unterschwellige Symbolik ein. Gerade für ein Debüt ist das alles erstaunlich stilsicher.
Christian Slater („Heathers“), Simon Rex („Red Rocket“) und Haley Joel Osment („The Sixth Sense“) als Kumpel-Entourage – dazu Kyle MacLachlan („Twin Peaks“) als zwielichtiger Psychiater sowie Geena Davis („Thelma & Louise“) als devote Chef-Assistentin: Gerade in den Nebenrollen fährt Zoë Kravitz ein absolutes Kult-Kabinett auf! Natürlich würde man mit der Truppe tatsächlich gern abhängen, was die überraschend drastisch bebilderten Enthüllungen nur noch wirkungsvoller macht.
Ja, einige mysteriöse Einsprengsel wirken etwas gewollte, etwa der Running Gag, dass Slater King ständig nach dem passenden Platz für einen ganz bestimmten roten Stuhl sucht. Außerdem werden auf der Zielgeraden einige eh schon auf der Hand liegende Empowerment-Statements noch einmal unnötigerweise von den Figuren laut ausgesprochen. Aber das ändert nichts daran, wie heftig einen der Niederschlag nach Zweidritteln des Films erwischt – und wie geil der Film, all der düsteren Themen zum Trotz, die ganze Zeit hindurch aussieht.
Fazit: „Blink Twice“ ist zwar nicht der erste #MeToo-Horrorfilm, aber dafür einer der radikalsten. Zoë Kravitz macht in ihrem Debüt als Regisseurin und Filmautorin keine Gefangenen und punktet darüber hinaus mit einer super stylischen Inszenierung, die vor allem mit ihrer brillanten Farbdramaturgie begeistert.